Kurze Zeit vor der Schlacht bei Lexington übergab Effingham, der bereits seine Gattin verloren hatte, seine Papiere und Alles, was er Werthvolles besaß, an Marmaduke zur Aufbewahrung und verließ ohne seinen Vater die Colonie. Kaum hatte jedoch der Krieg ernstlich begonnen, als er in der Uniform seines Königs wieder zu New-York erschien und in Kurzem an der Spitze einer Provincialtruppenabtheilung im Felde stand. Marmaduke hatte sich inzwischen ganz für die Sache der Rebellion — wie man sie damals nannte — erklärt. Natürlich hörte nun aller Verkehr zwischen den Freunden auf, da ein solcher von Seite des Obristen Effingham nicht gesucht wurde und Marmaduke sich in der Sache mit vorsichtiger Zurückhaltung benahm. Letzterer sah sich bald genöthigt, die Hauptstadt Philadelphia zu verlassen; er hatte jedoch die Vorsorge getroffen, seine ganze Habe, mit Einschluß der Papiere seines Freundes, aus dem Bereich der königlichen Streitkräfte zu bringen. Er fuhr fort, während des Kampfes seinem Vaterlande in verschiedenen Civilämtern Dienste zu leisten, denen er stets mit Eifer und Würde vorstand. Während er sich jedoch den ihm anvertrauten Obliegenheiten mit Aufopferung und Treue unterzog, schien er seinen eigenen Vortheil nie aus dem Gesichte zu verlieren; denn als vermöge der Confiscationsacte die Güter der Königlichgesinnten zum Verkauf ausgeboten wurden, erschien er in New-York und kaufte sehr ausgedehnte Besitzungen zu verhältnismäßig sehr niedrigen Preisen.
Es ist wahr, daß Marmaduke durch den Ankauf von Gütern, die andern gewaltsam entrissen worden waren, sich dem bittern Tadel jener Secte aussetzte, die ihre Kinder, wenn sie dieselben auch hin und wieder von der vollen Theilnahme an ihrem Familienverband ausschließt doch nie gerne der Welt ganz abtreten zu wollen scheint. Doch kam dieser Makel seines Charakters — sey es in Folge des glücklichen Ergebnisses seiner Speculation, oder weil derartige Versündigungen allzuhäufig wurden — bald wieder in Vergessenheit; und obgleich es einige gab, die — mit ihrem eigenen Loose unzufrieden oder im Gefühle ihres persönlichen Unwerthes — gehässige Andeutungen über das plötzliche Reichwerden des armen Quäkers fallen ließen, so gingen diese doch frühzeitig in der Anerkennung seiner geleisteten Dienste, vielleicht auch, weil er jetzt für reich galt, wieder unter.
Als nach-Beendigung des Krieges die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten anerkannt war, verwandte Temple wegen des schwankenden und unsicheren Zustandes im Handelsverkehr seine Aufmerksamkeit auf Urbarmachung der von ihm erkauften Landstriche. Seine Geldmittel und sein praktischer Blick ließen diese Unternehmung in einem Grade gedeihen, wie man es von dem bergigen Boden nie erwartet hatte. Der Werth seines Besitzes verzehnfältigte sich und bereits wurde er den reichsten und bedeutendsten Männern des Landes beigezählt. Die einzige Erbin dieser Reichthümer war die oben erwähnte Tochter, die der Vater aus dem Erziehungshause abgeholt hatte, damit sie seinem Haushalte vorstehe und die Stelle der nur zu lang vermißten Gebieterin ersetze.
Als der District, in welchem seine Besitzungen lagen, hinreichend bevölkert war, um für einen Bezirk gezählt zu werden, wurde Herr Temple dem in den neuen Ansiedelungen geltenden Brauche gemäß zum ersten Richter desselben ernannt. Ein Londoner Rechtsgelehrter wird vielleicht hierüber lachen, aber ein solcher Beamter war einmal nothwendig, und in Talenten und Erfahrung liegt an sich schon eine Würde, die unter allen Verhältnissen den, welcher sich dieser Vorzüge erfreut, unterstützt. Marmaduke, der hinsichtlich der Klarheit des Verstandes höher begünstigt war, als der Richter des Königs Carl, entschied nicht nur richtig, sondern wußte in der Regel auch seine Entscheidungen durch die triftigsten Gründe zu belegen. Ueberhaupt war es in jener Zeit eben nicht anders Landesbrauch, und der Richter Temple gehörte nicht nur nicht zu den unbedeutenderen Männern, welche in den neuen Bezirken diese Würde begleiteten, sondern er wurde sogar einstimmig den Ersten derselben beigezählt, ein Vorzug; den er zu verdienen sich bewußt war.
Wir schließen übrigens hier diese kurze Einleitung in unsere Geschichte und die Charakterschilderung einiger Hauptpersonen, da es wohl besser ist, wenn wir sie von jetzt an für sich selbst sprechen und handeln lassen.
Drittes Kapitel.
Was rings um ist, hat die Natur geschaffen:
Die Felsen, hebend ihre moos'gen Häupter
Gleich Schlosseszinnen einer alten Zeit!
Die stolzen Stämme, deren breite Aeste
Der Winterstürme Wuth durchschüttert!
Das eis'ge Feld, das in der Sonne Strahl
Die Weiße einer Marmorbrust verspottet!
Doch wie der Jungfrau Ruf befleckt die Schmähsucht,
Also dies Bild des Menschen Ungeschmack.
Duo.
Es verging eine Weile, ehe Marmaduke Temple sich von seiner Bestürzung soweit erholt hatte, um seinen neuen Begleiter näher betrachten zu können. Jetzt aber bemerkte er, daß derselbe ein Jüngling von ungefähr zwei oder dreiundzwanzig Jahren und etwas mehr als mittlerer Größe war. Weiter ließ sich durch den groben Mantel, welcher, gleich dem des alten Jägers, durch einen Gürtel von Wollenzeug an dem Leibe festgehalten wurde, nicht erkennen. Die Augen des Richters erhoben sich, nachdem sie einen Moment auf der ganzen Gestalt des jungen Mannes geruht hatten, prüfend zu dessen Antlitz, in dem sich, als der Fremde den Sleigh bestieg, ein Zug von Widerwillen ausgesprochen hatte, welcher nicht nur Elisabeth's Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern auch ihre geheime Neugierde nach dem Grunde derselben weckte. Am lebhaftesten erschien seine Verlegenheit, als er seinem alten Begleiter Verschwiegenheit einschärfte, und selbst, nachdem er sich entschlossen — oder vielmehr, sich hatte drängen lassen, den Reisenden nach dem Dorfe zu folgen, zeigten seine Blicke keinen besonders hohen Grad von Selbstzufriedenheit über diesen Schritt. Doch wurden die Linien seines ungewöhnlich ansprechenden Gesichts allmählig ruhig, und jetzt saß er schweigend, in tiefes Nachsinnen versenkt, da. Der Richter blickte ihn eine Weile ernst an und begann dann mit einem Lächeln, das wohl seiner Vergeßlichkeit gelten mochte:
„Ich glaube, mein junger Freund, daß der Schrecken mich Euern Namen vergessen ließ. — Euer Gesicht ist mir bekannt; aber ich kann mich Eueres Namens nicht entsinnen, und wenn ich mit dadurch ein ganzes Schock Hirschschwänze auf die Mütze verdienen könnte.“
„Ich bin erst seit drei Wochen in dieser Gegend,“ versetzte der Jüngling kalt, „und dem Vernehmen nach sind Sie wohl zweimal so lang abwesend gewesen.“
„Morgen werden's fünf Wochen. Aber doch muß ich Euer Gesicht schon gesehen haben, obgleich es mich nach dem gehabten Schrecken nicht Wunder nehmen würde, wenn Ihr mir heute Nacht im Traume vorkämet und in Leintücher gehüllt an meinem Bette auf- und abspaziertet. Was sagst Du, 'Beß? Bin ich compos mentis oder nicht? — Hältst Du mich für geeignet, in einer großen Jury den Vorsitz zu führen, oder was im gegenwärtigen Augenblicke noch dringlicher ist — diesen Abend die Weihnachtshoneurs in der Halle von Templeton zu machen?“