„Was mag er wohl sehen?“ sagte Elisabeth.
Da Miß Temple keine Antwort von ihrer Gefährtin erhielt, so wandte sie den Kopf herum und erblickte Luise, die mit leichenblassem Gesichte da stand und in krampfhaftem Zittern ihres Armes mit dem Finger in die Höhe deutete. Elisabeth's rasches Auge folgte der von ihrer Freundin angedeuteten Richtung und gewahrte der stolzen Stirne und der funkelnden Augen eines weiblichen Panthers, welcher, zum Sprunge fertig, grimmige Blicke nach ihnen schoß.
„Laß uns fliehen,“ rief Elisabeth, indem sie Luisens Arm griff, deren Körper gleich schmelzendem Schnee zusammenbrach.
Es lag nicht der mindeste Zug in Elisabeth Temple's Charakter, der sie hätte veranlassen können, eine Freundin in einer solchen Noth zu verlassen. Sie fiel neben der leblosen Luise auf ihre Knie nieder und lüftete in instinktartiger Schnelle diejenigen Theile des Anzugs ihrer Gefährtin, welche dem Athmen Eintrag thun konnten, indem sie zugleich ihre einzige Sicherheitswache, den Hund, durch die Töne ihrer Stimme zu ermuthigen suchte.
„Halte dich wacker, Brave!“ rief sie in bebenden Lauten. „Muth. Muth, guter Brave!“
Ein junger Panther, der bisher Elisabeth's Blicken entgangen war, kugelte nun aus den Zweigen eines Gesträuchs herunter, das in dem Schatten der dem alten Thiere zum Sitze dienenden Buche wuchs. Das unerfahrene Geschöpf näherte sich dem Hunde, indem es die Gebärden und Töne seiner Mutter nachahmte, aber auf eine seltsame Weise das Spielen eines Kätzchens mit der Wildheit seiner Race vereinigte. Es stellte sich auf seine Hinterbeine und zerkratzte mit den Vorderpfoten die Rinde eines Baumes in katzenartiger Possierlichkeit; dann peitschte es sich selber mit dem Schwanze, heulte, und scharrte die Erde auf, wobei es versuchte, den gleichen Grimm an den Tag zu legen, der seine Mutter so schrecklich machte.
Die ganze Zeit über stand Brave fest und furchtlos da, den kurzen Schwanz in die Höhe gereckt, und den Körper gegen seine Hinterbeine zurückgezogen, während seine Augen unablässig die Bewegungen der beiden Bestien beobachteten. Das .Junge kam spielend mit jedem Sprunge dem Hunde näher, und das Heulen der drei Thiere wurde mit jedem Augenblicke schrecklicher, bis der junge Panther sich überpurzelte, und gerade vor dem Bullenbeißer niederfiel. Es war ein Augenblick des fürchterlichsten Kampfes und Geheuls, der aber eben so bald endete, als er begonnen hatte, denn unmittelbar darauf sah man das junge Thier aus Brave's Rachen in die Luft wirbeln und mit solcher Gewalt gegen einen Baum fliegen, daß es völlig besinnungslos wieder zur Erde fiel.
Elisabeth war Zeugin des kurzen Kampfes, und das Blut schoß ihr ob dem Muthe des Hundes wärmer durch die Adern, als sie auf einmal die Gestalt der alten Pantherin in die Luft schießen sah, die aus zwanzig Fuß weiter Entfernung von dem Buchenaste auf den Rücken des Bullenbeißers niederstürzte. Keine Worte vermögen den wüthenden Kampf zu schildern, der jetzt folgte. Es war ein wirres Balgen auf den trockenen Blättern, begleitet von lautem und schrecklichem Geheule. Miß Temple blieb, mit dem Körper über Luise gebeugt, auf ihren Knieen liegen und heftete ihre Augen mit einer entsetzenvollen, aber doch so gespannten Theilnahme auf die Thiere, daß sie fast ob dem Ausgange des Kampfes, ihre eigene Sicherheit vergaß. Die Sprünge der Waldbewohnerin waren so rasch und lebhaft, daß ihre bewegliche Gestalt fast ohne Unterlaß in der Luft zu schweben schien, während der edle Hund bei jeder neuen Wendung seinem Feinde wacker Stand hielt. Wenn der Panther sein Hauptziel, die Schulter des Bullenbeißers erreicht hatte, so schüttelte der alte Brave seinen wüthenden Gegner stets wie eine Feder ab, obgleich seine Haut an vielen Stellen zerrissen war und er bereits aus einem Dutzend Wunden blutete: er richtete sich auf seine Hinterbeine auf und begann auf's Neue mit offenem Rachen und furchtlosen Augen das schreckliche Ringen. Aber das Alter und ein gemächliches Leben waren keine geeignete Vorbereitung für einen solchen Kampf, und der edle Bullenbeißer zeigte in Allem, seinen Muth ausgenommen, keine Spur mehr von dem, was er vordem gewesen. Ein höherer Sprung als die früheren brachte die gewandte und wüthende Bestie weit aus dem Bereich des Hundes, der ihr mit einer verzweifelnden aber vergeblichen Anstrengung nachzusetzen suchte, und nun stürzte sie abermals aus einer günstigeren Lage auf den Rücken ihres alten Feindes nieder, Sie vermochte sich nur einen einzigen Augenblick zu halten, da der Hund in krampfhaftem Ringen seine äußersten Kräfte aufbot. Aber Elisabeth sah jetzt, als Brave seine Zähne wieder in die Seite der Gegnerin schlug, daß das Messing Halsband, welches während des ganzen Ringens blank gewesen, sich mit Blut färbte, und unmittelbar darauf sank sein Körper schwerfällig zur Erde, wo er sich ausreckte und hilflos liegen blieb. Es folgten nun mehrere gewaltsame Anstrengungen von Seiten der wilden Katze, sich dem Gebisse des Hundes zu entwinden, die jedoch fruchtlos blieben, bis sich der Bullenbeißer auf den Rücken legte und seine Zähne losließen, worauf kurze Zuckungen und die darauf folgende Stille den Tod des armen Brave verkündigten.
Elisabeth war nun ganz der Gewalt der Bestie preisgegeben. Man sagt, es liege etwas in dem Antlitz von Gottes Ebenbilde, was den Muth aller untergeordneten Geschöpfe einschüchtere; und es konnte scheinen, daß eine solche Gewalt auch in dem gegenwärtigen Augenblicke das drohende Aeußerste verzögerte. Die Augen des Ungeheuers und des knieenden Mädchens begegneten sich für einen Moment, worauf das Estere den Kopf senkte, um den gefallenen Feind zu untersuchen und das Junge zu beriechen. Sobald es jedoch des Letzteren ansichtig wurde, schossen seine Augen neue Glutblitze; es peitschte sich die Seiten wüthend mit dem Schweife und seine Krallen traten zollang aus den breiten Tatzen hervor.
;iß Temple wollte oder konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Ihre Hände waren zum Gebet gefaltet, aber ihre Augen ruhten dabei unablässig auf ihrem schrecklichen Feinde; ihre Wangen glichen an Weiße dem Marmor und ihre Lippen waren vor Entsetzen leicht geöffnet. Der Augenblick eines schrecklichen Endes schien nun gekommen zu seyn, und Elisabeth's schöne Gestalt ergab sich bereits demüthig in dieses herbe Aeußerste, als ein Rauschen von Blättern hinter ihrem Rücken eher ihr Ohr zu necken, als wirkliche Hoffnung zu erwecken schien.
„Bst, Bst!“ ließ sich eine Stimme vernehmen. „Bücken Sie sich tiefer; Ihr Hut verbirgt mir den Kopf der Bestie.“
Es war mehr ein Nachgeben gegen die gebieterische Macht der Natur, als eine Willfährigkeit gegen diese unerwartete Aufforderung, was unsere Heldin veranlaßte, das Haupt auf ihre Brust sinken zu lassen, als sie auf einmal den Knall einer Büchse, das Pfeifen der Kugel und das wüthende Heulen der Bestie vernahm, welche sich auf der Erde überkugelte, in ihr eigenes Fleisch die Zähne schlug und, so weit ihre Pfoten reichten, Aeste und Zweige zerriß. Im nächsten Augenblick eilte Lederstrumpf auf Elisabeth zu, während er laut seinem Hunde zurief:
„Herein, Hector! komm herein, alter Narr! Solch ein Thier hat ein zähes Leben und könnte wohl wieder aufspringen.“
Natty blieb furchtlos vor den Frauenzimmern stehen, ohne sich durch die gewaltigen Sätze und den drohenden Anblick der verwundeten Pantherin einschüchtern zu lassen, an der verschiedene Merkmale die Rückkehr ihrer Kraft und Wildheit verkündeten. Erst, als er seine Büchse wieder geladen hatte, näherte er sich dem wüthenden Ungethüm, hielt die Mündung seines Gewehrs dicht vor dessen Kopf und im Nu war jede Spur des Lebens aus dem Thiere vertilgt. — Der Tod ihres schrecklichen Feindes erschien Elisabeth wie eine Auferstehung aus ihrem eigenen Grabe. Es lag eine Schwungkraft in dem Geiste unserer Heldin, welche sich unter dem Drang der augenblicklichen Gefahr hob, und je näher diese war, desto mehr hatte ihre Natur gekämpft, um ihr muthig in's Auge zu schauen. Dem ungeachtet war sie ein Weib. Wäre sie in ihrer äußersten Noth sich selbst überlassen gewesen, so hätte sie wahrscheinlich alle ihre Seelenkräfte aufgeboten, um die geeigneten Maßregeln zum Schutze ihrer Person zu treffen; aber mit dem Hemmgewichte einer besinnungslosen Freundin war an eine Flucht nicht zu denken. — Ungeachtet des furchtbaren Anblicks ihrer Feindin hatte doch Elisabeth die Augen nie vor den wüthenden Blicken derselben abgewendet; und noch lange nach diesem Ereigniß kehrten ihre Gedanken oft zu den Gefühlen jenes Augenblicks zurück, oder wurde die sanfte Ruhe ihres nächtlichen Schlummers getrübt, wenn ihre rege Phantasie die unbedeutendsten Bewegungen des Ungethüms herauf beschwor, wie sie dieses in dem Moment, als sie ganz in seine Macht gegeben zu seyn schien, an den Tag legte.