„Und was begannst Du?“
„Ich? Je nun, ich gab mein letztes Geld aus, um eine Büchse zu kaufen, hüllte mich in ein grobes Gewand und bildete mich an Lederstrumpfs Seite zum Jäger. Das Uebrige ist Ihnen bekannt, Richter Temple.“
„Und warum wollte man nichts von dem alten Fritz Hartmann?“ sprach der Deutsche vorwurfsvoll. „Hast Du nie den Namen des alten Fritz Hartmann aus dem Munde Deines Vaters gehört, Junge? “
„Ich mag wohl Uurecht gethan haben, meine Herrn,“ entgegnete der Jüngling; „ aber ich besaß zu viel Stolz, um unser Unglück zur Schau zu stellen, das auch an dem heutigen Tage gegen meinen Willen an's Licht gefördert wurde. Ich hatte Pläne, die vielleicht träumerisch waren; ich gedachte aber immer, meinen Großvater, wenn er den Herbst erleben sollte, nach New-York mitzunehmen, wo noch einige entfernte Verwandte leben, die wohl im Laufe der Zeit vergessen haben müssen, daß er Tory war. Aber er schwindet rasch dahin,“ fuhr er wehmüthig fort, „und wird bald an der Seite des alten Mohegan ausruhen.“
Die Luft war rein, der Tag schön, und so blieb die Gesellschaft auf dem Felsen, bis man die Räder von Richter Temples Wagen an der Seite des Berges herauf rasseln hörte. Die Unterhaltung wurde in der Zwischenzeit mit lebhaftem Interesse fortgeführt, und jeder Augenblick warf auf irgend eine zweideutige Handlung ein günstigeres Licht, so daß der Widerwille des Jünglings gegen Marmaduke sichtlich schwächer wurde. Er hatte nicht länger etwas gegen die Entfernung seines Großvaters einzuwenden, der eine kindische Freude an den Tag legte, als er sich wieder einmal in einem Wagen sitzen sah. In der weiten Halle des Herrnhauses angelangt, ließ der Greis seine Augen langsam über die Ausstattung des Raumes hingleiten und durch das peinliche Irrereden, worin er den Umstehenden ohne Unterlaß irgend eine nutzlose Höflichkeit anbot, schien für Momente ein und der andere Lichtblick des Geistes seine Züge zu überfliegen. Die Anstrengung und die Veränderung seiner Lage hatten bald eine solche Erschöpfung zur Folge, daß man ihn zu Bette bringen mußte, wo er viele Stunden liegen blieb, zwar erfreut über die neue Bequemlichkeit, die sich ihm jetzt darbot, aber auch ein schmerzliches Bild der menschlichen Natur, in welchem sich deutlich aussprach, daß die thierischen Neigungen fortwähren, selbst wenn der edlere Theil unseres Wesens entschwunden ist.
Effingham verließ seinen Großvater nicht, bis derselbe zur Ruhe gebracht war, worauf Natty an seiner Seite Platz nahm. Dann erst entsprach er den Aufforderungen des Richters, ihm in das Bibliothekzimmer zu folgen, wo der Letztere nebst Major Hartmann seiner harrte.
„Lies dieses Papier, Oliver,“ begann Mrmaduke, als der Jüngling eingetreten war, „und du wirst finden, daß es mir nicht entfernt zu Sinne kam. Deiner Familie bei meinen Lebzeiten Unrecht zu thun, der ich mir's im Gegentheil zur Aufgabe machte, Sorge zu tragen, daß ihr auch nach meinem Tode noch Gerechtigkeit widerfahre.“
Der Jüngling nahm das Blatt, und der erste Blick sagte ihm, daß es das Testament des Richters sey. Trotz seiner Aufregung entgieng es ihm doch nicht, daß das Datum genau mit der Zeit zusammentraf, da er an Marmaduke jene ungewöhnliche Gemüthsbeschwerung wahrgenommen hatte. Während des Lesens begannen seine Augen feucht zu werden, und die Hand, welche das Document hielt, zitterte heftig.
Das Testament begann mit den gewöhnlichen Förmichkeiten, die durch den Scharfsinn des Herrn Van der School noch weitläufig ausgesponnen waren; nach der Einleitung ließ sich jedoch Marmaduke's Styl nicht verkennen. Er berichtete in klarer, bestimmter, männlicher und sogar beredter Sprache seine Verbindlichkeiten gegen den Obersten Effingham, die Natur ihrer Verbindung und die Umstände, durch welche sie getrennt worden. Er ging sodann auf die Gründe seines langen Schweigens über, ohne dabei der großen Summen zu vergessen, die er seinem Freunde zugeschickt, aber in den uneröffneten Briefen wieder zurück erhalten hatte. Ferner sprach er von seinen Bemühungen, den Großvater, der auf eine räthselhafte Weise verschwunden, aufzusuchen, und von seinen Besorgnissen, der nächste Erbe der ihm anvertrauten Güter möchte mit seinem Vater in den Wellen des Oceans umgekommen seyn.
Nach einer kurzen, deutlichen Nebeneinanderstellung der Ereignisse, deren Zusammenhang der Leser jetzt herausfinden wird, waren die Summen aufgeführt, welche Obrist Effingham seinem Freunde anvertraut hatte. Dann kam eine Theilung von Marmaduke's ganzem Besitzthum in zwei gleiche Hälften, deren Vollzug an bestimmte verantwortliche Curatoren verwiesen war. Vermöge derselben sollte der eine Theil an seine Tochter, der andere an Oliver Effingham, früher Major in der brittischen Armee, seinen Sohn Eduard Effingham und den Sohn dieses Letzteren oder deren Nachkommen fallen. Dieses Testament sollte bis 1810 in Kraft bleiben: wenn in dieser Frist Niemand erschien oder, nach hinreichender Veröffentlichung, aufgefunden werden könnte, um genannte Hälfte in rechtmäßigen Anspruch zu nehmen, so sollte eine gewisse Summe im Betrag der Capital- und Zinsenschuld an den gesetzlichen Erben der Effingham'schen Familie ausbezahlt werden, und die Gesammtmasse des Grundbesitzes seiner Tochter oder ihren Erben verbleiben.
Thränen entfielen den Augen des jungen Mannes, während er dieses unzweifelhafte Zeugniß von Marmaduke's Redlichkeit las, und sein wirrer Blick haftete noch immer auf dem Papiere, als eine Stimme, bei deren Tönen ihm jeder Nerv bebte, in seiner Nähe sprach:
„Zweiseln Sie noch immer an uns, Oliver?“
„An Ihnen habe ich nie gezweifelt,“ rief der Jüngling, indem er sich aufraffte und auf Elisabeth zueilte, um ihre Hand zu ergreifen. „Nein, mein Glaube an Sie hat keinen Augenblick gewankt.“
„Und mein Vater — —“
„Gottes Segen über ihn!“
„Ich danke Dir, mein Sohn,“ versetzte der Richter, indem er den warmen Händedruck des Jünglimgs erwiederte. „Wir waren jedoch beide auf einem Irrwege; Du bist zu hastig gewesen und ich war zu langsam. Die eine Hälfte meines Besitzthums ist Dein Eigenthum, sobald es auf Dich übertragen werden kann, und wenn mich meine Ahnungen nicht trügen, so vermuthe ich, daß ihr die andere wohl auch bald folgen wird.“
Er nahm die Hand, welche er noch immer festhielt, und vereinigte sie mit der seiner Tochter, worauf er dem Major nach der Thüre winkte.
„Ich will Dir was sagen, Mädel!“ sprach jetzt der alte Deutsche gut gelaunt. „Wenn ich noch wäre, was ich war, als ich mit seinem Großvater an den Seen Dienst leistete, so sollte mir der träge Hund da den Preis nicht so mir nichts dir nichts vor der Nase wegschnappen.“
„Komm, komm alter Fritz,“ sagte der Richter; „Du bist siebenzig, nicht siebzehn. Richard hat für uns in der Halle eine Bowle Eierpunsch parat.“
„Richard? Ei, der Teufel?“ rief der Andere, aus dem Zimmer eilend; „der macht seinen Punsch für die Pferde. Ich muß es dem Sheriff eigenhändig zeigen. Zum Teufel, er wäre im Stande, ihn mit Yankeesyrup zu zuckern!“
„Marmaduke lächelte, nickte dem jungen Paare freundlich zu und schloß die Thüre hinter sich; wenn indeß der geneigte Leser glaubt, daß wir, ihm zu Gefallen, sie wieder öffnen werden, so ist er im Irrthume.
Das tête-à-tête währte eine geraume Zeit; wie lange? können wir nicht sagen, denn es ist uns nur bekannt, daß es um sechs Uhr Abends durch die Ankunft Monsieur Le Quoi's unterbrochen wurde, welcher, der Uebereinkunft des vorangehenden Tages zu Folge, sich bei Miß Temple eine Audienz erbat. Er wurde vorgelassen, und trug sofort der Dame in den zierlichsten Ausdrücken die Hand an, wobei er es nicht unterließ, auf seine einflußreichen amis, seinen père, seine mère und seine Sucre-plantage aufmerksam zu machen. Elisabeth mußte wohl bereits irgend eine bindende Verpflichtung gegen Oliver eingegangen haben, denn sie lehnte das zarte Anerbieten zwar in höflichen, aber doch vielleicht in entschiedeneren Ausdrücken ab, als es gestellt worden war.