„Der Pfarrer Grant hat uns heute Abend eine prächtige Rede gehalten,“ begann Remarkable. „Die bischöflichen Geistlichen sind gemeiniglich gute Redner; dafür schreiben sie aber auch ihre Gedanken nieder, was ihnen sehr zu statten kommt. Ich glaube indeß nicht, daß sie eine Predigt aus dem Herzen zu halten vermöchten, wie die Geistlichen des stehenden Gottesdienstes.“
„Und was für ein Glaubensbekenntniß meint Ihr unter dem stehenden Gottesdienst?“ fragte Miß Temple mit einiger Ueberraschung.
„Je nun, die Presbyterianer, Congregationalen, die Taufgesinnten und noch viele andere, die bei dem Gebete nicht niederknieen.“ —
„Demnach würdet Ihr also alle, welche die Ueberzeugung meines Vaters theilen, in die Ordnung des sitzenden Gottesdienstes verweisen?“ bemerkte Elisabeth.
„Ich habe diese nie mit einem andern Namen als mit dem der sogenannten Quäcker bezeichnen hören,“ entgegnete Remarkable mit einiger Unruhe. „Ich wäre wohl die letzte, sie anders zur benennen, denn ich habe in meinem Leben nie ein unehrerbietiges Wort über den Richter oder über ein Glied seiner Familie geäußert. Die Quäcker stehen bei mir in hoher Achtung, denn es sind manierliche und gescheide Leute; aber es nimmt mich nur Wunder, wie Ihr Vater in eine englischkirchliche Familie heirathen konnte, da diese Religionen himmelweit von einander verschieden sind. Da sitzt man still und spricht meistens nichts, während die bischöflichen allerhand treiben, so daß man bisweilen meint, man sey in einer Komödie. Ich habe einmal im Lande drunten eine solche Kirche besucht —“
„Ihr habt mich da auf einen Vorzug der Liturgie dieser Kirche aufmerksam gemacht, der mir bisher entgangen ist. Seyd indeß so gut und seht, ob das Feuer in meinem Zimmer brennt. Ich bin von der Reise ermüdet und möchte zu Bette gehen.“
Remarkable fühlte sich ungemein geneigt, der jungen Gebieterin des Herrnhauses zu sagen, sie möchte selber die Thüre aufmachen und nachsehen; aber die Klugheit lehrte sie, ihre Empfindlichkeit niederzukämpfen, und nach einer kleinen Pause, die ihre Würde wahren sollte, that sie, wie ihr geheißen worden. Die Antwort lautete befriedigend, und die junge Dame zog sich zurück, nachdem sie zuvor Benjamin, welcher Holz nachlegte, und der Haushälterin gute Nacht gesagt hatte.
Sobald sich die Thüre hinter Miß Temple geschlossen, begann Remarkable ein etwas geheimnißvolles und zweideutiges Gespräch, in welchem sie sich weder billigend noch mißbilligend über die Eigenschaften der Abwesenden ausließ, obgleich sie sich nicht entbrechen konnte, allmählig ihren ganzen Unmuth kund zu geben. Der Majordomo gab keine Antwort, sondern machte emsig in seinem Geschäfte fort. Nachdem er damit zu Stande gekommen war, sah er nach dem Thermometer, öffnete sodann eine Schublade des Servirtisches und brachte etwelche Herzstärkungen zum Vorschein, welche ihn, auch ohne Beihülfe des ungeheuern Feuers, das er eben angeschürt, hätten warm halten können. Sofort holte er die
nöthigen Gläser aus einem Wandschranke bei dem Kamin, stellte sie auf den Tisch, rückte ein paar Stühle herzu, und nun schien Benjamin zum erstenmale seiner Gefährtin Gehör schenken zu wollen.
„Kommt,“ rief er, „kommt, Jungfer Remarkable; legt Euch in diesem Stuhle vor Anker; 's geht ein scharfer Wind draußen, kann ich Euch sagen, gute Frau. Aber was kümmert's mich? Mag er hoch oder nieder blasen, seht Ihr, das ist Ben all' eins. Die Neger sind hübsch in den untern Raum gestaut und haben ein Feuer vor sich, daß man einen Ochsen dabei braten könnte. Das Thermometer steht gegenwärthig auf fünfundfünfzig; aber das Ahornholz hat vortreffliche Eigenschaften, und ehe ich ein Glas geleert habe, wird er noch um zehn Grade gestiegen seyn, so daß es der Squire, wenn er aus Betty Hollister's warmer Stube heimkömmt, so heiß finden soll, wie eine Hand, die das Tackelwerk mit schlechtem Theer eingeschmiert hat. Kommt, Jungfer Remarkable, legt in diesem Stuhle bei, und sagt mir wie Euch die neue Erbin gefällt.“
„Je nun, nach meiner Ansicht, Herr Penguillum — —“
„Pump,“ unterbrach sie Benjamin, „'s ist heute Christnacht, Jungfer Remarkable, und da seht Ihr, ist es viel besser, wenn Ihr michPump nennt. Einmal ist der Name viel kürzer, und dann habe ich im Sinne, an dieser Flasche hier zu pumpen, so lange sie gluckert. Ihr könnt mich daher mit Fug und Recht Bump nennen.“
„Immer der Alte!“ rief Remarkable mit einem Lachen, das jedes Gelenk an ihrem Körper auslösen zu wollen schien. „Ihr seyd ein spaßhafter Bursche, Benjamin, wenn Ihr's darauf anlegt. Aber was ich sagen wollte — ich denke, daß es nun bald andere Zeiten in dem Hause geben wird.“
„Andere Zeiten?“ rief der Majordomo, seine Flasche beäugelnd, die mit erstaunlicher Schnelle nur den durchsichtigen Anblick des geschliffenen Glases aufzunehmen drohte. „Das macht mir nicht viel aus, Jungfer Remarkable, so lange ich die Schlüssel zu den Kellern in der Tasche trage.“
„Ich will nicht gerade sagen,“ fuhr die Haushälterin fort„daß man in dem Hause nicht immer genug zu essen und zu trinken bekommen hätte, — ein Bischen mehr Zucker in das Glas, Benjamin, — denn Squire Jones ist ein trefflicher Lieferant. Aber neue Herren bringen neues Regiment und es sollte mich nicht Wunder nehmen, wenn Ihr und ich einer etwas ungewissen Zukunft entgegen sähen.“
„Das Leben ist etwas so Ungewisses, als das Blasen des Windes,“ sagte Benjamin mit einer moralisirenden Geberde; „und nichts ist veränderlicher als der Wind, Jungfer Remarkable, wenn man nicht zufällig in den Strich der Passatwinde geräth; dann geht's aber wohl einen Monat in einem fort, mit Leesegeln auf beiden Seiten, oben und unten, und ein Kajütenjunge kann steuern.“
„Jedermann weiß, daß das Leben etwas Ungewisses ist,“ versetzte Remarkable, indem sie ihr Gesicht der guten Laune ihres Gefährten anpaßte; „aber ich sehe voraus, daß große Veränderungen in dem Hause stattfinden werden, und habt nur Acht, man wird Euch bald einen jungen Menschen zum Vorgesetzten geben, wie man es eben erst mit mir gemacht hat. Freilich ist dieß etwas Hartes, Benjamin, wenn man so lange wie Ihr treue Dienste geleistet hat.“
„Die Beförderung sollte nach der Dauer der Dienstzeit stattfinden,“ meinte der Majordomo; „und wenn man mir Einen vor der Nase einschiebt, so lege ich mein Amt in kürzerer Zeit nieder, als man ein Lootsenboot in eine Rhede bringen kann. Doch Squire Dickens“ — so pflegte Benjamin Richard gewöhnlich zu nennen — ist ein prächtiger Herr und so gut, als man sich nur einen wünschen kann. Seht Ihr, dem will ich's dann rund heraus sagen, daß ich auf meinen Dienst verzichte, wenn man mir irgend einen ungeleckten Hans vorsetzen will. Ich habe vorn angefangen Jungfer Pettybone, und mich wie ein Mann hinaufgearbeitet. Ich war sechs Monate an Bord eines Gernsey-Luggers, bediente die Leeschotten und half beim Aufhießen des Tackelwerks. Dann machte ich einige Krenz- und Querzüge, wobei ich das gleiche Geschäft verrichtete; im Grunde aber segelt man dabei nur im Dunkeln herum, und man lernt weiter nichts, als wie man nach den Sternen steuern muß, Nun seht Ihr, dann lernte ich wie die Stengen gesetzt werden müssen und wie man ein Bramsegel befestigt; und dann verrichtete ich die kleinen Geschäfte in der Kajüte, wie z. B. das Grogmischen für die Matrosen — bei dieser Gelegenheit kam ich zu meiner feinen Zunge, die, wie Ihr oft gesehen haben mögt, ihres Gleichen sucht. Niemand versteht das besser zu beurtheilen, als Ihr.“
Remarkable erwiederte dieses Kompliment mit einem Kopfnicken und schlürfte aus dem vor ihr stehenden Glase; denn hin und wieder ein Schlückchen von einem solchem Getränke, wenn es stark mit Zucker versetzt war, behagte ihr gar nicht übel. Nach diesem kleinen Höflichkeitsaustausche zwischen dem würdigen Paare nahm die Unterhaltung ihren Fortgang.