Und noch etwas kam hinzu, gestand sie sich ein: Wenn sie aufrichtig war - worum sie sich bemühte -, so tat es ihr leid, daß sie wegen ihrer Entscheidung nun Miles nie wiedersehen würde.
Der Wagen fuhr langsamer. Sie waren in der Nähe der Abzweigung, die sie wieder zurückbringen würde über die Brücke.
Zu ihrer eigenen Überraschung hörte Juanita sich mit einer tonlosen, leisen Stimme sagen: »Also gut. Ich mache es.«
»Sie machen - was?«
»Ich mache es, ich werde als - wie haben Sie es genannt...«
»Als Zwischenträger fungieren.« Wainwright sah sie von der Seite her an. »Haben Sie es sich auch gut überlegt?«
»Si, estoy segura. Ich bin ganz sicher, daß ich es will.«
Zum zweitenmal an diesem Abend seufzte er. »Sie sind ein seltsamer Mensch.«
»Ich bin eine Frau.«
»Ja«, sagte er, und einiges von seiner Freundlichkeit kehrte zurück. »Das habe ich gemerkt.«
Anderthalb Straßenblocks von Forum East entfernt hielt Wainwright an, ließ aber den Motor laufen. Er zog zwei Umschläge aus einer Innentasche seines Jacketts - einen dicken, einen kleineren - und gab Juanita den dickeren.
»Das ist Geld für Eastin. Verwahren Sie es, bis er sich meldet.« Der Umschlag, erklärte Wainwright, enthielt vierhundertfünfzig Dollar in bar - die vereinbarte monatliche Summe, abzüglich eines Vorschusses von fünfzig Dollar, den Miles in der vorigen Woche von Wainwright bekommen hatte.
»Ende der Woche«, fügte er hinzu, »ruft Eastin mich an, und ich nenne dann ein Codewort, das wir schon vereinbart haben. Ihr Name fällt nicht. Aber er weiß dann, daß er sich bei Ihnen melden soll, und das wird er kurz darauf tun.«
Juanita nickte, sich konzentrierend, und merkte sich, was ihr gesagt worden war.
»Nach diesem Telefonanruf werden Eastin und ich keinen direkten Kontakt mehr aufnehmen. Was wir uns mitzuteilen haben, läuft über Sie. Am besten schreiben Sie nichts auf, sondern behalten alles im Kopf. Ich weiß zufällig, daß Sie ein gutes Gedächtnis haben.«
Wainwright lächelte, als er das sagte, und plötzlich lachte Juanita auf. Wie merkwürdig, daß ihr außerordentlich gutes Gedächtnis, einst Ursache ihrer Schwierigkeiten mit der Bank und Nolan Wainwright, jetzt von ihm als Pluspunkt verbucht und genutzt wurde!
»Übrigens brauche ich Ihre private Telefonnummer«, setzte er hinzu. »Ich habe sie auf der Liste nicht gefunden.«
»Das liegt daran, daß ich kein Telefon habe. Zu teuer.«
»Aber Sie brauchen eins. Vielleicht will Eastin Sie anrufen; vielleicht ich. Wenn Sie sich sofort ein Telefon legen lassen, werde ich dafür sorgen, daß Ihnen die Bank die Kosten ersetzt.«
»Ich will's versuchen. Aber ich weiß von anderen, daß es in Forum East lange dauert, bis man einen Anschluß bekommt.«
»Dann lassen Sie mich das regeln. Ich rufe die Telefongesellschaft morgen an. Ich garantiere Ihnen, daß es schnell über die Bühne geht.«
»Gut.«
Jetzt öffnete Wainwright den zweiten, kleineren Umschlag. »Wenn Sie Eastin das Geld geben, dann geben Sie ihm auch dies.«
»Dies« war eine Keycharge-Bankkreditkarte, ausgestellt auf den Namen H. E. LYNCOLP. Auf der Rückseite der Karte war ein freier Platz für die Unterschrift.
»Lassen Sie Eastin die Karte unterschreiben, mit diesem Namen, in seiner normalen Handschrift. Der Name ist erfunden, aber wenn er die Anfangsbuchstaben und den letzten Buchstaben ansieht, wird er merken, daß sie das Wort H-E-L-P ergeben, HILFE. Dafür ist die Karte da.«
Der Sicherheitschef der Bank erklärte, daß der KeychargeComputer so programmiert worden sei, daß bei Vorlage dieser Karte, wo es auch sei, ein Kauf bis zu hundert Dollar genehmigt würde, gleichzeitig aber würde automatisch in der Bank ein Alarm ausgelöst. Wainwright erhielt auf diese Weise die Nachricht, daß Eastin Hilfe brauchte, und auch, wo er sich gerade befand.
»Er kann die Karte benutzen, wenn er eine heiße Spur gefunden hat und Unterstützung braucht oder auch, wenn er glaubt, daß er in Gefahr ist. Je nachdem, was bis dahin geschehen ist, werde ich entscheiden, was zu tun ist. Sagen Sie ihm, er soll etwas kaufen, das mehr als fünfzig Dollar kostet; so können wir sicher sein, daß das Geschäft telefonische Bestätigung einholt. Nach dem Anruf soll er dann so lange trödeln wie irgend möglich, um mir Zeit zum Handeln zu geben.«
Wainwright fügte hinzu: »Vielleicht wird er die Karte nicht brauchen. Aber wenn er sie braucht, dann ist das ein Signal, von dem kein anderer etwas erfährt.«
Auf Wainwrights Bitte wiederholte Juanita seine Anweisungen fast Wort für Wort. Er sah sie bewundernd an. »Sie sind ein kluges Kind.«
»iDe que me vale, muerta?«
»Was heißt das?«
Sie zögerte, dann übersetzte sie: »Was nützt mir das, wenn ich tot bin?«
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen!« Er streckte eine Hand aus und berührte flüchtig ihre gefalteten Hände. »Ich verspreche Ihnen, es wird alles gutgehen.«
In diesem Augenblick wirkte seine Zuversicht ansteckend. Aber später, als Juanita in ihre Wohnung zurückgekehrt war und Estela schlief, war dieser Instinkt, der sie hartnäckig vor kommenden Gefahren warnte, plötzlich wieder da und wollte nicht von ihr weichen.
7
Der Fitness-Club Doppelte Sieben roch nach Dampf, abgestandenem Urin, menschlichen Leibern und Schnaps. Aber wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte, mischten sich die Ausdünstungen zu einem einzigen scharfen, auf seltsame Weise nicht unangenehmen Geruch, so daß gelegentlich hereinziehende frische Luft störend wirkte.
Der Club war ein kastenähnliches, dreistöckiges Gebäude aus braunen Ziegeln in einer heruntergekommenen Sackgasse am Rande des Stadtkerns. Seine Fassade trug die Spuren von fünfzigjähriger Abnutzung, Vernachlässigung und - neueren Datums - Kritzelei. Auf dem Dach dieses Baus befand sich ein ungeschmückter Stumpf einer Fahnenstange, und niemand konnte sich erinnern, sie je anders als abgebrochen gesehen zu haben. Der Haupteingang bestand aus einer massiven, nicht gekennzeichneten Tür, die auf einen durch Risse, umgestürzte Mülleimer und unzählige Haufen von Hundekot verschandelten Bürgersteig führte. Unmittelbar hinter der Tür war die Empfangshalle mit abblätternder Farbe an den Wänden, die von einem schwachsinnig geschlagenen Exboxer bewacht werden sollte. Er hatte Auftrag, Mitglieder hereinzulassen und Fremde abzuwimmeln. Er war aber manchmal nicht da, was die Tatsache erklärte, daß Miles Eastin unangefochten hineinspazieren konnte.
Es war kurz vor zwölf, mitten in der Woche, und ein Schwall lauter Stimmen trieb von irgendwoher aus dem hinteren Teil des Gebäudes nach vorn. Miles ging dem Stimmengeräusch entgegen, einen Korridor entlang, der nicht besonders sauber war und dessen Wände mit vergilbten Preisboxer-Fotos behängt waren. Am Ende führte eine offenstehende Tür zu einer halb verdunkelten Bar, aus der die Stimmen kamen. Miles ging hinein.
Anfangs konnte er in dem Dämmerlicht kaum etwas erkennen und tappte mit unsicheren Schritten vorwärts, so daß er von einem Kellner, der es eilig hatte und ein Tablett voller Gläser trug, angerempelt wurde. Der Kellner fluchte, konnte seine Gläser gerade noch retten und ging weiter. Zwei Männer auf Barhockern drehten sich um. Einer sagte: »Dies is 'n Privatclub, Mann. Wennse kein Mitglied sind - raus!«
Der andere beklagte sich: »Pedro, das faule Schwein, is' wohl wieder verduftet. Mensch, das 'n Portier! He, wer biste? Was willste?«
»Ich such' Jules LaRocca«, sagte Miles.