Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Helft, Leute helft; hier hängt ein Fisch im Netze,
wie eines armen Mannes Recht vor dem Gericht.
Perikles von Tyrus.
Es ging nun mit dem Vorrücken der Jahreszeit so schnell, als der Eintritt derselben zögernd und langwierig gewesen war. Eine gleichförmige Milde bezeichnete die Tage, während die allerdings noch kühlen Nächte wenigstens keine Reifen mehr brachten. Der Windfänger ließ seine melancholischen Töne an dem Ufer des Sees Vernehmen, und Sümpfe und Wiesen entsandten die Musik ihrer tausend Bewohner. Das Laub der einheimischen Pappel zitierte in den Wäldern; die Seiten der Berge begannen ihre braune Farbe zu verlieren, indem sie dieselbe mit dem lieblichen Grün der Laubhölzer vertauschte, in welche sich das dunkle Immergrün der Fichte und Tanne mischte; und selbst die Knospen der trägeren Eiche schwellten sich, die Ankunft des Sommers verkündend. Die lustige Bachstelze, das gesellige Rothkehlchen, der emsige kleine Zaunkönig belebten die Felder mit ihrer Gegenwart und ihren Gesängen, während der hochfliegende Fischadler bereits über den Wassern des Otsego schwebte und mit angeborener Gefräßigkeit auf das Auftauchen seiner Beute lauerte.
Die Bewohner des Sees waren weit und breit berühmt, sowohl um ihrer Menge als um ihrer Qualität willen, und das Eis war kaum verschwunden, als zahllose kleine Boote von den Ufern glitten, aus denen der Fischer seine Angelschnur in die innersten Winkel ihrer tiefsten Höhlen warf, um die unvorsichtigen Thiere mit jeder Art Köder, welche menschlicher Scharfsinn erfunden, zu berücken. Aber der langsame, obgleich sichere Versuch mit Schnur und Angel sagte der Ungeduld der verschwenderischen Ansiedler nur wenig zu. Man nahm seine Zuflucht zu verheerenderen Hilfsmitteln; und als die Jahreszeit eintrat, zu welcher das Fischen mit Netzen das von dem Richter Temple erwirkte Gesetz erlaubt war, so erklärte der Sheriff seine Absicht, in der nächsten dunkeln Nacht eine solche Belustigung in Person zu leiten.
„Du sollst auch dabei seyn, Bäschen Elisabeth,“ fügte er bei, als er sein Vorhaben kund that, „und auch Miß Grant nebst Herrn Edwards. Da will ich Euch zeigen, was fischen heißt, — denn das Zupfen, Zupfen und Zupfen, wie es 'Duke beim Forellenfang thut, kann ich nicht so nennen. Was will das heißen, wenn man Stunden lang in der glühenden Sonne, oder vielleicht an den kältesten Wintertagen unter etlichen Büschen vor einem Loch im Eise sitzt, wobei Einem noch obendrein all diese Kreuzigung des Fleisches nicht einen einzigen Fisch einträgt. Nein, nein — gebt mir ein gutes, fünfzig oder sechzig Klafter langes Netz mit etlichen lustigen Burschen zu Gehülfen und Benjamin ans Steuer und ihr werdet sehen, daß wir sie zu Tausenden herausholen. Das nenne ich fischen.“
„Ach, Dick,“ rief Marmaduke, „Du weißt nicht, welch ein Vergnügen es ist, die Angelschnur spielen zu lassen, sonst gingest Du sparsamer mit diesen Thieren um. Wie oft mußte ich nicht mitansehen, daß Du, wenn Du eine Nachtparthie auf dem Eise leitetest, Fragmente genug zurück ließest, um ein Dutzend ausgehungerter Familien damit sättigen zu können.“
„Ich will darüber nicht mit Dir streiten, Richter Temple. Ich lade die Gesellschaft ein, mich diese Nacht zu begleiten, und dann soll sie zwischen uns beiden entscheiden.“
Richard war während des ganzen Nachmittags beschäftigt, für sein Vorhaben die geeigneten Vorkehrungen zu treffen. Sobald das Licht der untergehenden Sonne verschwunden war und die Schatten des neuen Mondes über die Erde fielen, setzten sich die Fischer in ein Boot, um nach einer Stelle an dem westlichen Ufer des Sees zu fahren, die etwas mehr als eine halbe Meile vom Dorfe entlegen war. Da das Gestade auf dieser Seite gelichtet und der Boden gut und trocken war, so zog Marmaduke — mit seiner Tochter, ihrer Freundin und dem jungen Edwards — einen Spaziergang durch das hohe Gras vor, und so begaben sie sich denn noch der Ausmündungs-Stelle der schönen Wasserfläche, wobei sie das dunkle, über den See hinfahrende Boot im Auge behielten, bis sich dasselbe beim Eintritt in die westlichen Berge ihren Blicken entzog. Die Entfernung zu Lande bis zu dem bestimmten zusammenkunftsorte betrug eine Meile.
„Es ist Zeit, daß wir uns beeilen,“ bemerkte Marmaduke. „der Mond wird hinunter seyn, bis wir an Ort und Stelle anlangen, und Dick hat dann vielleicht sein bewunderungswürdiges Herausholen schon begonnen.“
Der Abend war warm, und nach dem langen und trübseligen Winter, der kaum erst Abschied genommen hatte, warhaft entzückend. Die jüngeren Glieder der Gesellschaft folgten, begeistert von der schönen Naturscene und dem gehofften Vergnügen, dem Richter auf dem Fuße, als er sie die Ufer des Otsego entlang durch die Güter der Dörfer führte.
„Seht!“ rief der junge Edwards, „sie zünden bereits ihr Feuer an; es glimmt für einen Augenblick auf und stirbt wieder hin, wie das Licht eines Leuchtkäfers.“
„Jetzt loder es auf,“ rief Elisabeth. „Man kann die Gestalten daran erkennen. O, ich wollte meine Juwelen gegen Remarkables goldene Halsschnur wetten, daß mein ungeduldiger Vetter Dick bei Anzündung dieser hellen Flamme thätig ist; — und seht; es geht schon wieder zusammen, wie die meisten seiner glänzenden Entwürfe.“
„Du hasts getroffen, 'Beß,“ versetzte der Vater; „er hat einen Arm voll dürren Reises zugelegt, das zwar schnell aufbrennt, aber eben so schnell wieder erlöscht. Doch hatte es wenigstens das Gute, daß sie bessern Brennstoff finden konnten, denn ihr Feuer beginnt mit einer stätigeren Flamme zu lodern; es gleicht jetzt einer Fischersternwarte; sieh nur, in welchen schönen Lichtkreisen es sich in dem Wasser abspiegelt!“
Der Anblick des Feuers veranlaßte die Fußgänger zu größerer Eile, denn selbst die Damen brannten vor Begierde, Zeuge des wunderbaren Fischzuges zu seyn. Endlich langten sie an dem Rand des Ufers an, der gegen den Punkt, wo der Fischer gelandet hatte, abfiel. Die Mondsichel war hinter die Spitzen der westlichen Fichten hinabgesunken, die Mehrzahl der Sterne durch Wolken verdüstert, und so war nirgends ein anderes Licht sichtbar, als dasjenige, welches von dem Feuer ausging. Marmadukes Wunsche gemäß machten sie jetzt ein wenig Halt, um die unten Befindlichen zu mustern und auf deren Unterhaltung zu horchen, ehe sie selbst hinabstiegen.
Die ganze Gruppe war — mit Ausnahme Richard's und Benjamin's — um das Feuer versammelt. Der Erstere saß auf der Wurzel eines morschen Baumstumpfes, die man als Brennmaterial herbei geschafft hatte, und der Letztere stand mit in die Seite gestemmten Armen so nahe an der Flamme, daß der Rauch hin und wieder seine gravitätischen Züge verdunkelte, wenn dieser, dem Nachtwinde, welcher sanft über das Wasser her wehte, gehorsam, den Holzstoß umwirbelte.
„Je nun, sehen Sie, Squire,“ sagte der Majordomo; „Sie mögen einen Seefisch, der zwanzig oder dreißig Pfund wiegt, einen gewichtigen Fang nennen; wer aber schon einen schaukelnasigen Haifisch heraus geholt hat, dem muß er im Grunde dochnur als eine Armseligkeit vorkommen.“
„Ich weiß nicht, Benjamin,“ entgegnete der Sheriff; „aber das Heraufziehen von tausend Otsegobarschen, die Hechte, Karpfen, Plattköpfe, Lachsforellen und Saugfische gar nicht mit gezählt, — laßt Euch sagen, so etwas ist gar keine üble Fischerei. Es mag allerdings eine Lust seyn, einen Hai zu spießen, aber für was ist er gut, wenn man ihn hat? Dagegen sind die von mir genannten Fische lauter Arten, die man auf eine königliche Tafel bringen könnte.“