Der Reisende hatte, während der Jäger in dieser Weise beschäftigt war, die Wunden des erlegten Hirsches sorgfältig untersucht und rief jetzt, ohne sich an die üble Laune des Andern zu kehren:
„Es wäre mir gar zu lieb, wenn ich die Ehre, dieses Thier erlegt zu haben, in Anspruch nehmen könnte; und gewiß, wenn der Schuß durch den Hals aus meinem Gewehr kam, so kann ich es mit Recht thun, denn der durch's Herz war unnöthig — wir nennen etwas der Art einen Act der Supererogation, Lederstrumpf.“
„Sie mögen es mit was immer für einem gelehrten Namen belegen, Richter,“ sagte der Jäger, indem er die Büchse mit seinem linken Arm unterstützte, einen Messingdeckel in seiner Jagdtasche anfdrückte, ein kleines Stück gefetteten Leders herausnahm, eine Kugel darein wickelte und beides während des Sprechens mit kräftiger Faust in den Gewehrlauf auf das Pulver hinunter trieb; „denn es ist weit leichter, irgend ein Wort zu ersinnen, als einen Bock im Sprunge zu schießen. Aber dieses Thier hier kam, wie ich bereits vorhin sagte, durch eine jüngere Hand, als die Ihrige oder die meinige, zu seinem Ende.“
„Was sagt Ihr dazu, mein Freund?“ rief der Reisende, indem er sich scherzend gegen Natty's Begleiter umdrehte. „Wollen wir um die Ehre loosen und diesen Dollar aufwerfen? Das Silber ist Euer, wenn Ihr verliert. Was sagt Ihr dazu, mein Freund?“
„Daß ich den Hirsch schoß,“ sagte der junge Mann etwas stolz und legte den Arm auf eine Büchse, welche ziemlich die Form von der seines Gefährten hatte.
„Hier sind Zwei gegen Einen,“ sagte der Richter mit einem Lächeln; „ausgestochen — überstimmt, wie wir vor Gericht sagen. Der Aggy da darf als Sclave nicht zeugen, und 'Beß ist minderjährig — nun, so muß ich eben zum schlimmen Spiel eine gute Miene machen. Ihr verkauft mir aber doch das Wildpret? Ah, es müßte mit dem Henker hergehen, wenn ich nicht aus dem Tode dieses Hirsches ein gutes Geschichtchen drechselte.“
„Ich habe hier nichts zu verkaufen,“ antwortete Lederstrumpf, ein wenig von dem hohen Tone seines Begleiters annehmend; „denn ich für meinen Theil habe Thiere gesehen, die mit einem Halsschuß noch Tage lang sprangen, und ich bin keiner von denen, welche irgend Jemanden das abspannen möchten, was ihm rechtlich gebührt.“
„Ihr beharrt an diesem kalten Abend sehr zäh auf Euerm Rechte, Natty,“ entgegnete der Richter in unverwüstlich heiterer Stimmung. „Aber was sagt Ihr, junger Mann? Sind drei Dollar genug für den Bock?“
„Laßt uns zuerst die Rechtsfrage zur gegenseitigen Zufriedenheit abmachen,“ antwortete der Jüngling bescheiden, aber mit Festigkeit und in einer Weise des Ausdrucks, welche weit über seine unscheinbare Außenseite erhaben schien. „Mit wieviel Posten hatten Sie ihr Gewehr geladen?“
„Mit fünfen, Sir,“ sagte der Richter, durch das Benehmen des Andern etwas verblüfft. „Sind fünf nicht genug, um einen Bock wie diesen zu erlegen?“
„Einer schon würde hinreichen; aber —“ er bewegte sich nach dem Baume hin, hinter dem er hervorgetreten war — „Sie erinnern sich, Sir, daß Sie nach dieser Richtung abfeuerten. Hier stecken vier der Kugeln im Baume.“
Der Richter untersuchte die frischen Spuren in der Rinde der Tanne, schüttelte den Kopf und entgegnete mit Lachen:
„Ihr liefert den Beweis gegen Euch selber, mein junger Advokat. Wo ist die fünfte?“
„Hier!“ sagte der Jüngling, indem er den groben Mantel, welchen er trug, zurückschlug und auf ein Loch in seinen Unterkleidern deutete, aus dem große Tropfen Blutes hervordrangen.
„Guter Gott!“ rief der Richter entsetzt; „habe ich hier wegen einer werthlosen Großthuerei die Zeit vergeudet, während ein Nebenmensch durch meine Hand leidet, ohne eine Klage laut werden zu lassen? Aber schnell — geschwinde — in den Sleigh — es ist nur eine Meile bis zum Dorf, wo man wundärztlichen Beistand haben kann. Alles Nöthige soll auf meine Kosten besorgt werden, und Du sollst bei mir bleiben, bis Deine Wunde geheilt ist ja, und auch nachher noch — für immer!“
„Ich danke für die gute Absicht, aber ich muß das Anerbieten ablehnen. Ich habe einen Freund, der sich sehr beunruhigt fühlen würde, wenn er erführe, daß ich verwundet und fern von ihm bin. Die Beschädigung ist nur leicht und hat keinen Knochen verletzt; aber ich denke, Sir, Sie werden mir jetzt meine Ansprüche auf das Wild gelten lassen.“
„Gelten lassen?“ wiederholte der bewegte Richter. „Ich gebe Dir hiemit auf immer das Recht, Hirsche, Bären und was Die beliebt in meinen eigenen Wäldern zu schießen. Lederstrumpf war bis jetzt der einzige Mann, dem ich dieses Privilegium ertheilte, und die Zeit ist wohl nicht mehr ferne, wo es von Werth seyn wird. Aber ich will Euch den Hirsch abkaufen — da, diese Note wird Dich für Deinen und meinen Schuß bezahlen.“
Der alte Jäger richtete sich während dieser Unterredung stolz auf, wartete jedoch, bis der Andere ausgeredet hatte und sprach dann vor sich hin:
„Es leben Viele, welche behaupten, daß Nathanael Bumppo's Recht, auf diesen Bergen zu schießen, älter sey, als Marmaduke Temple's Recht, es ihm zu verbieten,“ waren seine Worte. „Aber wenn es überhaupt hierüber ein Gesetz gibt — und wer hätte je von einem gehört, welches einem Manne untersagt, einen Hirsch zu schießen, wo es ihm beliebt? — aber wenn es überhaupt ein solches Gesetz gibt, so sollte es vorzugsweise auf nicht gezogene Gewehre angewendet werden. Niemand kann wissen, wohin das Blei fliegen wird, wenn man einmal an einer so unzuverlässigen Waffe den Drücker berührt hat.“
Ohne auf Natty's Selbstgespräch zu achten, verbeugte sich der Jüngling in dankbarer Anerkennung des Anerbietens und versetzte:
„Entschuldigen Sie mich, Sir; ich brauche das Wildpret.“
„Aber für dieses könnt Ihr Euch manchen Hirsch kaufen,“ entgegnete der Richter. „Nehmt es, ich bitte —“ und seine Stimme zu einem Flüstern ermäßigend, fügte er bei — „es sind hundert Dollars.“
Nur einen Augenblick schien der Jüngling zu schwanken, dann aber erglühte er selbst durch das Roth, welches die Kälte seinen Wangen gegeben hatte, als schäme er sich seiner vorübergehenden Schwäche, und lehnte das Anerbieten aufs Neue ab.
Während dieser Scene stand das Frauenzimmer auf, schlug, ohne auf die kalte Luft Rücksicht zu nehmen, die Mantelkappe, welche ihr Antlitz verhüllt hatte, zurück und sprach dann mit großem Ernste:
„Gewiß, gewiß, junger Mann — Sir — Ihr werdet meinen Vater nicht sosehr kränken, daß Ihr ihm das Bewußtseyn auf die Seele laden möchtet, einen Mann, den seine Hand beschädigte, so im Walde zurückzulassen. Ich bitte Euch, kommt mit uns, und laßt Euch ärztlichen Beistand reichen.“