„Das sieht ganz in Ihrem Belieben, alter Herr.“ erwiederte Jones, indem er es versuchte, eine gleichgültige Miene anzunehmen. „Sie können ihn ja in Ihr steinernes Haus mitnehmen, Major, denn ich wette darauf, der Bursche hat in seinem ganzen Leben nie auf etwas Besserem, als auf einem Holzblocke geschlafen, wenn er nicht allenfalls in einer Hütte, wie die des Lederstrumpf, eine Streu fand. Sie werden ihn indeß bald verwöhnt haben, denn man sah ja, wie ihm schon in der kurzen Zeit, die er bei den Köpfen meiner Pferde stand, als ich mit ihnen in den Weg einlenkte, der Kamm schwoll.“
„Nein, nein, mein alter Freund.“ rief Marmaduke, „es soll meine Aufgabe seyn, auf irgend eine Weise für den Jüngling zu sorgen. Ich habe eine eigene Schuld an ihn abzutragen, abgesehen von dem Dienste, den er mir in der Rettung meiner Freunde erwiesen. Es wird indeß einige Mühe kosten, ihn zu der Annahme meiner Offerte zu bewegen. Es schien mir, er zeige einen entschiedenen Widerwillen, als ich ihm für die Dauer einen Aufenthalt in diesen Mauern anbot. Was meinst Du. 'Beß ?
„In der That, lieber Vater.“ sagte Elisabeth, ihre schöne Unterlippe ein wenig aufwerfend, „ich habe die Züge des Herrn nicht so genau studirt, um seine Gefühle darin lesen zu können. Es
kam mir indeß ganz natürlich vor, daß die Wunde ihm Schmerz verursachte, und deshalb bemitleidete ich ihn; aber ich glaube“ — ihr Auge glitt während dieser Worte mit unterdrückter Neugierde nach dem Major domo — „ich glaube, lieber Vater, Benjamin, kann Dir weitere Auskunft über ihn geben, denn der junge Mann ist bestimmt nicht in dem Dorfe gewesen, ohne daß er von Benjamin gesehen worden wäre.“
„Wenn Natty Bumppo nach einem Hirsche durch die Berge zieht, so schleppt er ihn immer in seinem Kielwasser nach wie eine Albany-Schaluppe, die ein holländisches Langbot im Schlepptau hat. Auch führt er eine gute Büchse; ich hörte erst letzten Dienstag Abend Lederstrumpf in Betty Hollisters Schenkstube sagen, daß der junge Mann dem Wilde sicheren Tod bringe. Wenn er übrigens nur die wilde Katze schießen könnte, die man kürzlich an dem Ufer des See's hat mauen hören, denn d hat der Frost und der harte Schnee die Hirsche in Rudel zusammengetrieben — und so würde er wenigstens doch etwas thun, was nützlich wäre. So eine wilde Katze ist ein böser Schiffskamerad, und sollte nie das Fahrwasser eines Christen kreuzen.“
„Wohnt er in Bumppo's Hütte?“ fragte Marmaduke mit einigem Antheil.
„Wang' an Wange, Herr. Am Mittwoch werden es drei Wochen, daß er sich zum ersten Mal in Lederstrumpfs Gesellschaft sehen ließ. Sie brachten einen erlegten Wolf ins Dorf, dessen Haut sie als Geschenk ins Herrenhaus brachten! Dieser Meister Bumppo hat eine große Geschicklichkeit im Hautabziehen, und es gibt Leute im Dorf, welche sagen, er habe dieses Handwerk an Christenscalpen gelernt. Wenn das wahr wäre, und ich an dieser Küste das Commando hätte, wie es bei Euer Gestrengen der Fall ist, ei so sollte er mir dafür jetzt noch auf die Laufplanke; da steht ein gar hübscher Pfahl vor den Blöcken, und was die Katze anbelangt, so wollte ich ihre neun Schwänze recht hübsch eigenhändig zusammen drehen — ja, und in Ermangelung eines besseren auch führen.“
„Ihr müßt nicht Allem, was Ihr über Natty hört, Glauben beimessen. Er hat eine Art natürliches Recht, sich seinen Unterhalt in diesen Bergen zu suchen, und wenn die Müssiggänger des Dorfes ihm eine Unbild zufügen wollten, wie sie es hin und wieder bei anerkannten Landstreichern machen, so werden sie finden, daß er unter dem Schutze des starken Arms der Gesetze steht.“
„Die Büchse schützt sie besser als das Gesetz,“ sagte der Major lakonisch.
„Ich gebe nicht so viel für seine Büchse,“ rief Richard, mit seinen Fingern schnippend. „Ben hat Recht und ich — —“
Hier wurde ihm durch das Läuten einer gewöhnlichen Schiffsglocke Halt geboten, die von dem Glockenthurm der Akademie herunter bimmelte und der Gemeinde anzeigte, daß die Stunde für den Gottesdienst gekommen sey.
„ ,Für diesen und jeden andern Beweis Seiner Güte‘ — ich bitte um Verzeihung; Herr Grant; wollen Sie so gefällig seyn und das Dankgebet sprechen? Es ist Zeit zum Aufbruche, da wir die einzigen Bischöflichen in der Gegend sind — das heißt ich, Benjamin und Elisabeth, denn ein Halbgläubiger wie Marmaduke ist so schlimm als ein Ketzer.“
Der Geistliche stand auf und sprach in demuthsvoller Andacht das Gebet, worauf sich die ganze Gesellschaft zu dem Gange nach der Kirche — oder vielmehr nach der Akademie, anschickte.
Zehntes Kapitel.
Und zum Gebet ruft Eva's sündige Kinder
In ernsten Tönen der metall'ne Mund.
Scott's Bürger.
Richard und Monsieur Le Quoi schlugen, von Ben begleitet, einen mit Schnee bedeckten Fußpfad nach der Akademie ein, während der Richter, der Geistliche und der Major den zwar weiterem aber betreteneren Weg durch das Dorf wählten.
Der Mond war aufgegangen, und seine Scheibe goß ihren Lichtstrom über die dunkeln Umrisse der Fichten, welche das östliche Gebirg krönten. Der Himmel war so klar und hell, wie in manchen andern Gegenden zur Mittagszeit. Die Sterne blinkten in der leuchtenden Atmosphäre, wie das letzte Flimmern eines ersterbenden Feuers, und die Strahlen des Mondes, die sich auf der weißen glatten Oberfläche des See's und der Felder brachen, warfen ein Licht zurück, das durch die fleckenlose Farbe der unermeßlichen Schneemassen, welche die Erde bedeckten, noch erhöht wurde.
Während der Sleigh sich leicht und stetig durch die Hauptstraße bewegte, beschäftigte sich Elisabeth mit Lesen der Inschriften, die fast über jeder Thüre angebracht waren. Mit jedem Schritte, den die Pferde vorwärts thaten, begegneten ihre Augen nicht nur neuen Gewerben, sondern auch Namen, die ihr fremd waren. Sogar die Häuser schienen verändert. Das eine hatte einen neuen Anbau erhalten, das andere war frisch angestrichen, und ein drittes stand an der Stelle eines bekannten, das eben so schnell von der Erde wieder verschwunden war, als man es aufgebaut hatte; aber alle schienen sich ihrer Bewohner entledigt zu haben, denn Männer, Weiber und Kinder strömten nach der Stelle, wo ihrer ein Schaugericht aus Richard's und Benjamin's Kunstküche harrte.
Nachdem unsere Heldin die Gebäude, welche sich allerdings in dem hellen und weichen Mondlichte ziemlich vortheilhaft ausnahmen, genugsam betrachtet hatte, wandte sie ihre Blicke nach den verschiedenen vorbeieilenden Gestalten, ob sie nicht irgend einen Bekannten fände. In ihre Mäntel, Capuzen, Ueberröcke und Krägen gehüllt, schienen sich jedoch alle zu gleichen, und Elisabeths Augen spähten um so mehr vergeblich, da die schnell dahingleitenden Personen großentheils hinter den Schneehaufen, welche man vor den Häusern aufgeschaufelt hatte, um einen Weg zu bahnen, verborgen waren. Ein oder zweimal kam es ihr vor, als bemerkte sie einen bekannten Gang, oder eine Figur, deren sie sich erinnern konnte, aber dann verlor sie dieselbe schnell wieder hinter einem jener ungeheuern Holzhaufen, die fast vor jeder Thüre lagen. Erst als sie von der Hauptstraße in eine zweite einbog, welche die erstere in einem rechten Winkel durchschnitt und geradezu nach dem Versammlungsplatz führte, traf sie auf ein Gesicht und ein Gebäude, die ihr beide nicht fremd waren.
Das Hans stand an einer der Hauptecken des Dorfes und bekundete sich durch den zertretenen Weg vor dem Eingange sowohl, als durch das Schild, das unter den vom See herkommenden Windstößen mit ächzenden Tönen hin und her pendelte, als eines der besuchtesten Wirthshäuser in der Gegend. Das Gebäude war nur einen Stock hoch, aber die Dachfenster, der Anstrich, die Fensterläden und das lustige Feuer, das durch die Thüre sichtbar war, gaben ihm ein behagliches Aussehen, dessen sich nicht viele seiner Nachbarn erfreuten. Das Schild hing an einem gewöhnlichen Bierhausbalken, und stellte einen mit Säbel und Pistolen bewaffneten Reiter vor, der eine Bärenmütze auf dem Kopf trug, während das Thier eben die Vorderfüße zu einer Courbette erhoben hatte.