Im nächsten Augenblick tauchte Natty aus den Dämpfen der Quelle auf und wurde auf der Terrasse sichtbar: er hatte keine Mütze, das Haar seines Hauptes war versengt, sein gewürfeltes Hemd schwarz und voller Löcher — und sein rothes Gesicht erschien in Folge der Hitze dunkler als je.
Achtunddreißigstes Kapitel.
Selbst aus dem Schattenreiche kehrt
Des Vaters schreckenvoll Gespenst.
Gertrude v. Wyoming.
Eine Stunde lang, nachdem Luise Grant von Miß Temple in der bereits erwähnten Lage verlassen worden war, harrte sie in feberischer Angst auf die Rückkehr ihrer Freundin. Als jedoch nach Ablauf dieser Zeit Elisabeth nicht wieder erschien, nahmen Luisens Besorgnisse in einem Grade zu, der ihre aufgeregte Phantasie jede Gefahr, die der Wald bergen mochte — die wirkliche ausgenommen — heraufbeschwören ließ. Der Himmel hatte sich allmählig umdüstert, und ungeheure Rauchwolken ergoßen sich über das Thal; Luisens Gedanken kehrten jedoch immer zu den wilden Thieren zurück, ohne daß sie sich etwas von der wahren Sachlage träumen ließ. Sie hatte sich längs des Saumes der niedrigen Fichten und Kastanien an der Außenseite des Forstes und unmittelbar über dem Winkel aufgestellt, wo die Straße von der geraden Richtung nach dem Dorfe abbog und sich seitwärts bergan zog. Sie konnte daher nicht nur das Thal, sondern auch den Weg unter ihr überblicken. Die wenigen Vorübergehenden, deren sie ansichtig wurde, waren in ernste Gespräche vertieft und erhoben ihre Augen häufig nach dem Berge, bis sie endlich auch Leute ihre Höfe verlassen und gleichfalls in die Höhe schauen sah. Beunruhigt durch solche ungewöhnliche Bewegungen, und unschlüssig, ihren Posten zu verlassen; obgleich sie sich auch fürchtete zu bleiben, wurde das Mädchen durch die dumpfen knarrenden, aber vorsichtigen Tritte eines Mannes aufgeschreckt, der durch das Gebüsch herankam. Sie wollte eben fliehen, als Natty aus dem Versteck anftauchte und an ihre Seite trat. Der alte Mann lachte, während er ihr freundlich die vor Furcht bebende Hand schüttelte.
„Ich freue mich, Sie hierzu treffen, mein Kind,“ begann er, „denn der Rücken des Berges steht in Flammen, und es würde gefährlich seyn, jetzt hinauf zu gehen, bis das Feuer darüber hinweggeleckt und das todte Holz aufgezehrt hat. Ich traf da oben einen einfältigen Mann — einen Cameraden von dem Schufte, welcher mich in all diese Ungelegenheiten gebracht hat — der auf der Ostseite nach Erz gräbt. Ich sagte ihm, die unachtsamen Wichte, welche einen erfahrenen Jäger nach Einbruch der Dunkelheit in den Wäldern zu fangen gedachten, hätten ihre Holzfackeln in's Gebüsch geworfen und es würde wie Werg aufbrennen; er solle daher den Berg verlassen. Er war jedoch so auf sein Geschäft erpicht, daß ihn keine Gewalt von der Stelle zu bringen vermochte. Wenn er nicht verbrannt ist und sich in dem von ihm selbst aufgeworfenen Grabe begraben hat, so muß er eine Salamandernatur haben. Ei der Tausend, was fehlt dem Kinde! Sie geberden sich ja so scheu, als ob Sie noch mehr Panther sähen! Ich wollte, es wären deren noch etliche vorhanden; ich könnte damit meine Schuld schneller abbezahlen als mit den Bibern. Aber wo ist das gute Kind eines schlimmen Vaters? Hat sie vergessen, was sie einem alten Mann versprochen?“
„Auf dem Berg! auf dem Berg!“ schrie Luise entsetzt. „Sie sucht Euch auf dem Berge!“
Natty bebte bei dieser unerwarteten Nachricht um etliche Schritt zurück.
„Herr, Gott im Himmel, sey ihr gnädig! Sie ist auf dem Visionsberge, der im gegenwärtigen Augenblicke nur ein Flammenmeer bildet. Kind, wenn Sie die Arme lieben und einen Freund zu finden hoffen, wann er Ihnen am meisten Noth thut, so eilen Sie in das Dorf und machen Sie Lärm. Eine gehörige Anzahl Menschen vermag das Feuer vielleicht zu bekämpfen, und so bleibt doch noch eine Hoffnung. Fliegen Sie! Ich bitte, fliegen Sie! Sie dürfen sich nicht einmal Zeit lassen, Athem zu schöpfen.“
Lederstrumpf hatte kaum diese Einschärfung erlassen, als er im Gebüsche verschwand, und Luise sah ihn letztmals, wie er den Berg hinan eilte, und zwar mit einer Hast, wie sie nur Männern zu Gebote steht, die an derartigen Anstrengungen gewöhnt sind.
„Hab' ich Sie gefunden?“ rief der alte Mann, als er sich durch den Rauch Bahn gebrochen. „Gott sey gelobt, daß ich Sie gefunden habe! Doch folgen Sie mir; jetzt ist keine Zeit zum Schwatzen.“
„Aber mein Anzug!“ entgegnete Elisabeth. „Ich darf mich darin der Flamme nicht weiter nähern.“
„Ich dachte wohl an diese luftigen Dinger,“ rief Natty, indem er die Falten einer hirschledernen Decke lößte, die er um den Arm geschlungen trug, und das Mädchen auf eine Weise darein hüllte, daß ihre ganze Person geschützt war. „Jetzt folgen Sie mir; unser Aller Leben steht auf dem Spiele!“
„Aber John! was soll aus John werden?“ rief Edwards. „Können wir den alten Krieger dem sichern Tode preisgeben?“
Die Augen Natty's folgten der Richtung von Edwards Finger und erblickten den Indianer, der noch immer wie früher dasaß, obschon sich bereits die Erde unter seinen Füßen im Feuer verzehrte. Der Jäger näherte sich unverzüglich der Stelle und sagte in der Sprache der Delawaren —
„Auf und fort, Chingachgook! Willst Du hier bleiben und verbrennen, wie ein Mingo am Pfahle? Die Herrenhuter haben Dich hoffentlich etwas Besseres gelehrt. Gott steh' mir bei, das Pulver ist zwischen seinen Beinen losgegangen und hat die Haut seines Rückens geröstet. Willst Du kommen, frage ich? Willst Du folgen?“
„Warum sollte Mohegan gehen?“ erwiederte der Indianer düster. „Er hat die Tage eines Adlers gelebt und sein Auge wird trübe. Er sieht in das Thal, er sieht auf das Wasser, er sieht in die Jagdgründe — aber er sieht keinen Delawaren. ,Jeder hat eine weiße Haut. Meine Väter rufen aus dem fernen Lande: komm! Meine Weiber, meine jungen Krieger, mein Stamm — alles ruft: komm! Der große Geist sagt: komm! Laßt Mohegan sterben.“
„Aber Du vergißst Deinen Freund —“ rief Edwards.
„Es ist nutzlos, zu einem Indianer zu sprechen, wenn er den Tod vor Augen hat. Junge,“ unterbrach ihn Natty, indem er die Streifen der Decke ergriff und mit wunderbarer Gewandtheit den leidenden Häuptling auf seinen eigenen Rücken band. Dann wandte er sich um, und mit einer Kraft, die nicht allein seinen Jahren, sondern auch seiner Bürde Trotz zu bieten schien, ging er in derselben Richtung, in welcher er hergekommen war, voran. Kaum hatten sie die Terrasse verlassen, als einer der abgestorbenen Bäume, der schon seit einer Minute gewankt, über die Stelle, wo sie eben gestanden hatten, stürzte und die Luft mit seinen Funken erfüllte.
Ein solches Ereigniß war schon im Stande, die Schritte der Entweichenden zu beschleunigen, welche jetzt Lederstrumpf mit einer Hast, wie sie der Augenblick erforderte, folgten.
„Tretet auf den weichen Grund,“ rief er, als sie von dem Gewölke so umhüllt waren, daß ihnen der Gesichtssinn nur wenig fruchtete; „und haltet Euch in dem weißen Rauche. Schling' dieß Fell fest um sie, Junge; sie ist ein Schatz, wie so leicht nicht wieder einer gefunden wird.“
Der Anweisung des Jägers gehorsam folgten die Beiden seinen Tritten, und obgleich der enge Pfad, welcher die Windungen der Quelle andeutete, durch brennende Stämme und fallende Zweige führte, so fanden sie doch glücklich einen Ausweg. Nur ein durch lange Gewohnheit mit den Wäldern vertrauter Mann konnte diese Richtung durch einen Rauch auffinden, in welchem kaum das Athmen möglich und der Sinn des Gesichts fast nutzlos war. Natty's Erfahrung brachte sie jedoch zu einer Oeffnung in dem Felsen, wo sie mit geringer Mühe zu einer andern Terrasse gelangten und in einer leidlich reinen Atmosphäre wieder auftauchten.
Edward's und Elisabeth's Empfindungen, als sie diesen Ort erreichten, lassen sich wohl fühlen, aber nicht so leicht beschreiben. Niemand schien jedoch entzückter als ihr Führer, der — immer noch mit Mohegan auf dem Rücken — sich umwandte und mit seinem eigenthümlichen Lachen sprach: