„Ich nicht wissen, wo er herkommen,“ sagte der Schwarze, indem er jeden Zug von Heiterkeit in einen Ausdruck von Bewunderung umwandelte. „Aber Jedermann sagen, er wunderbar schön seyn.“
„Das darf man auch, Aggy,“ rief Richard , indem er von dem Hirsche wegtrat und mit der Miene eines Mannes, in dem ein neues Interesse geweckt worden ist, auf den Neger zuging.“Ich denke, ich darf ohne Ruhmredigkeit sagen, daß es die schönste und am wissenschaftlichsten construirte Provinzialkirche in Amerika ist. Die Ansiedler von Connecticut sprechen zwar viel von ihrem Versammlungshause in Weatherfield, aber ich glaube ihnen kaum die Hälfte davon, denn sie sind heillose Prahlhänse. Kaum hat man etwas zu Stande gebracht, dessen Werth sie anerkennen müssen, so kommen sie gleich mit etwas dazwischen; und dann ist zehn gegen eins zu wetten, daß sie sich die Hälfte, wo nicht gar das Ganze des Ruhms zueignen. Du erinnerst Dich noch, Aggy, wie ich den Schild des Dragoners für den Capitän Hollister malte; da km denn ein Kerl, der in dem Dorf die Häuser mit Röthel anstrich, eines Tages zu mir und erbot sich, mir das Haarschwarz, das ich so nenne, weil es gerade wie Roßhaar aussieht, für den Schwanz und die Mähne zu mischen. Hintendrein geht er hin und erzählt aller Welt, daß der Schild von ihm und Squire Jones gemalt worden sey. Wenn Marmaduke diesen Schuft nicht aus dem Patent jagt, so kann er meinetwegen in Zukunft sein Dorf mit eigenen Händen ausschmücken.“
Richard hielt einen Augenblick inne und klärte seine Kehle durch ein lautes Hem, während der Neger, der die ganze Zeit über mit Zurichtung des Schlittens beschäftigt gewesen war, sein Geschäft mit respectvollem Schweigen fortsetzte. In Gemäßheit der religiösen Bedenklichkeiten des Richters war Aggy nur Richard's jeweiliger Sclave, [Die Freilassung der Sclaven in New-York ging nur allmählig vor sich. Sobald sich die öffentliche Meinung für dieselbe erklärte, wurde es üblich, die Dienste eines Sclaven auf acht oder zehn Jahre unter der Bedingung zu erkaufen, daß derselbe nach Ablauf dieser Periode in Freiheit gesetzt werde. Dann traf das Gesetz die Verfügung, daß alle auf dem amerikanischen Continent geborenen Neger nach einer bestimmten Frist — die Männer im achtundzwanzigsten, die Weiber im dreiundzwanzigsten Jahre — frei sein sollten. Der Eigenthümer mußte sie später lesen und schreiben lernen lassen, ehe sie das achtzehnte Jahr erreicht hatten, und endlich wurden alle noch vorhandenen Sclaven durch eine im Jahr 1826 erlassene Akte — also erst nach Veröffentlichung der gegenwärtigen Erzählung — für Freie erklärt. Bei Leuten, welche mehr oder weniger mit Quäkern, bei denen das Sclavensystem schon viel früher abgeschafft war, in Berührung kamen, war die erstere dieser Methoden die üblichste.] weßhalb indeß der Gebieter natürlich mit Recht die Achtung des jungen Negers ansprechen konnte. Doch wenn irgend ein Streit zwischen seinem gesetzlichen und seinem eigentlichen Herrn vorfiel, so fühlte der Schwarze zu viel Verehrung für beide, um einer eigenen Meinung Worte zu leihen. Inzwischen fuhr Richard fort, den Neger zu beobachten, wie dieser eine Schnalle nach der andern anzog, bis er mit einem Blicke nach seinem Gehülfen, in dem sich einiges Schuldbewußtseyn aussprach, fortfuhr:
„Nun, wenn der junge Mann, der in jenem Sleigh war, ein ächter Ansiedler aus Connecticut ist, so wird er Jedermann erzählen, daß er meine Pferde gerettet, obgleich ich sie mit der Peitsche und dem Zügel weit besser vorwärts gebracht hätte, und zwar ohne umzuwerfen, wenn er mich nur noch eine halbe Minute hätte warten lassen, denn ein Pferd hat's nicht gerne, wenn man ihm eins auf den Kopf gibt. Es sollte mich nicht Wunder nehmen, wenn mir durch diesen Schlag der ganze Zug so verdorben wäre, daß ich die Rosse sammt und sonders verkaufen müßte.“
Richard hielt inne und hustete abermals, denn sein Gewissen schlug ihn stärker wegen des Tadels über einen Mann, der ihm eben das Leben gerettet hatte.
„Wer ist der junge Mensch, Aggy?“ fügte er bei; „ich kann mich nicht erinnern, ihn je vorher gesehen zu haben.“
Der Schwarze gedachte der Hindeutung auf den Santiclaus und erstattete einen kurzen Bericht, wie sie die fragliche Person auf dem Gipfel des Berges getroffen, wobei er es aber vermied, der zufälligen Verwundung zu erwähnen und nur beifügte, daß er glaube, der Jüngling sey ein Fremder. Richard war mit dieser Erklärung völlig zufrieden, denn es kam oft vor, daß Leute vom ersten Rang Fremde, die sie im Schnee hinwaten sahen, in ihre Schlitten nahmen. Er hörte Aggy mit großer Aufmerksamkeit an und bemerkte sodann:
„Nun, wenn der junge Mensch nicht durch die Leute in Templeton verderbt worden ist, so läßt er sich vielleicht bescheiden an, und da seine Absicht ohne Zweifel eine gute war, so will ich einige Notiz von ihm nehmen. Vielleicht ist er ein Land-Jäger, [Land-hunter, einer der Land für eine Niederlassung aufsucht.] Aggy — meinst Du nicht?“
„Ey, ja, Massa Richard,“ entgegnete der Schwarze ein wenig verwirrt, denn ihm schwebte bereits die Peitsche seines Gebieters vor, die einen nicht geringen Schrecken in ihm weckte: — „ja. Sir, ich glaube, er so seyn.“
„Hatte er einen Pack und eine Axt?“
„Nein.,Sir, nur eine Büchse.“
„Büchse?“ rief Richard, als er die zum Entsetzen sich steigernde Verwunderung des Schwarzen gewahrte. „Beim Jupiter, so hat er den Hirsch erlegt! Ich wußte ja, daß Marmaduke keinen Bock im Sprunge schießen kann. Wie war es, Aggy? Erzähle mir alles. Wie ich meinen Vetter aufziehen will! Heraus damit, Aggy nicht wahr, der junge Mensch hat den Bock geschossen und der Richter ihn gekauft? Ha, ha, ha! Nicht wahr? — und jetzt nimmt er ihn mit hinunter, um ihm das Geld auszuzahlen?“
Die Freude über diese Entdeckung versetzte Richard in eine so gute Laune, dß die Furcht des Negers einigermaßen verschwand und er sich wieder an die Strümpfe des Santiclaus erinnern konnte. Nach einigem Rülpsen schickte er sich zu der Erwiederung an:
„Ihr vergeßt, daß zwei Schuß da seyn, Sir.“
„Lüge nicht, Du schwarzer Schlingel!“ rief Richard, indem er auf den Schneedamm stieg, um den rücken des Negers mit seiner Peitsche erreichen zu können. „Sprich die Warheit, oder Du sollst mir's büßen.“
Mit diesen Worten erhob Richards Rechte langsam den Peitschenstock und wichste die Schnur mit der Linken, wie es der Profoß macht, ehe er die „Katze“ wissenschaftlich applicirt, worauf Agamemnon, nachdem er jede Seite seines Körpers seinem Herrn zugewendet, aber nicht für räthlich gefunden hatte, eine derselben der beabsichtigten Züchtigung auszusetzen, nachgab. Er bekannte in wenig Worten das wahre Sachverhalten, indem er zugleich Richard dringend beschwor, ihn gegen den Unwillen des Richters in Schutz zu nehmen.
„Das will ich, Junge — das will ich,“ rief der Andere, sich entzückt die Hände reibend. „Sage nichts und überlasse es mir, meinen Vetter zu bearbeiten. Ich hätte gute Lust, den Hirsch hier liegen zu lassen und den alten Knaben selbst heraufzuschicken, um ihn abzuholen. Doch nein, Marmaduke soll mir zuvor ein Bischen dick thun, ehe ich über ihn her will. Beeile Dich, Aggy; ich muß den jungen Mann verbinden helfen. Dieser Yankee-Doktor [Der Ausdruck „Yankee“ hat in Amerika blos eine locale Bedeutung und mag wohl in der Art, wie die Indianer in Neu-England das Wort „English“ oder „Yengeese" ausprechen, seine Entstehung ableiten. Da New-York ursprünglich eine holländische Provinz war, so kannte man ihn dort natürlich nicht, und weiter im Süden haben wahrscheinlich die verschiedenen Dialekte unter den Eingeborenen selbst eine verschiedene Pronunciation veranlaßt. Marmakuke und sein Vetter, als eingeborne Pennsylvanier, waren keine Yankees in der amerikanischen Bedeutung des Worts.] versteht nichts von der Chirurgie — habe ich doch auch des alten Milligan's Bein halten müssen, während er es amputirte."
Richard setzte sich nun wieder auf den Bock, der Schwarze nahm den Hintersitz ein, und die Pferde trabten der Heimath zu. Während sie so den Berg hinunter fuhren, wandte der Rossebändiger sein Gesicht von Zeit zu Zeit nach dem Schwarzen zurück und fuhr fort zu sprechen, denn ungeachtet ihres kürzlichen Zerwürfnisses herrschte doch jetzt wieder die vollkommenste Eintracht zwischen Herr und Diener.