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Der Indianer bewegte sich mit feierlichem Ernste durch den Raum, und da er neben dem Richter einen leeren Sitz bemerkte, so nahm er denselben mit einer Miene ein, welche das Bewußtseyn seiner eigenen Würde bekundete. Hier blieb er, die Wollendecke so dicht um sich schlagend, daß sie einen Theil seines Gesichtes verbarg, den ganzen Gottesdienst über unbeweglich und in tiefer Aufmerksamkeit sitzen. Natty ging an dem Stuhle vorbei, dessen sich sein rother Gefährte so unumwunden bemächtigt hatte, und setzte sich auf das Ende eines Holzblockes, der in der Nähe des Feuers lag, wo er, mit der Büchse zwischen seinen Beinen, anscheinend nicht sehr erfreulichen Betrachtungen nachhing. Der Jüngling fand einen Sitz unter der Versammlung, und das frühere Schweigen trat wieder ein.

Herr Grant stand nun auf und begann den Gottesdienst mit dem erhabenen Ausspruch des Propheten:

„Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, laßt die ganze Erde vor ihm schweigen.“ Richard's Beispiel war unnöthig, um die Gemeinde zu lehren, daß sie aufstehen solle, da schon der feierliche Ernst des Geistlichen wie eine Zaubergewalt diese Wirkung hervorbrachte. Nach einer kurzen Pause fuhr Herr Grant in einer ernsten und erhebenden Mahnung fort. Man hörte nichts, als die tiefen und eindringlichen Worte des Redners, wie er langsam seinen Text erklärte, bis unglücklicher Weise Richard etwas Vergessenes einfiel und er auf den Zehen seinen Platz und das Schiff der Kirche verließ.

Als der Geistliche im Gebete seine Kniee beugte, abmte die Gemeinde in so weit dem Beispiele nach, daß sie ihre Sitze wieder einnahm; aber keine Bewegung desselben konnte sie vermögen, im Laufe dieses Abends zum zweiten Male in Masse aufzustehen.

Einige thaten es wohl hin und wieder, aber bei weitem die Mehrzahl rührte sich nicht. Sie ließ es zwar nicht an Aufmerksamkeit fehlen, aber es war eine Art von Aufmerksamkeit, welche die Handlung eher für ein Schauspiel ansah, als für eine Gottesverehrung, an der man Theil nehmen müsse. Von seinem Küster verlassen, fuhr Herr Grant fort zu lesen, ohne daß sich übrigens eine Antwort vernehmen ließ. Er hielt die kurzen und feierlichen Pausen, die jeder Bitte folgten, ein, aber keine Stimme respondirte dem beredten Gebet des Geistlichen.

Elisabeth's Lippen bewegten sich, aber sie brachten keine Worte hervor. An den Gottesdienst der Kirchen in Neu-York gewähnt, wurde ihr das Störende dieses Umstands ungemein peinlich, als auf einmal eine leise, sanfte Frauenstimme die Worte des Priesters wiederholte: „Wir haben unterlassen diejenigen Dinge, welche wir hätten thun sollen.“ Verwundert, eine Person ihres eigenen Geschlechts an diesem Orte zu finden, die sich über die angeborne Schüchternheit erheben konnte, wandte Miß Temple ihre Augen nach der Betenden, und bemerkte in kleiner Entfernung von sich selbst ein junges Frauenzimmer auf den Knieen, die ihr Gesicht demüthig auf ihr Gebetbuch senkte. Das Aueßere dieser Fremden — denn für Elisabeth war sie dieß im buchstäblichen Sinne des Wortes — war leicht und zart, ihr Anzug nett und anständig, und ihr Gesicht weckte, trotz seiner Blässe und Ergriffenheit, durch seinen angenehmen und wehmüthigen Ausdruck eine tiefe Theilnahme. Bei einer zweiten und dritten Bitte vertrat sie gleichfalls die Stelle des Chors, als auf einmal die kräftigen Töne einer Männerstimme von der andern Seite des Betsaales mit einstimmten. Miß Temple erkannte im Augenblick die Stimme des jungen Jägers, und ihre Muthlosigkeit bekämpfend, vereinigte sie ihre schwachen Laute mit denen der beiden andern Beter.

Diese ganze Zeit über hatte Benjamin emsig in seinem Gebetbuche geblättert, aber unglücklicher Weise die rechte Stelle nicht finden können. Ehe jedoch der Geistliche zu dem Schlusse der Beichtformel kam, erschien Richard wieder in der Thüre, und während er sich leichten Trittes durch den Raum hinbewegte, nahm er die Antwort mit einer Kraft auf, welche keine andere Besorgniß verrieth, als daß sie nicht möchte gehört werden. In seiner Hand trug er ein kleines, offenes Kästchen mit den schwarzgemalten Zahlen, 8 und 10, auf der einen Seite, welches er, augenscheinlich als einen Fußschemel für den Geistlichen, in die Kanzel stellte, worauf er zu seinem Platze zurückkehrte, und gerade noch zeitig genug daselbst anlangte, um mit einem volltönigem „Amen“ einfallen zu können. Als Herr Jones mit seiner seltsamen Last eintrat, waren die Augen aus einem leicht erklärlichen Grunde nach den Fenstern gerichtet; sie kehrten sich jedoch bald wieder in gespannter Aufmerksamkeit dem Prediger zu, da man bereits an die Thätigkeit des „Aushelfers in allen Dingen“ gewöhnt war. Langjährige Erfahrung hatte Herr Grant in den Stand gesetzt, sein dermaliges Amt auf eine bewunderungswürdige Weise durchzuführen. Er kannte den Charakter seiner Zuhörer, die als ein noch ungebildetes Volk, welches eifrig an den Spitzfindigkeiten ihrer verschiedenen religiösen Ansichten hielt, die Einführung eines so zeitlichen Beiwerks, wie Formeln, in ihre geistige Gottesverehrung nicht nur mit Eifersucht, sondern oft sogar mit Widerwillen betrachteten. Einen großen Theil seiner Kenntnisse hatte er dem Studium des großen Buches der Natur, das in der Welt offen vor uns da liegt gefunden, und da er wußte, wie gefährlich es sey, mit der Unwissenheit zu streiten, so bemühte er sich durchweg, Alles einem Befehl Aehnliche zu vermeiden, wo seine Vernunft es für räthlich erachtete, zu überzeugen. Seine Rechtgläubigkeit hing nicht mit seinem Priesterrocke zusammen. Er konnte, wenn es die Umstände erforderten, auch ohne den Beistand seines Küsters mit Glut und Andacht beten, wie man ihn auch oft einen sehr evangelischen Vortrag mit der vollen Kraft seiner Beredsamkeit halten hörte, ohne daß ihm dabei die Mithülfe eines weißen batistenen Tuches zu Gebot gestanden wäre.

In dem gegenwärtigen Falle sah er der Menge seiner Zuhörerschaft Manches nach; und als er mit seiner Rede zu Ende kam, war auch nicht einer in der ganzen Versammlung, dem die Feierlichkeit nicht weniger päbstlich und anstößig, und weit mehr im Einklange mit seinen eigenen Begriffen von wahrer Andacht erschienen wäre, als man ihm von einem Formengottesdienste glauben gemacht hatte.

Richard erblickte in dem Geistlichen während des ganzen Abends einen äußerst mächtigen Verbündeten für die Ausführung seiner religiösen Entwürfe. Herr Grant hatte sich in seiner Predigt bemüht, die Mittelstraße zwischen den mystischen Doctrinen jener sublimen Glaubensbekenntnisse, welche ihre Bekenner ohne Unterlaß in die abgeschmacktesten Widersprüche verwickeln, und den üblichen Vorschriften einer sittlichen Lebensnorm zu halten, welche unseren Erlöser in eine Reihe mit den Moralpredigern früherer und späterer Jahrhunderte stellen. Er mußte allerdings über Dogmen predigen, da sonst der Controverssucht seiner Zuhörer nicht gedient gewesen, und ein Schweigen in dieser Hinsicht für eine stillschweigende Anerkennung der Oberflächlichkeit seines Glaubensbekenntnisses genommen worden wäre. Wir haben bereits gesagt, daß die Ansiedler bei der Anzahl ihrer verschiedenen Religionslehrer gewohnt waren, von jedem Glaubensbekenntniß bestimmte, unterscheidende Lehrsätze zu verlangen, und eine Gleichgültigkeit in dieser Hinsicht hätte auf einmal den ganzen Einfluß des Geistlichen vernichtet. Aber Herr Grant verband die allgemein anerkannten Lehrbegriffe der Christusreligion so glücklich mit den Dogmen seiner eigenen Kirche, daß wohl Keiner von seinen Gründen unbewegt blieb und nur wenige an der Neuerung Anstoß nahmen.

„Wenn wir betrachten, wie verschieden sich der Charakter des Menschen unter dem Einfluß der Erziehung, der Verhältnisse und der natürlichen und sittlichen Anlagen entwickelt, meine lieben Zuhörer,“ schloß er seinen feierlichen Vortrag, „so kann es nicht überraschen, daß Glaubensbekenntnisse von so verschiedenen Richtungen aus einer Religion erstehen konnten, die allerdings eine geoffenbarte ist, deren Offenbarungen aber im Laufe der Zeit verdunkelt wurden, um so mehr, da ihre Lehrsätze nach der Sitte der Länder, in denen man sie zuerst vortrug, häufig in Parabeln und in eine von Bildern wimmelnde Sprache gekleidet waren. In Punkten, wo die Forscher bei aller Reinheit ihres Herzens zu verschiedenen Ansichten gelangten, muß sich nothwendig auch unter den Ungelehrten eine Spaltung herausstellen. Aber zum Glücke für uns, liebe Brüder, entspringt der Brunnen der göttlichen Liebe aus einer zu reinen Quelle, als daß er in seinem Laufe getrübt werden könnte. Er gibt Denen, die von seinem Lebenswasser trinken, den Frieden des Gerechten und das ewige Leben; er fließt fort durch alle Zeiten, und durchdringt die ganze Schöpfung. Wenn etwas Geheimnißvolles in einem solchen Walten liegt, so ist es das Geheimniß der Gottheit. Eine umfassende Kenntniß der Natur, der Macht und der Majestät Gottes kann allerdings Ueberzeugung geben, aber dann ist noch von keinem Glauben die Rede. Wenn man also von uns verlangt, an Lehrsätze zu glauben, welche mit den Folgerungen menschlicher Weisheit nicht im Einklange zu seyn scheinen, so laßt uns nie vergessen, daß wir dabei nur ein Gebot befolgen, das von der unendlichen Weisheit ergangen ist. Es muß uns genügen, daß uns ein Fingerzeig gegeben ist, der uns den rechten Weg kennen lehrt, und der den Erdenpilger nach der Pforte weist, hinter der sich uns das Licht des ewigen Lebens aufthut. Wenn wir nun diesen Weisungen folgen, so dürfen wir demüthig hoffen, daß die Nebel, welche die Spitzfindigkeiten der menschlichen Vernunft geschaffen haben, vor dem geistigen Lichte des Himmels verfliegen, und daß wir, wenn wir einmal unsere Prüfungszeit, unter Beihülfe der göttlichen Gnade, siegreich überstanden haben, die Größe Gottes schauen und die Seligkeit der Heiligen genießen dürfen. Alles was jetzt dunkel ist, wird vor unferm erweiterten Gesichtskreise klar werden, und Alles was sich mit unseren dermaligen beschränkten Begriffen von Gnade, Gerechtigkeit und Liebe nicht vereinigen läßt, sehen wir dort in dem hellen Lichte der Wahrheit, wo es sich als das Ergebniß der ewigen Weisheit und als das Wirken einer allmächtigen Liebe herausstellen wird.