„Nein, nein.“ unterbrach ihn Lederstrumpf; „ich muß zurück zu meinem Wigwam; ich habe dort etwas zu thun, was nicht unterbleiben darf, und würde auch noch so viel von Euren Kirchensachen und Lustbarkeiten gesprochen. Der Junge da mag mit Ihnen gehen; er ist daran gewöhnt, mit Geistlichen zu verkehren und von solchen Dingen zu reden; das Gleiche ist auch der Fall bei dem alten John, der zur Zeit des alten Kriegs von den Herrnhutern bekehrt wurde. Aber ich bin nur ein einfacher, ungelehrter Mann, der seiner Zeit sowohl dem König, als seinem Lande gegen die Franzosen und gegen die Wilden gedient, aber seiner Lebtage nie in ein Buch gesehen oder auch nur einen Buchstaben daraus gelernt hat. Ich habe nie den Nutzen solchen Stubensitzens einsehen können und doch ist mein Haupt jetzt bald kahl. Nein, da lobe ich mir das Freie. Habe ich doch vordem in einem einzigen Sommer meine zweihundert Biber erlegt, das andere Wild gar nicht mitgerechnet. Wenn Sie meinen Worten nicht glauben wollen, so mögen Sie den Chingachgook fragen, denn dieß geschah im Herzen des Delawarenlandes, und der alte Mann weiß, daß ich keine Unwahrheit rede.“
„Ich zweifle nicht, mein Freund, daß Ihr in Eurer Jugend sowohl ein rüstiger Soldat, als ein geschickter Jäger gewesen seyd; aber es ist noch mehr nöthig, um Euch für das herannahende Ende vorzubereiten. Ihr habt doch wohl von dem Sprichwort gehört: ,Junge können, Alte müssen sterben‘?“
„Nein, ich bin kein so großer Thor, um zu hoffen, daß ich ewig leben dürfe,“ entgegnete Natty mit seinem stummen Lachen. „Auch kommt ein solcher Gedanken Niemand zu Sinne, der die Fährten der Wilden durch die Wälder verfolgt und die heißen Monate an den Strömen der großen Seeen zugebracht hat, wie es bei mir der Fall ist. Ich habe zwar eine kräftige Constitution, was ein jeder, ohne daß ich es selber sage, sehen kann, und habe zu hundert Malen aus den Fluthen des Onodaga getrunken, wenn ich an den Hirschlicks lauerte, in einer Zeit, wo der Sassafras dort noch so häufig war, als heutzutage die Klapperschlangen an dem alten Crumhorn; aber nie habe ich gehofft, ich werde für immer aushalten. Es gibt Leute, welche die Garmans Ebenen noch als eine Wildniß kannten und dabei Gelehrte sind, die sich gewaltig auf Religion verstehen; aber jetzt kann man sich eine ganze Woche darauf umsehen und nicht einmal einen Fichtenstumpf darauf finden, und doch war es ein Wald, der über ein halbes Jahrhundert noch in dem Boden steckte, nachdem die Bäume schon todt waren.“
„Das fällt alles der Zeit anheim, mein guter Freund,“ versetzte Herr Grant, der an dem Wohl seines neuen Bekannten ein Interesse zu finden begann; „aber ich wünschte, Ihr würfet auch einen Blick nach der Ewigkeit. Es ist Eure Pflicht, die Orte öffentlicher Gottesverehrung zu besuchen, und es machte mir Freude, daß ich Euch diesen Abend hier getroffen. Würde es nicht unvernünftig von Euch seyn, wenn Ihr auf eine mühsame Jagd ausgehen wolltet, und Euren Flintenstein und Ladstock zurückließet?“
„Das müßte ein Anfänger in den Wäldern seyn,“ unterbrach ihn Natty mit einem zweiten Lachen, „der nicht einen Ladstock aus einem Eschenzweig schnitzen oder einen passenden Stein in den Bergen finden könnte. Nein, nein, ich habe nie gehofft, immer zu leben; aber ich sehe, die Zeiten ändern sich in diesen Bergen und seit vierzehn Jahren — was sage ich — seit zehn Jahren schon hat Alles eine ganz andere Gestalt bekommen. Doch Macht gibt Recht, und das Gesetz ist stärker, als ein alter Mann, sey er nun ein Gelehrter oder meines Gleichen. Man hält's jetzt freilich für bequemer, dem Wild an den Engpässen aufzulauern, als ihm mit den Hunden nachzusetzen, was mir vor dem Niemand wehren konnte. Habe ich doch nie einen Prediger in eine Ansiedelung kommen sehen, ohne daß das Wildpret rarer geworden und das Pulver im Preise gestiegen wäre; und doch geht das lange nicht so leicht, als das Schnitzen eines Ladstocks oder das Einsetzen eines indianischen Flintensteins.“
Der Geistliche bemerkte, daß er durch seine unglücklich gewählte Vergleichung dem Gegner in die Hände gearbeitet hatte, und ließ daher klüglicher Weise von seiner Controverse ab, obgleich er entschlossen war, sie bei günstigerer Gelegenheit, wieder aufzunehmen. Er wiederholte sein Gesuch angelegentlich gegen den jungen Jäger, und dieser, nebst dem Indianer, willigte ein, ihn und seine Tochter zu der Wohnung zu begleiten, welche Herrn Jones' Sorgfalt für ihn hergestellt hatte. Lederstrumpf beharrte jedoch auf seiner Absicht, nach der Hütte zurückzukehren, und so trennten sie sich an der Thüre des Bethauses.
Nachdem sie eine Weile auf der Straße, welche nach dem Dorfe führte, fortgegangen waren, bog Herr Grant, der den Zug anführte, durch ein Paar offene Schranken in einen Fußpfad ein, der nicht breiter war, als daß eine hinter der andern darauf fortkommen konnte. Der Mond stand so hoch, daß er seine Strahlen senkrecht über das Thal goß, und die scharf begränzten Schatten der kleinen Gesellschaft glitten an den silberweißen Schneedämmen wie luftige Gestalten dahin. Trotz der vollkommenen Windstille war die Nacht noch immer schneidend kalt. Der Pfad war so fest getreten, daß sich selbst das zarte Mädchen, welches bei der Gesellschaft war, mit Leichtigkeit in seinen Windungen fortbewegte, obgleich selbst unter ihren elastischen Tritten der hochgefrorene Schnee laut aufknarrte.
Der Geistliche in seinem dunkelfarbigen Gewande, welcher das milde wohlwollende Antlitz, in dem sich der den Mann charakterisirende demüthige Eifer nicht verkennen ließ, zu wiederholten Malen nach seinen Gefährten umwandte, bildete den Anführer dieser vereinzelten Gruppe. Hinter ihm kam der Indianer, dessen üppige Haare das unbedeckte Haupt umflogen, während der übrige Theil seines Körpers durch die Wollendecke verhüllt war. Wenn man das dunkle Gesicht mit seinen unbeweglichen Muskeln im Lichte des Mondes betrachtete, wie es von der Seite einfiel, so mochte er wohl als das Bild des resignirten hohen Alters erscheinen, an dem sich die Stürme des Winters seit mehr als einem halben Jahrhundert vergeblich versucht hatten; sobald John aber den Kopf umwandte und die Strahlen unmittelbar auf seine schwarzen feurigen Augen fielen, so konnte man deutlich eine ganze Geschichte ungezügelter Leidenschaften und eines an keine Gränzen sich bindenden Gedankenfluges darin lesen. Miß Grant's leichte Gestalt, welche nun folgte und wohl etwas zu luftig für die Strenge der Jahreszeit gekleidet war, bildete einen schroffen Gegensatz zu dem wilden Anzug und den unstäten Blicken des Delawarenhäuptlings; und mehr als einmal fühlte sich während dieses kurzen Spazierganges der junge Jäger, welcher nicht als die unbedeutendste Person in der Gruppe erschien, veranlaßt. über die menschliche Form Vergleichungen anzustellen, wenn Mohegan's Gesicht und Miß Grants zartes Antlitz mit Augen, welche mit der sanften Bläue des Himmels wetteiferten, seinen Blicken begegneten, so oft eines der Beiden nach der glänzenden Scheibe, die ihren Pfad beleuchtete, aufsah. Sie kürzten sich den Weg, welcher über die hinter den Häusern liegenden Felder führte, durch ein Gespräch, das, je nach dem Gegenstande, bald flau, bald lebhaft geführt wurde. Der Geistliche begann die Unterhaltung.
„Es ist in der That ein so eigenthümlicher Umstand,“ sagte er, „hier in diesem Orte einem Manne Ihres Alters zu begegnen, der sich nie durch eitle Neugierde bewegen ließ, eine andere Kirche, als die, welcher er seine sittliche Erziehung verdankt, zu Besuchen, daß ich ein starkes Verlangen fühle, die Geschichte eines so glücklich geregelten Lebens kennen zu lernen. — Sie müssen eine sehr gute Erziehnng genossen haben, wie aus Ihrem Benehmen und Ihrer Sprache hervorzugehen scheint. In welchem Staate sind Sie geboren, Herr Eduard? — denn das ist, glaube ich, der Name, den sie dem Richter Temple angaben.“