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„Welch' eine ernste Aufforderung zur Demuth, meine Brüder, kann nicht ein jeder schon darin finden, wenn er auf die Tage seiner Kindheit zurückblickt, und sich seiner jugendlichen Leidenschaften erinnert! Wie verschieden erscheint nicht dieselbe Handlung elterlicher Strenge in den Augen des leidenden Kindes und in denen des gereiften Mannes! Wenn der Mensch, der sich weise dünkt, die wirren Sätze seiner weltlichen Weisheit an die Stelle einer unmittelbaren höheren Eingebung pflanzen will, so möge er bedenken, wie beschränkt sein eigener schwacher Verstand ist, und er wird sich nicht weiter überheben; ja er muß die Weisheit Gottes in dem, was theilweise verhüllt ist, ebenso gut erkennen, als in dem was offen vor ihm da liegt. An die Stelle seines Vernunftstolzes lasse er unterwürfige Demuth, Glauben und wahres inneres Leben treten! '

„Die Betrachtung dieser Frage, meine Zuhören enthält viel Tröstliches und hat ernste Aufforderungen zur Demuth in ihrem Gefolge, die in reinem Sinne geübt, das Herz bessert und den Kleinmuth des Erdenpilgers auf seiner Wanderschaft verscheucht. Es ist ein köstlicher Trost, die Zweifel unserer anmaßenden Natur an der Schwelle unserer ewigen Heimath niederlegen zu dürfen, von wo sie, sobald die Thüre sich öffnet, wie Morgennebel vor der aufsteigenden Sonne verschwinden. O, es liegt eine heilige Lehre in der Unzulänglichkeit unserer Kräfte, denn sie macht uns auf viele schwache Seiten anfmerksam, an denen wir von dem großen Feinde unseres Geschlechtes angegriffen werden können; sie zeigt uns, daß wir am ehesten der Gefahr ausgesetzt sind, zu fallen, wenn unsere Eitelkeit uns eben mit dem Gefühle der Stärke einschläfern will; sie macht uns gebieterisch aufmerksam auf den eiteln Ruhm unseres Verstandes und läßt uns den großen Unterschied zwischen einem beseligenden Glauben und den Auswüchsen einer so genannten philosophischen Gotteslehre erkennen; sie lehrt uns unser Inneres in dem Schmelztiegel der guten Werke erkennen. Unter den guten Werken sind aber die Früchte der Buße zu verstehen, die sich hauptsächlich in der Liebe äußern — nicht in jener Liebe allein, die uns veranlaßt, dem Bedürftigen zu helfen und den Leidenden zu trösten, sondern in der Liebe, welche alle Menschen umfängt und uns lehrt, den Nächsten mit Milde zu beurtheilen; die den Baum der Selbstgerechtigkeit mit der Wurzel ausrottet und uns warnt, Andere zu verdammen, so lange wir des eigenen Heils nicht versichert sind.“

„Die Nutzanwendung, welche ich aus der Beleuchtung dieses Gegenstandes ziehen will, meine Brüder, ist nichts weiteres als eine ernste Einschärfung der Demuth. In den Hauptpunkten unseres Glaubens ist ein geringer Unterschied, sobald man nur die Haupteigenschaften des Erlösers anerkennt und alle Hoffnungen auf sein göttliches Mittleramt baut. Aber Ketzereien haben von jeher den Schooß der Kirche befleckt und Spaltungen herbeigeführt. Um den daraus entspringenden Gefahren vorzubeugen und die Einheit seiner Jünger zu sichern, hat Christus seine sichtbare Kirche gegründet und das Predigtamt eingesetzt. Weise und heilige Männer, die Väter unserer Religion, haben alle ihre Mühe aufgeboten, das, was das Dunkel der Sprache verbirgt, an's Licht zu ziehen, und die Ergebnisse ihrer Forschungen und Erfahrungen wurden in der Form evangelischer Kirchenordnungen auf uns fortgepflanzt. Wie heilsam diese seyn müssen, erhellt aus dem Blicke, den wir eben in die Schwäche der menschlichen Natur gethan haben; und daß sie förderlich für uns und alle werden mögen, die auf ihre Vorschriften und ihre Ausübung achten, das gebe Gott in seiner unendlichen Weisheit. — Und nun noch u.s.w.“

Mit dieser verständigen Hindeutung auf seine eigene Weise des Gottesdienstes schloß Herr Grant seine Rede. Die Gemeinde hatte in tiefer Aufmerksamkeit zugehört, obgleich die Gebete nicht mit dem gleichen Beweise von Achtung aufgenommen worden waren. Das letztere entsprang jedoch keineswegs aus absichtlicher Geringschätzung der Liturgie, auf welche der Geistliche anspielte, sondern vielmehr aus der Gewohnheit eines Volkes, welches seine dermalige Existenz als Nation dem doctrinellen Charakter seiner Vorfahren verdankte. Zwar wurden einige mißvergnügte Blicke zwischen Hiram und einem oder dem andern Sectenführer gewechselt; doch theilten nur wenige diese Stimmung, und die Gemeinde zerstreute sich, nachdem Herr Grant den Segen gesprochen, schweigend und mit vielem Anstande.

Zwölftes Kapitel.

Die Glaubenssatzungen gelehrter Kirchen

Sind wohl vielleicht ein sittlich schön Gebäu;

Doch scheint's, als ob nur Gottes starke Hand

Den Teufel könne aus dem Herzen reißen.

Duo.

Während die Gemeinde den Betsaal verließ, näherte sich Herr Grant dem Platze, wo Elisabeth mit ihrem Vater saß, und stellte der ersteren in dem jungen Frauenzimmer, dessen wir im vorigen Kapitel erwähnten, seine Tochter vor. Elisabeth empfing sie so herzlich und offen, wie man es von den Sitten des Landes und dem Werthe, den man auf gute Gesellschaft legte, nur erwarten konnte, und die beiden Mädchen fühlten im Augenblicke, wie nothwendig sie sich gegenseitig seyn würden. Der Richter, welchem die Tochter des Geistlichen gleichfalls fremd war, freute sich sehr. Jemanden zu finden, dessen Geschlecht. Gewohnheiten und Jahre ohne Zweifel viel dazu beitragen konnten, seinem Kinde den Aufenthalt in der einsamen Heimath angenehm zu machen und sie die Trennung von dem geselligen Leben der Hauptstadt verschmerzen zu lehren, während Elisabeth, die sich durch die holde Anmuth und die Andacht der jugendlichen Beterin mächtig angezogen fühlte, die Verlegenheit der schüchternen Fremden durch die Leichtigkeit ihres eigenen Benehmens zu verscheuchen suchte. So waren sie schnell mit einander bekannt, und schon während der zehn Minuten, in welchen sich die Leute aus der Academie verliefen, wurden zwischen den jungen Mädchen Verabredungen nicht nur für den folgenden Tag getroffen, sondern diese würden sich auf den ganzen Winter erstreckt haben, hätte sie nicht der Geistliche durch die Worte unterbrochen: