Alle diese Einzelnheiten ließen sich nebst einer etwas unleserlichen schwarzgemalten Inschrift, aus der jedoch Elisabeth, welche mit der Sache vorher schon vertraut war, ohne viele Mühe die Worte „zum kühnen Dragoner“ entziffern konnte, leicht im Mondlichte unterscheiden.
Als der Sleigh vorüberfuhr, traten eben ein Mann und eine Frau aus der Thüre des Hauses. Der erstere schritt in einer steifen militärischen Haltung, welche durch ein hinkendes Bein noch auffallender gemacht wurde, einher, während die Frau sich mit einer Miene vorwärts bewegte, die keine sonderliche Ehrfurcht vor dem, was ihrer wartete, ausdrückte. Die Strahlen des Mondes fielen gerade auf ihr breites und volles Gesicht, und ließen unter der Garnitur der Haube, welche die Linien eines nicht sehr reinlichen Gesichtes mildern sollte, ziemlich männliche Züge erkennen. Auf dem Hintertheile ihres Kopfes saß ein kleiner, schwarzer, seidener Hut, ohne jedoch das liebenswürdige Antlitz zu beschatten, das sich im Mondlichte fast wie eine im Westen aufgehende Sonne ausnahm. Sie eilte mit männlichen Schritten vorwärts, um den Sleigh einzuholen; der Richter befahl daher dem Namensvetter des griechischen Königs, der die Zügel hielt, mit den Pferden zu halten, worauf sich nun folgendes Gespräch entspann:
„Wünsche Glück und guten Willkomm in der Heimath, Richter,“ rief das Weib mit hartem irischem Accent; „mir wenigstens seyd Ihr immer willkommen. Und da ist auch Miß Lizzy — aber was das für ein hübsches Frauenzimmer geworden ist! Welch' ein Herzweh würde sie nicht den jungen Männern machen, wenn wir so etwas wie ein Regiment im Orte hätten! Doch sollte man nicht von solchen eitlen Dingen reden, wenn uns die Glocke zur Kirche ruft, da sie Einem, ehe man sich's versieht, zur letzten Rechenschaft abrufen kann. Guten Abend, Major! Soll ich Euch diesen Abend eine Bowle Wacholderpunsch bereit halten, oder wollt ihr die erste Nacht Eures Hierseyns, die noch obendrein die Weihnacht ist, in dem großen Hause zubringen?“
„Es freut mich, Euch zu sehen, Frau Hollister,“ sagte Elisabeth, „ich habe mich durch das ganze Dorf nach einem bekannten Gesichte umgesehen und kein einziges bis auf Euch gefunden. Auch Euer Haus ist noch das alte, während alle übrigen soverändert sind, daß ich sie nur noch an ihren Plätzen zu erkennen vermag. Ihr scheint auch das Schild sehr in Ehren zu halten, das ich meinen Vetter Richard malen sah, und auch den Namen untenherum, über den es, wie Ihr wißt, zwischen Euch und ihm zum Streite kam.“
„Ah, Ihr meint den kühnen Dragoner? Und welchen Namen wollte er denn haben, da mein seliger Mann nie unter einem andern bekannt war, wie mein Mann da, der Hauptmann, bezeugen kann? Er machte sich ein Vergnügen daraus, die Gäste zu bedienen und war immer der Vorderste, wo es galt. Aber ach, das hat Alles ein plötzliches Ende genommen; Ich hoffe indeß, daß er Gnade gefunden hat, wenn es mir der Pfarrer Grant auch hundert Mal in Abrede ziehen will. — Ja, ja, der Squire wollte das Schild malen, und da hielt ich es für das Beste, das Gesicht des Verstorbenen zu verewigen, der so oft Gutes und Schlimmes mit uns getheilt hatte. Freilich sind die Augen nicht so groß und so feurig, als die seinen; aber Bart und Mütze gleichen sich wie ein Ei dem andern. Doch ich will Euch nicht länger mit Schwatzen in der Kälte aufhalten, sondern morgen nach dem Gottesdienst einkehren und mich nach Eurem Befinden erkundigen. Es ist unsere Pflicht, von dem Augenblicke den besten Gebrauch zu machen, und das Haus zu besuchen, welches Allen offen steht. Gott behüte Euch und bewahre Euch vor allem Uebel. Soll ich den Geneverpunsch zurichten oder nicht. Major?“
Auf diese Frage antwortete der Deutsche einfach mit ja; und nachdem noch einige Worte zwischen dem Richter und dem Gatten der Dame mit dem rothen Gesicht gewechselt worden waren, bewegte sich der Sleigh weiter. Er erreichte bald die Thüre der Akademie, wo die Gesellschaft ausstieg, um sich in das Gebäude zu verfügen.
Da Herr Jones und seine zwei Gefährten einen weit kürzeren Weg eingeschlagen hatten, so waren sie einige Minuten vor dem Sleigh an Ort und Stelle angelangt. Aber anstatt nach dem Saale zu eilen, um sich an dem Erstaunen der Ansiedler zu weiden, spazierte Richard mit den Händen in den Taschen seines Ueberrocks vor der Akademie auf und ab, als wäre er bei all den prunkvollen Vorbereitungen nicht im Mindesten betheiligt.
Die Dorfbewohner begaben sich mit einem Anstand und einem Ernste, der ihnen bei solchen Anlässen nie fehlte, aber auch mit einer Hast, welche wahrscheinlich in der Neugierde ihren Grund hatte, in das Gebäude. Nur die aus der Nachbarschaft Herbeigekommenen zögerten noch eine Weile, um ihre blauen und weißen Decken über die Pferde zu legen, ehe sie dem Verlangen, das Innere des Hauses zu beaugenscheinigen, nachgaben. Richard näherte sich den meisten dieser Leute, und fragte sie nach dem Befinden ihrer Familien. Er kannte sogar die Namen ihrer Kinder, woraus sich entnehmen ließ, wie vertraut er mit ihren Verhältnissen war, und die Art der Antworten bezeichnete ihn als den allgemeinen Liebling.
Endlich trat ein Fußgänger aus dem Dorfe gleichfalls herbei, und musterte ernsten Blickes ein neues Backsteingebäude, welches, unter den Strahlen des Vollmondes, in schöner Abstufung einen langen Schatten über die Schneefelder warf. Vor der Akademie befand sich ein großer, freier, viereckiger Platz, an dessen Ende die neue und noch unvollendete St. Paulskirche stand. Das Gebäude war während des letzten Sommers auf Subscription — wie man es nannte — errichtet worden, obgleich bei weitem die Mehrzahl des Geldes aus Templeton's Kasse floß. Es hatte seine Entstehung der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit zu danken, einen schicklicheren Ort, als den Saal der Akademie, für die Gottesverehrung zu besitzen, wobei man der gemeinsamen Hoffnung lebte, daß nach Vollendung der Kirche die Entscheidung der Frage, welchem Glaubensbekenntnisse sie anheimfallen sollte, dem Volke anheimgegeben würde. Natürlich veranlaßte diese Aussicht eine lebhafte Aufregung unter einigen Sectirern, die sich bei der Sache für wesentlich betheiligt erachteten, obgleich öffentlich nur wenig darüber gesprochen wurde. Hätte sich der Richter Temple entschieden für irgend eine der verschiedenen Secten erklärt, so wäre der Streit schnell abgethan gewesen, da sein Einfluß zu mächtig war, um mit Erfolg gegen ihn ankämpfen zu können. So aber enthielt er sich jeder Einmischung, indem er es sogar entschieden verweigerte, den Einfluß Richard's durch das Gewicht seines Namens zu verstärken, trotz dem, daß dieser dem entsprechenden Bischof bereits die geheime Mittheilung gemacht hatte, Kirche und Gemeinde würden sich glücklich schätzen, in den Schooß der protestantisch-bischöflichen Kirche aufgenommen zu werden. Sobald indeß die Neutralität des Richters öffentlich bekannt war, fand Herr Jones, daß er gegen ein störriges Volk anzukämpfen hatte. Er versuchte es daher zuvörderst, die Bewohner des Dorfes durch Vernunftgründe für seine Ansicht zu gewinnen, indem er sie in ihren Häusern besuchte und theologische Controverse-Predigten hielt, welche auch geduldig und ohne ein Wort der Erwiederung angehört wurden, so daß Richard am Schlusse seiner Wanderung der Ansicht war, die Sache stehe entschieden zu seinen Gunsten. Um daher das Eisen zu schmieden,
so lange es noch heiß wäre, ließ er durch den Templetoner Anzeiger eine Versammlung ausschreiben, damit die Frage mit einem Male durch die Abstimmung bereinigt würde. Aber keine Seele erschien; und so wurde einer der drückendsten Nachmittage, den Richard je erlebt hatte, in einer zu nichts führenden Diskussion des genannten Herrn mit Frau Hollister verbracht, welche steif und fest behauptete, die methodistische Kirche (zu der sie selbst gehörte) sey die beste, und verdiene daher am allerehesten in den Besitz des neuen Gotteshauses zu kommen. Richard bemerkte jetzt, daß er zu sanguinisch in seinen Hoffnungen gewesen und in den Irrthum verfallen sey, dem sich alle diejenigen leicht aussetzten, welche ohne gehörige Sachkenntniß mit diesem klugen und vorsichtigen Volke verkehrten. Er suchte daher sich so gut als möglich zu verstellen, um auf diesem Wege Schritt für Schritt seinem Ziele näher zu kommen.