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Edwina nickte. Die gleiche Frage hatte sich ihr auch schon aufgedrängt.

So unauffällig wie möglich beobachtete Edwina die junge Frau. Sie war klein, sehr schlank, dunkelhaarig, nicht eigentlich hübsch, aber doch aufreizend, in einer halb mädchenhaften, halb wissenden Art. Sie sah wie eine Puertorikanerin aus, und das war sie auch. Bei den wenigen Worten, die sie gesagt hatte - sie redete nur, wenn sie gefragt wurde -, sprach sie mit deutlichem Akzent.

Es war nicht leicht zu entscheiden, welche Position Juanita Nunez eigentlich bezog. Kooperativ war ihre Haltung gewiß nicht, jedenfalls nicht nach außen, dachte Edwina, und die junge Frau hatte keinerlei Informationen beigesteuert, die über ihre ursprünglich abgegebene Erklärung hinausgegangen wären. Von Anfang an hatte der Gesichtsausdruck der Kassiererin entweder mürrisch oder ablehnend-feindselig gewirkt. Gelegentlich schienen ihre Gedanken abzuschweifen, so als langweile sie sich und halte die ganze Prozedur für reine Zeitverschwendung. Aber sie war zugleich auch nervös, was sich durch die krampfhaft zusammengepreßten Hände und beständiges Herumdrehen eines dünnen goldenen Eherings verriet. Edwina hatte den auf ihrem Schreibtisch liegenden Personalbogen durchgesehen und wußte, daß Juanita Nunez fünfundzwanzig Jahre alt und verheiratet war, doch getrennt lebte, und daß sie ein drei Jahre altes Kind hatte. Sie arbeitete seit fast zwei Jahren für die First Mercantile American, und zwar von Anfang an als Kassiererin. Was nicht auf dem Personalbogen stand, was Edwina aber irgendwann einmal gehört hatte, war dies: Mrs. Nünez sorgte allein, ohne Hilfe für ihr Kind, und sie war in finanziellen Schwierigkeiten gewesen, war es vielleicht auch jetzt noch, weil ihr Mann sich nicht nur davongemacht, sondern ihr auch Schulden hinterlassen hatte.

Obwohl er bezweifelte, daß Mrs. Nünez die Höhe der möglicherweise fehlenden Summe kennen konnte, fuhr Tottenhoe fort, habe er sie an ihrem Schalter ablösen und sie sogleich »mit ihrem Bargeldbestand einschließen« lassen.

Dieses »Einschließen« war in Wirklichkeit eine Schutzmaßnahme für den betroffenen Angestellten; es handelte sich um eine in Fällen dieser Art übliche Routinemaßnahme. Sie bedeutete lediglich, daß der Kassierer zusammen mit seinem Geldfach und einer Rechenmaschine in einem kleinen geschlossenen Büro untergebracht und angewiesen wurde, sämtliche Transaktionen des Tages nachzurechnen.

Tottenhoe wartete draußen.

Schon nach kurzer Zeit rief sie den Innenleiter herein. Ihr Bargeldbestand stimme nicht, erklärte sie. Es fehle ein Betrag von sechstausend Dollar.

Tottenhoe zog Miles Eastin hinzu, und gemeinsam nahmen sie eine zweite Kontrolle vor, während Juanita Nünez dabeisaß und zusah. Sie stellten fest, daß ihre Angaben korrekt waren. Ohne Zweifel fehlte Bargeld, und zwar genau die Summe, die sie von Anfang an genannt hatte.

Als die Dinge so weit gediehen waren, hatte Tottenhoe Edwina angerufen.

»Damit sind wir also wieder am Ausgangspunkt angelangt«, sagte Edwina. »Hat vielleicht irgend jemand eine neue Idee?«

Miles Eastin meldete sich zu Wort. »Ich würde Juanita gern ein paar weitere Fragen stellen.«

Edwina nickte.

»Denken Sie bitte genau über meine Frage nach, Juanita«, begann Eastin. »Haben Sie heute irgendwann im Laufe des Tages einem anderen Kassierer mit Geld ausgeholfen?«

Die Gepflogenheit war allen bekannt. Es kam oft vor, daß einem Kassierer Banknoten oder Münzen eines bestimmten Wertes ausgingen, und wenn das mitten im Hochbetrieb geschah, marschierten die Kassierer nicht erst in den Tresorraum, sondern halfen sich gegenseitig durch »Kaufen« oder »Verkaufen« von Bargeld aus. Um die Sache aktenkundig zu machen, füllten sie rasch ein kleines Formular aus. Aber gelegentlich wurden in der Eile oder aus Unachtsamkeit Fehler gemacht, so daß dann am Ende des Geschäftstages der eine Kassierer zu wenig, der andere zuviel Bargeld hatte. Es war jedoch kaum vorstellbar, daß eine Differenz dieser Art sechstausend Dollar betragen sollte.

»Nein«, sagte die Kassiererin. »Kein Kauf, kein Verkauf. Heute nicht.«

Eastin gab nicht auf. »Ist Ihnen heute irgendwann aufgefallen, daß ein anderer Angestellter in die Nähe Ihres Bargeldes gekommen ist, so daß er etwas hätte nehmen können?«

»Nein.«

»Als Sie heute zu mir kamen, Juanita«, sagte Eastin, »und mir meldeten, daß Ihrer Meinung nach Geld fehlte, wie lange hatten Sie da schon etwas davon gewußt?«

»Ein paar Minuten.«

Edwina warf ein: »Wie lange nach Ihrer Mittagspause war das, Mrs. Nunez?«

Die junge Frau zögerte, sie schien sich in diesem Punkt weniger sicher zu sein. »Vielleicht zwanzig Minuten.«

»Reden wir jetzt mal von der Zeit vor Ihrer Mittagspause«, sagte Edwina. »Glauben Sie, daß das Geld da auch schon gefehlt hat?«

Juanita Nunez schüttelte verneinend den Kopf.

»Wieso können Sie sich dessen so sicher sein?«

»Ich weiß es.«

Edwina begann sich über die wenig hilfreichen und einsilbigen Antworten zu ärgern. Und die verdrossene Feindseligkeit, die sie von Anfang an gespürt hatte, schien jetzt deutlicher hervorzutreten.

Tottenhoe wiederholte die entscheidende Frage. »Warum waren Sie nach der Mittagspause so sicher, nicht nur, daß Bargeld fehlte, sondern auch, daß eine ganz bestimmte Summe fehlte?«

Das kleine Gesicht der jungen Frau drückte Trotz aus. »Ich wußte es.«

Es herrschte ungläubiges Schweigen.

»Halten Sie es für denkbar, daß Sie irgendwann im Laufe des Tages einem Kunden versehentlich sechstausend Dollar ausgezahlt haben?«

»Nein.«

Miles Eastin fragte: »Als Sie vor der Mittagspause Ihren Schalterplatz verließen, Juanita, da haben Sie doch Ihr Geldfach in den Tresorraum gebracht, das Kombinationsschloß eingestellt und das Geld dort gelassen. Ist das richtig?«

»Ja.«

»Wissen Sie ganz genau, daß Sie das Schloß betätigt haben?«

Die junge Frau nickte entschieden mit dem Kopf.

»War das Schloß des Innenleiters geschlossen?«

»Nein, es war offen. «

Auch das war normal. War die Kombination des Innenleiters am Morgen auf »Offen« eingestellt, so war es üblich, sie tagsüber in dieser Position zu lassen.

»Aber als Sie vom Essen zurückkamen, da war Ihr Geldfach noch im Tresorraum, und es war noch verschlossen?«

»Ja.«

»Kennt außer Ihnen selbst noch irgend jemand Ihre Kombination? Haben Sie sie irgendwann mal einem anderen verraten?«

»Nein.«

Einen Augenblick stockte die Befragung. Die beiden anderen, die an ihrem Schreibtisch saßen, gingen jetzt wohl, wie Edwina vermutete, im Geiste noch einmal Schritt für Schritt das TresorVerfahren dieser Filiale durch.

Das Bargeldfach, von dem Miles Eastin gesprochen hatte, war in Wirklichkeit eine tragbare Panzerkassette auf einem ziemlich hohen Ständer mit Rollen, leicht genug, um ohne große Mühe bewegt werden zu können. Einige Banken nannten das Ding auch den Bargeldwagen. Jeder Kassierer besaß seinen eigenen Wagen, der auffällig numeriert war und im allgemeinen immer nur von diesem einen Kassierer benutzt wurde. Ein paar Ersatzwagen standen für Ausnahmefälle zur Verfügung. Einen davon hatte sich Miles Eastin an diesem Tag genommen.

Alle Kassierer-Geldwagen wurden beim Einfahren in den Tresorraum und beim Verlassen genau vom StahlkammerChefkassierer registriert. Es war nicht möglich, einen Geldwagen hineinzubringen oder herauszuholen, ohne daß der Chefkassierer es bemerkte und registrierte; ebenso unmöglich war es, den Wagen eines Kollegen herauszuholen, sei es mit Absicht oder aus Versehen. Nachts und an den Wochenenden war die massive Stahlkammer fester versiegelt als ein Pharaonengrab.