»Bevor ich Ihnen das sage, müssen Sie mir bitte versprechen, daß unter uns bleibt, was heute abend gesagt wird.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe keinen, dem ich es weitersagen könnte. Aber ich verspreche es Ihnen.«
»Eastin wird einiges aufzuspüren versuchen. Für die Bank, aber inoffiziell. Hat er Erfolg, könnte es ihm bei seiner Rehabilitierung helfen, und darum geht es ihm.« Wainwright machte eine Pause, während er einen Traktor mit Anhänger überholte. Er fuhr fort: »Die Arbeit ist riskant. Sie wäre noch riskanter, wenn Eastin mir direkt berichtete. Wir brauchen jemanden, der Nachrichten vom einen zum anderen befördert -einen Zwischenträger.«
»Und da sind Sie auf mich verfallen?«
»Es wäre eine Möglichkeit, die Entscheidung liegt aber ganz allein bei Ihnen. Stimmen Sie zu, würde es Eastin helfen, wieder auf die Beine zu kommen.«
»Und ist Miles der einzige, dem es helfen würde?«
»Nein«, gab Wainwright zu. »Es würde mir helfen; der Bank auch.«
»So ähnlich habe ich es mir gedacht.«
Sie hatten jetzt die hellen Lichter hinter sich gelassen und passierten eine Brücke über den Fluß, dessen Wasser tief unter ihnen schwarz in der zunehmenden Dunkelheit schimmerte. Die Räder des Wagens summten auf der metallenen Straßenoberfläche. Am Ende der Brücke lag die Auffahrt zu einer Fernstraße, die zum Nachbarstaat führte. Wainwright lenkte den Wagen dorthin.
»Sie sagen, er soll einiges aufspüren... Erzählen Sie mir mehr davon.« Juanitas Stimme war leise, ausdruckslos.
»Bitte.« Er schilderte ihr, wie Miles Eastin unter Ausnutzung der im Gefängnis hergestellten Kontakte arbeiten und nach welchen Beweisen er suchen sollte. Es hatte keinen Sinn, sagte sich Wainwright, ihr etwas vorzuenthalten, denn Juanita würde es später doch erfahren. Er berichtete ihr deshalb auch von dem Mord an Vic, verschwieg allerdings die Einzelheiten. »Ich sage nicht, daß Eastin das Gleiche passieren muß«, schloß er,
»jedenfalls werde ich mein möglichstes tun, um das zu verhindern. Ich erwähne es nur, damit Sie wissen, auf was er sich da einläßt; er selbst weiß es natürlich auch. Wenn Sie bereit wären, ihm in der Weise zu helfen, die ich Ihnen geschildert habe, würde es seine Sicherheit erhöhen.«
»Und wer sorgt für meine Sicherheit?«
»Sie gehen praktisch kein Risiko ein. Sie würden nur mit Eastin und mit mir Kontakt haben. Kein anderer erfährt davon, Sie werden nicht in die Sache hineingezogen. Dafür würden wir sorgen.«
»Wenn Sie da so sicher sind, warum treffen wir uns dann unter diesen Umständen?«
»Nur aus Vorsicht. Um sicherzustellen, daß wir nicht zusammen gesehen werden und niemand mithören kann.«
Juanita wartete, dann sagte sie: »Und das ist alles? Mehr haben Sie mir nicht mitzuteilen?«
»Ich denke, das wäre alles.«
Sie waren jetzt auf der Fernstraße, und er fuhr gleichmäßige 70 Stundenkilometer. Er blieb in der rechten Fahrspur, während andere Fahrzeuge sie überholten. Aus der Gegenrichtung strömten ihnen in Dreierreihen Scheinwerfer entgegen, zogen dann, verschwimmend, an ihnen vorbei. Bald würde er eine Ausfahrt nehmen und in die Richtung, aus der sie gekommen waren, zurückfahren. Juanita saß schweigend neben ihm, den Blick nach vorn gerichtet.
Er fragte sich, woran sie denken mochte und wie ihre Antwort ausfallen würde. Er hoffte auf ihr Ja. Wie früher schon, war er sich der sexuellen Anziehung bewußt, die diese zierliche Mädchenfrau auf ihn ausübte. Ihre Widerborstigkeit war ein Teil davon; auch ihr Geruch - eine körperliche feminine Präsenz in dem kleinen, geschlossenen Auto. In Nolan Wainwrights Leben hatte es seit seiner Scheidung wenige Frauen gegeben, und zu jeder anderen Zeit hätte er vielleicht sein Glück versucht. Was er aber jetzt von Juanita wollte, durfte er nicht durch ein Techtelmechtel aufs Spiel setzen.
Gerade wollte er dem Schweigen ein Ende machen, als Juanita sich ihm zuwandte. Trotz des Halbdunkels konnte er sehen, daß ihre Augen blitzten.
»Sie müssen verrückt sein! Verrückt! Verrückt!« Ihre Stimme wurde lauter. »Halten Sie mich für schwachsinnig? jüna boba! jüna tonta! Kein Risiko für mich, sagen Sie! Natürlich ist da ein Risiko, sogar ein ganz gewaltiges. Und wofür? Für den Ruhm des Mr. Wainwright und seiner Bank.«
»Moment mal... «
Sie achtete nicht auf seine Unterbrechung und ließ ihrem Zorn freien Lauf. »Bin ich so ein Nichts? Ich bin allein, ich bin Puertorikanerin. Das genügt wohl, um mir in dieser Welt alles zuzumuten. Ist es Ihnen gleichgültig, wen Sie mißbrauchen und wie? Bringen Sie mich nach Hause! Was für eine pendejada ist das eigentlich?«
»Halt mal!« sagte Wainwright; diese Reaktion hatte er nicht erwartet. »Was ist das, pendejada?«
»Idiotie! Pendejada, daß Sie das Leben eines Menschen für Ihre Interessen, für Ihre Kreditkarten wegwerfen! Pendejada, daß Miles sich darauf einläßt.«
»Er ist zu mir gekommen, hat mich um Hilfe gebeten. Ich bin nicht zu ihm gegangen.«
»Und das nennen Sie Hilfe?«
»Für das, was er tut, wird er bezahlt. Das wollte er auch. Und er war es, der Sie vorgeschlagen hat.«
»Was stimmt denn bei ihm nicht, daß er mich nicht selbst fragen kann? Hat Miles die Sprache verloren? Oder schämt er sich, versteckt er sich hinter Ihrem Rockschoß?«
»Ist ja schon gut, ist ja gut«, wehrte Wainwright die Attacke ab. »Ich habe kapiert. Ich bringe Sie nach Hause.« Eine Ausfahrt lag kurz vor ihnen; er nahm sie, fuhr über eine Brücke und steuerte wieder in Richtung Stadt.
Juanita saß da, noch immer vor Wut kochend.
Zuerst hatte sie versucht, Wainwrights Vorschlag in aller Ruhe zu überdenken. Aber während er sprach und während sie zuhörte, stürmten Zweifel und Fragen auf sie ein, und dann, als sie einen Punkt nach dem anderen bedachte, wuchsen Zorn und Empörung und machten sich schließlich in einer Explosion Luft. Mit diesem Gefühlsausbruch kamen erneuter Haß und Ekel gegen den Mann hoch, der da neben ihr saß. Die schmerzliche Erinnerung an ihr erstes Zusammentreffen mit ihm kehrte jetzt wieder und nahm an Heftigkeit zu. Und sie empfand Zorn, nicht nur, was sie selbst betraf, sondern auch wegen des Mißbrauchs, den Wainwright und die Bank mit Miles treiben wollten.
Gleichzeitig richtete ihr Zorn sich auch gegen Miles. Warum hatte er sich nicht selbst, direkt, an sie gewandt? War er nicht Manns genug? Ihr fiel wieder ein, wie sie vor nicht ganz drei Wochen seinen Mut bewundert hatte, zu ihr zu kommen, ihr entgegenzutreten, sie um Verzeihung zu bitten. Aber seine jetzige Handlungsweise, die Art, sie durch einen anderen bearbeiten zu lassen, das paßte schon eher zu seinem früheren Verrat, als er ihr die Schuld an seinen eigenen Verfehlungen hatte zuschieben wollen. Aber dann schlugen ihre Gedanken um. War sie zu hart, war sie ungerecht? Und wenn sie ehrlich sein wollte - spielte bei all ihrem Zorn nicht auch die Enttäuschung eine Rolle, daß Miles nach der Begegnung in ihrer Wohnung nicht wiedergekommen war? Und daß nicht er - den sie trotz allem mochte - mit diesem Vorschlag gekommen war, sondern Nolan Wainwright vorgeschickt hatte, den sie nicht mochte?
Ihr Zorn, der sich nie lange hielt, verebbte langsam; Unsicherheit trat an seine Stelle.
»Und was werden Sie jetzt tun?« fragte sie.
»Wofür ich mich auch entscheide, Ihnen werde ich es gewiß nicht anvertrauen.« Seine Stimme klang schroff, von seinem Versuch, freundlich zu sein, war nichts mehr geblieben.
Plötzlich beunruhigt, fragte Juanita sich, ob sie unnötig feindselig gewesen war; sie hätte die Bitte abschlagen können, ohne beleidigend zu werden. Ob Wainwright nach einer Möglichkeit suchen würde, es ihr in der Bank heimzuzahlen? Hatte sie ihren Arbeitsplatz in Gefahr gebracht - die Arbeit, auf die sie angewiesen war, um für Estela sorgen zu können? Juanitas Angst nahm zu. Sie hatte nun doch das Gefühl, in einer Falle zu sitzen.