Die Dorfbewohner pflegten auf diesem Berge ihr Brenn- und Bauholz zu holen, wobei sie jedoch immer nur die Stämme nahmen und Wipfel und Zweige zurückließen, um an Ort und Stelle zu verwittern. Der Berg war daher mit Massen solchen leichten Brennstoffs bedeckt, der unter der sengenden Sonne der letzten zwei Monate bei der leichtesten Berührung mit Feuer entzündet werden konnte. In der That schien es auch in einzelnen Fällen der Berührung gar nicht zu bedürfen, denn es war, als ob die Flammen von Haufen zu Haufen schössen, wie das fabelhafte Feuer, welches die vernachläßigte Flamme des heidnischen Tempels wieder anzündete.
Der Anblick war ebenso schön als schrecklich, und Edwards schaute nebst Elisabeth auf die fortschreitende Verheerung mit einem seltsamen Gemische von Entsetzen und Theilnahme. Ersterer erwachte jedoch bald wieder zu neuen Kraftanstrengungen und zog seine Gefährtin an dem Saume des Rauches vorbei, wobei er oft, aber stets erfolglos, in den dichten Wolken einen Durchgang suchte. Sie hatten in dieser Weise einen Halbkreis um den oberen Theil der Terrasse beschrieben, bis sie, an dem anderen Ende derselben angelangt, zu der schrecklichen Ueberzeugung kamen, daß sie vollständig von dem Feuer umgeben seyen. So lange noch ein einzelner Paß, auf oder abwärts im Gebirge, unerspäht war, durfte man doch noch hoffen; sobald aber jedes Entkommen durchaus unmöglich erschien, erfaßten Elisabeth die Schrecken ihrer Lage so sehr, als sie bisher die Gefahr leicht zu nehmen geneigt gewesen war.
„Dieser Berg trägt die Bestimmung, mir verderblich zu werden!“ flüsterte sie; — „wir werden hier unser Grab finden!“
„Sprechen Sie nicht so, Miß Temple; noch ist die Hoffnung nicht verloren,“ entgegnete der Jüngling in dem gleichen Tone, obgleich der starre Ausdruck seines Auges diesen Worten widersprach. „Wir wollen zu der Spitze des Felsens zurückkehren; dort ist — dort muß noch eine Stelle seyn, wo wir hinab steigen können.“
„So führen Sie mich hin,“ rief Elisabeth. „Wir wollen nichts unversucht lassen.“
Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern flog dem Rande des Absturzes zu, während sie in unterdrücktem, krampfhaftem Schluchzen vor sich hinmurmelte:
„Mein Vater! mein armer, mein unglücklicher Vater!“
„Edwards war im Augenblick an ihrer Seite und sah sich in den Spalten der Klippen fast die Augen aus, um eine Oeffnung zu erspähen, welche die Flucht hätte erleichtern können. Aber schon die obere Fläche des Felsens war so glatt, daß sie dem Fuß kum sicher aufzutreten gestattete; wie viel weniger war nun daran zu denken, sich der schwachen Vorsprünge zu benützen, um etwa hundert Fuß hinabsteigen zu können! Edwards sah bald ein, daß auch hier nichts zu hoffen war, und mit einer Art fieberischer Verzweiflung, die ihn zu erneuter Thätigkeit drängte, schritt er zu einem weiteren Versuche.
„Es bleibt uns nichts übrig, Miß Temple,“ sagte er, „als Sie von hier aus auf den unten liegenden Felsen hinabzulassen. Wenn Natty hier wäre, oder wenn nur dieser Indianer aus seiner Erstarrung aufgeweckt werden könnte, so würde ihr Scharfsinn und ihre lange Erfahrung leicht Wege finden; ich bin jedoch für den gegenwärtigen Augenblick in allem Andern, nur nicht in meinem Muthe, wie ein Kind. Wo finde ich einen Ausweg? Mein Anzug ist so leicht und ungenügend; — doch Mohegan's Decke! Wir müssen es versuchen — wir müssen es versuchen — was es auch sey, alles ist besser, als Sie das Opfer eines solchen Todes werden zu sehen!“
„Und was soll aus Ihnen werden?“ versetzte Elisabeth. „Nein weder Sie noch John sollen meiner Rettung zum Opfer fallen!“
Er hörte sie nicht, sondern war bereits an Mohegan's Seite, der sich ohne Widerrede die Decke nehmen ließ, indem er dabei mit indianischer Würde und Fassung seinen Sitz beibehielt, obgleich seine eigene Lage gefährlicher als die der Andern war. Die Decke wurde in Streifen geschnitten, und die Bruchstücke an einander geknüpft, wobei auch noch die Linnenjacke des Jünglings und Elisabeths leichter Mousselin-Shawl Beihilfe leisten mußten. Die Leine wurde mit Blitzesschnelligkeit über den Felsen hinabgeworfen; aber sie reichte nicht zur Hälfte zu, um den Boden zu berühren.
„Es geht nicht — es geht nicht!“ rief Elisabeth. „Für mich ist keine Hoffnung! Das Feuer greift zwar langsam, aber sicher um sich. Sehen Sie, es verzehrt sogar den Boden vor sich her.“
Hätten sich die Flammen an dieser Stelle nur halb so schnell verbreitet, als es an andern Theilen des Berges der Fall war, wo sie von Busch zu Baum lecken konnten, so wäre unser peinliches Geschäft bereits geendet, da die Eingeschlossenen ihnen schon längst hätten zum Raube werden müssen. Aber die Eigenthümlichkeit ihrer Lage gewährte Elisabeth und ihrem Gefährten so viel Aufschub, daß sie die erwähnten Versuche noch machen konnten.
Die dünne Erdrinde, welche den Felsen bedeckte, barg nur einige welke Kräuter, und die meisten Bäume, die in den Spalten Wurzel gefaßt hatten, waren in Folge der heißen Temperatur, welche mehrere Sommer zuvor stattgefunden, bereits hingestorben. Die einzigen noch erkennbaren Lebensäußerungen daran bestanden aus etlichen dürren und welken Blättern, während die übrigen bloß todte Rumpfe von Fichten, Eichen und Ahornbäumen waren. Ein besseres Material zur Nahrung für das Feuer hätte nicht aufgefunden werden können, wenn es mit den Flammen in Berührung gekommen wäre; der Boden entbehrte jedoch ganz und gar des Gebüsches, durch welches das zerstörende Element, einem Waldstrome gleich, den übrigen Berg entlang fortgepflanzt wurde. Neben diesem Mangel an Brennstoff brach auch eine der großen Quellen, von denen es in diesem Bezirke wimmelt, über dem Abhange hervor, die, nachdem sie eine Weile träg auf dem ebenen Lande fortgeflossen, die Moosdecke des Felsens befeuchtete und um die Basis des kleinen Kegels rann, welcher die Spitze des Berges bildete; sie rieselte unter dem Rauchgewölke in der Nähe eines Endes der Terrasse vorbei, und fand ihren Weg nach dem See durch die geheimen Canäle der Erde, ohne von Fels zu Fels zu stürzen. In nassen Jahreszeiten bildete sie wohl hin und wieder ein Bächlein, aber in trockenen Sommern ließ sie sich nur an dem moosigen, sumpfigen Grunde erkennen, welcher die Nähe von Wasser anzeigte. Als das Feuer diese Barriere erreichte, mußte es inne halten, bis eine Concentration der Hitze die Feuchtigkeit überwand, einer Armee gleich, die nur das Heranrücken ihres Nachtrabs erwartet, um den Weg der Zerstörung weiter zu gehen.
Der verhängnißvolle Augenblick schien nun gekommen zu seyn, denn die zischenden Dämpfe der Quelle waren beinahe erschöpft und das Moos der Felsen kräuselte sich bereits unter der sengenden Hitze, während die Rindenreste, welche noch an den todten Bäumen hingen, sich von ihren Stämmen zu trennen begannen und als gerollte Massen zur Erde fielen. Die Luft schien unter den Hitzestrahlen zu beben und mit den vertrockneten Zweigen ihr Spiel zu treiben. Hin und wieder fegten dunkle Rauchwolken über der kleinen Terrasse weg und erhöhten, während sie das Auge trübten, die Empfänglichkeit der übrigen Sinne für die Schrecken der Scene. In solchen Augenblicken vereinigte sich das Rauschen der Flammen — das Prasseln des wüthenden Elements mit dem Knistern der fallenden Zweige, auch hin und wieder mit dem donnernden Wiederhalle irgend eines gestürzten Baumes, um die Angst der dem Tode Verfallenen zu steigern. Von den Dreien war jedoch der Jüngling augenscheinlich der Aufgeregteste. Elisabeth hatte die Hoffnung des Entkommens ganz aufgegeben und sah dem Ausgang mit jener gefaßten Ruhe entgegen, welche man nicht selten sogar bei den Zartesten ihres Geschlechtes in der Lage eines unabwendbaren Uebels antrifft, während Mohegan, der sich der Gefahr am nächsten befand, mit der durch nichts zu bewältigenden Resignation eines indianischen Kriegers seinen Sitz beibehielt. Ein oder zweimal wandte sich das Auge des betagten Häuptlings, das gewöhnlich in der Richtung der fernen Berge hinstierte, nach dem jungen Paare, welches zu einem so frühen Tode verurtheilt zu seyn schien, und ein leichter Zug von Mitleid durchlief seine gefaßten Züge; dann aber kehrte er wieder zu seinen Bergen zurück, als blicke er bereits in den Schooß der Zukunft. Meist sang er dabei eine Art von Todtenlied in der Sprache der Delawaren und in den tiefen eigenthümlichen Kehllauten seines Volkes.