„Gemach, gemach, meine liebe Miß Temple, oder Sie machen mir mein Mädchen zu zerstreut. Sie vergessen, daß sie meine Haushälterin ist, und daß meine wirthschaftlichen Angelegenheiten unbesorgt bleiben müßten, wenn Luise nur die Hälfte der gütigen Einladungen annehmen wollte, die Sie ihr zu machen so gefällig sind.“
„Und warum sollten sie denn nicht überhaupt unbesorgt bleiben, Sir?“ fiel Elisabeth ein. „Sie sind Ihrer nur zwei, und meines Vaters Haus hat nicht nur Raum für Sie, sondern wird auch seine Thüre gerne öffnen, um solche Gäste zu empfangen. Gesellschaft ist ein Gut, das man in dieser Wildniß nicht um bloßer Formen willen zurückweisen muß, und ich habe oft meinen Vater sagen hören, daß Gastfreundlichkeit in den neuen Landen keine Tugend sey, da im Gegentheil der Wirth dem Gaste für den Besuch verpflichtet ist.“
„Die Art, wie Richter Temple diese Tugend übt, dient zur Bekräftigung seines Ausspruchs, aber es steht uns nicht zu, darauf hin zu sündigen. Zweifeln Sie indeß nicht daran, daß Sie uns oft sehen werden, zumalen mein Kind, da ich nicht selten veranlaßt seyn werde, die entlegeneren Theile des Landes zu besuchen. Um übrigens auf ein solches Volk Einfluß zu gewinnen,“ fuhr er fort, indem er auf ein paar Nachzügler blickte, die neugierig zurückgeblieben waren, „darf ein Geistlicher keinen Neid und Mißtrauen erwecken, was nothwendig herbeigeführt werden müßte, wenn er unter einem so prunkvollen Dach, wie das des Herrn Temple, wohnen würde.“
„Das Dach gefällt Ihnen also, Herr Grant?“ rief Richard, der inzwischen das Auslöschen der Feuer befohlen und einige andere Obliegenheiten besorgt hatte, und nun gerade zu rechter Zeit herantrat, um noch die Schlußworte des Geistlichen zu vernehmen. „Es freut mich unendlich, einen Mann von Geschmack gefunden zu haben. Mein Vetter 'Duke da nimmt sich heraus, es mit allen nur erdenklichen Eckelnamen zu belegen, obgleich ich ihm immer sage, daß er nichts von der Zimmermannskunst versteht, so erträglich er auch als Richter seyn mag. Nun, Sir, ich glaube, wir können ohne Großsprecherei sagen, daß der Gottesdienst diesen Abend so gut als einer ausgefallen ist— wenigstens so gut, als ich es je in Old-Trinity gesehen habe, die Orgel natürlich ausgenommen. Da ist der Schulmeister, der seinen Psalm recht gut vorzusingen weiß; ich that es sonst selbst, aber in der letzten Zeit habe ich nichts als Baß gesungen, da mehr Kunst darin liegt und sich dabei eine schöne Gelegenheit bietet, die volle Kraft einer tiefen Stimme zu entwickeln. Auch Benjamin singt einen guten Baß, obgleich er oft mit den Worten nicht ganz zurecht kömmt. Haben sie ihn nie das Lied; ,die Bai von Biskai, oh‘ singen hören?“
„Ich glaube, er gab uns diesen Abend einen Theil davon zum Besten,“ sagte Marmaduke lachend. „Er ließ wenigstens hin und wieder einen furchtbaren Triller hören, und es scheint, daß Penguillian so vielen anderen gleicht, welche nichts üben als was sie besonders verstehen, denn er war in der That wunderbar auf einen Ton versessen, und entwickelte dabei eine merkwürdige Selbstzuversicht, indem er ihn dahin brausen ließ, wie einen Nordwester, der über den See hinfliegt. Doch kommen Sie, meine Herren, der Weg ist frei und der Sleigh wartet. Gute Nacht, junge Dame, und vergessen Sie nicht, daß Sie morgen mit Elisabeth unter dem korinthischen Dache zu Mittag speisen.“
Man trennte sich nun, und Richard unterhielt sich, indem sie die Treppen hinunter stiegen, ganz eifrig mit Monsieur Le Quoi über den stattgehabten Psalmengesang, wobei er mit einem gewaltigen Lobspruch auf das Lied „die Bai von Biskai, oh,“ schloß, da dieß natürlich mit den Leistungen seines Freundes Benjamin in enger Verbindung stand.
Während des mitgetheilten Gesprächs blieb Mohegan, den Kopf in seiner Wolldecke begraben, auf seinem Platze sitzen, und schien dessen, was um ihn vorging, ebenso wenig zu gewahren, als die sich Entfernenden die Anwesenheit des alten Häuptlings beachteten. Auch Natty verließ den Holzblock, auf dem er sich niedergelassen hatte, nicht, sondern stützte den Kopf auf die eine Hand, während die andere die Büchse hielt, welche er nachläßig auf seinen Knieen liegen hatte. Sein Gesicht drückte Unruhe aus, und die unstäten Blicke, die er während des Gottesdienstes umhergleiten ließ, bekundeten deutlich, daß sein Inneres betrübt war. Sein Verbleiben auf dem Sitze geschah jedoch aus Achtung vor dem indianischen Häuptling, dem er bei allen Gelegenheiten eine hohe Verehrung zollte, obgleich sich ihr etwas von der rauhen Sitte des Jägers beimischte.
Der junge Begleiter dieser zwei bejahrten Waldbewohner schien gleichfalls nicht ohne seine Kameraden aufbrechen zu wollen, und blieb vor einer der ausgelöschten Feuerstellen stehen. Der Tempel barg nur noch diese Gruppe, den Geistlichen und seine Tochter. Sobald sich übrigens die Bewohner des Herrnhauses entfernt hatten, stund auch John auf, ließ die Decke vom Gesichte fallen, schüttelte die Masse schwarzer Haare von seiner Stirne und näherte sich Herrn Grant, welchem er die Hand entgegenstreckte, indem er ihn zugleich feierlich anredete:
„Vater, ich danke Dir. Die Worte, die Du gesprochen hast, seit der Mond aufgegangen ist, sind aufwärts gestiegen, und der große Geist ist erfreut. Was Du Deinen Kindern gesagt hast, werden sie nicht vergessen und gut seyn.“ Er hielt einen Augenblick inne; dann richtete er sich mit der ganzen Würde eines indianischen Häuptlings auf und fuhr fort:
„Wenn Chingachgook so lange lebt, um der untergehenden Sonne nachzuziehen zu seinem Stamme, und der große Geist ihn über die Seen und Berge führt mit dem Athem in seinem Körper, so wird er seinen Leuten die Worte sagen, die er gehört hat, und sie werden ihm glauben, denn wer kann sagen, daß Mohegan je gelogen?“
„Verlass' Dich ganz auf die göttliche Gnade,“ erwiederte Herr Grant, dem das stolze Selbstgefühl des Indianers ein wenig unpassend schien, „und sie wird Dich nie verlassen. Wenn das Herz mit der Liebe zu Gott erfüllt ist, so kann die Sünde keine Wurzel fassen. — Doch Ihnen, junger Mann, bin ich nicht nur in Gemeinschaft mit denen, welchen Sie diesen Abend auf dem Berge das Leben gerettet, zu Danke verpflichtete sondern Sie verbinden mich auch auf's Neue durch Ihr anständiges und frommes Benehmen, durch das Sie mir während des Gottesdienstes in einem sehr drückenden Augenblicke zu Hilfe kamen. Es ist so selten, in diesen Wäldern einen Mann von Ihrem Alter und Aeußern zu finden der mit unserer heiligen Liturgie so ganz vertraut ist, daß dieser Umstand auf einmal die Entfernung zwischen uns aufhebt und ich Sie nicht länger als einen Fremden betrachten kann. Sie scheinen den Gottesdienst ganz genau zu kennen, denn ich bemerkte, daß Sie nicht einmal ein Buch hatten, obgleich der gute Herr Jones an mehreren Stellen welche auflegen ließ.“
„Es wäre sonderbar, wenn ich mit dem Gottesdienst unserer Kirche nicht bekannt wäre, Sir,“ entgegnete der Jüngling; „denn ich wurde in ihrem Schooße getauft und habe nie einer andern öffentlichen Gottesverehrung beigewohnt. Ich würde mich ebensowenig in die Formen einer andern Confession fügen können, als dieß heute Abend bei den Leuten hier herum mit der Ihrigen der Fall war.“
„Ihre Bekanntschaft gewährt mir große Freude, mein Lieber,“ rief der Geistliche, indem er die Hand des Jünglings ergriff und herzlich schüttelte. „Sie werden jetzt mit mir nach Hause gehen. In der That. Sie müssen es thun — mein Kind hat Ihnen noch für die Rettung des Lebens ihres Vaters zu danken. Ich nehme keine Entschuldigung an. Dieser würdige Indianer und mein Freund hier werden uns begleiten. Ach Du, mein Himmel! ich darf nicht daran denken, daß er in dieser Gegend das Mannesalter erreichte, ohne sogar einen Betsaal der Diffenters [Die Geistlichen der bischöflichen Kirche in den Vereinigten Staaten nennen alle einem andern Bekenntnisse Angehörige ,Diffenters‘, obgleich sich diese in ihrem Lande nie als eine eigene Kirche erklärten.] besuchen zu können!“