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»Such woanders«, befahl ihm der erste. »Keiner da, der so heißt.«

»He, Miles, Baby!« Ein vierschrötiger Mann mit Schmerbauch ruderte emsig durch die Halbfinsternis auf ihn zu. Das vertraute Wieselgesicht nahm Konturen an. Es war LaRocca, der im Gefängnis Drummonburg Emissär der Mafiastraße gewesen war und der sich später Miles und seinem Beschützer Karl angeschlossen hatte. Karl war noch im Knast, und da würde er sehr wahrscheinlich auch bleiben. Jules LaRocca war kurz vor Miles Eastin zur Bewährung entlassen worden.

»Hallo, Jules«, sagte Miles und nickte.

»Komm her. Ich mach' dich mal bekannt hier.« LaRocca packte Miles mit dicken Fingern am Arm. »Freund von mir«, erklärte er den beiden Männern auf Barhockern, die ihm gleichgültig den Rücken zukehrten.

»Warte«, sagte Miles, »bei mir is' nix zu holen. Bin pleite. Kann nix schmeißen.« Er verfiel mühelos in den Jargon, den er im Gefängnis gelernt hatte.

»Macht nichts. Ich schmeiß' 'n Bier.« Als sie ihren Weg zwischen Tischen suchten, fragte LaRocca:    »Wo haste gesteckt?«

»'n Job gesucht. Bin erledigt, Jules. Könnte 'n bißchen Hilfe gebrauchen. Wie isses, du hast doch gesagt, daß du was für mich tun willst.«

»Aber ja doch.« Sie blieben an einem Tisch stehen, an dem zwei andere Männer saßen. Einer war dünn und faltig, mit traurigem, pockennarbigem Gesicht; der andere hatte langes blondes Haar, Cowboy-Stiefel und trug eine dunkle Brille. LaRocca zog einen vierten Stuhl heran. »Das 'n Freund von mir, Milesy.«

Der Mann mit der dunklen Brille grunzte. Der andere sagte: »Der Kumpel, der was von Moos versteht?«

»Das isser.« LaRocca brüllte quer durch den Raum nach Bier, dann drängte er den Mann, der zuerst etwas gesagt hatte: »Frag ihn was.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel was über Geld, Arschloch«, sagte der mit der dunklen Brille. Er dachte nach. »Wo isses mit 'm ersten Dollar losgegangen?«

»Das is' leicht«, sagte Miles. »Viele glauben, Amerika hat den Dollar erfunden. Stimmt nicht. Kam aus Böhmen in Deutschland, hieß aber zuerst >Thaler<, was sonst kein Schwein aussprechen konnte, also hat man's zu Dollar verquatscht, und dabei is' es geblieben. So ziemlich zum ersten Mal wird er in >Macbeth< erwähnt - >Zehntausend Taler in den Schatz gezahlt.««

»Mac... wer?«

»Mac Scheiße«, sagte LaRocca. »Willste 'n gedrucktes Programm?« Stolz sagte er zu den beiden anderen: »Seht ihr? Der Junge weiß alles.«

»Nicht ganz«, sagte Miles, »sonst wüßte ich, wie ich im Augenblick 'n paar Piepen machen könnte.«

Zwei Biere wurden vor ihm auf den Tisch geknallt. LaRocca fischte nach Geld und gab es dem Kellner.

»Bevor du Moos machst«, sagte LaRocca zu Miles, »mußte Ominsky zahlen.« Er ignorierte die beiden anderen und beugte sich vertraulich über den Tisch. »Der Russe weiß, daß du aus'm Knast raus bist. Hat schon nach dir gefragt.«

Die Erwähnung des Wucherers, dem er noch immer mindestens dreitausend Dollar schuldete, brachte Miles ins Schwitzen. Und ungefähr die gleiche Summe schuldete er dem Buchmacher, bei dem er gewettet hatte, und die Chance, auch nur eine der beiden Summen zurückzahlen zu können, schien in diesem Augenblick verschwindend gering. Aber er hatte gewußt, daß sein Erscheinen hier an diesem Ort die alten Konten wieder öffnen würde, daß brutaler Druck folgen würde, wenn er nicht mit Geld herausrückte.

Er fragte LaRocca: »Wie soll ich denen was abzahlen, wenn ich keine Arbeit finde?«

Der Mann mit Schmerbauch schüttelte den Kopf. »Erst mal mußte den Russen besuchen.«

»Wo?« Miles wußte, daß Ominsky kein Büro hatte, sondern seine Geschäfte da betrieb, wohin seine Wege ihn gerade führten.

LaRocca zeigte auf das Bier. »Trink aus, dann gehn wir zwei beide mal nachsehen.«

»Betrachten Sie es doch einmal von meiner Warte aus«, sagte der elegant gekleidete Mann und widmete sich weiter seinem Lunch. Seine brillantberingten Hände bewegten sich geschickt über seinem Teller. »Wir hatten eine geschäftliche Vereinbarung, Sie und ich, auf die wir uns geeinigt hatten. Ich habe meine Verpflichtungen eingehalten. Sie Ihre aber nicht. Ich frage Sie, wie stehe ich jetzt da?«

»Hören Sie«, sagte Miles beschwörend, »Sie wissen, was geschehen ist, und ich bin Ihnen auch sehr dankbar, daß Sie die Uhr angehalten haben. Aber ich kann jetzt nicht zahlen. Ich möchte ja, aber ich kann nicht. Bitte lassen Sie mir Zeit.«

Igor (der Russe) Ominsky schüttelte den teuer frisierten Kopf; manikürte Finger berührten eine rosige, sauber rasierte Wange. Er legte Wert auf eine gepflegte Erscheinung. Er lebte gut und kleidete sich gut. Er konnte es sich leisten.

»Zeit ist Geld«, sagte er mit sanfter Stimme, »von beidem haben Sie schon zuviel gehabt.«

LaRocca hatte Miles in das Restaurant geführt, wo er Igor jetzt in seiner Nische gegenübersaß und ihn anstarrte wie eine Maus die Schlange. Auf seiner Seite des Tisches stand kein Essen, nicht mal ein Glas Wasser, das er gut hätte brauchen können, denn seine Lippen waren trocken, und Angst nagte an seinem Magen. Hätte er jetzt seine Abmachung mit Nolan Wainwright rückgängig machen können, die ihn hierhergebracht hatte - Miles hätte es augenblicklich getan. So aber saß er da, schwitzend, beobachtend, während Ominsky sich seiner Seezunge Bonne Femme widmete. Jules LaRocca war diskret in der Bar verschwunden.

Miles' Angst hatte einen einfachen Grund. Den Umfang von Ominskys Geschäft konnte er erraten und daraus folgern, wie absolut seine Macht war.

Miles hatte einmal eine Fernsehdiskussion gesehen, in der man einem Kriminologen, Ralph Salerno, die Frage gestellt hatte: Angenommen, Sie müßten als Verbrecher leben - für welche Art der Kriminalität würden Sie sich entscheiden? Wie aus der Pistole geschossen, hatte der Experte geantwortet: Für den Wucher. Was Miles von seinen Kontakten im Gefängnis wußte, bestätigte diese Ansicht.

Ein Kredithai wie der Russe Ominsky war ein Banker, der schwindelerregende Profite bei minimalem Risiko machte, da er völlig unbehelligt von Vorschriften arbeitete. Er brauchte sich nicht um Kunden zu bemühen, sie kamen von allein zu ihm. Er benötigte kein teures Geschäftslokal und wickelte seine Geschäfte in einem Auto ab, in einer Bar - oder beim Essen, wie jetzt. Seine Buchhaltung war von allereinfachster Art, meist verschlüsselt, und seine Transaktionen - weitgehend in bar -waren nicht zu kontrollieren. Verluste durch faule Kunden kamen selten vor. Doch die Zinssätze, die er berechnete, lagen normalerweise bei 100 Prozent pro Jahr und oft höher.

Miles schätzte, daß Ominsky ständig mindestens zwei Millionen Dollar »auf der Straße« hatte. Ein Teil davon wäre das eigene Geld des Kredithais, der Rest bei ihm investiert von Bossen des organisierten Verbrechens, für die er gegen eine Kommission, die er einbehielt, einen hübschen Gewinn erarbeitete. Es war normal, daß ein Kapital von 100000 Dollar, im Kreditwucher investiert, sich binnen fünf Jahren zu einer Pyramide von 1,5 Millionen Dollar aufschichtete - ein Kapitalgewinn von l400 Prozent. Damit konnte kein anderes Geschäft der Welt konkurrieren.

Dabei waren die Kunden eines Kredithais keineswegs immer kleine Fische. Mit überraschender Häufigkeit borgten große Namen und geachtete Unternehmen bei Kredithaien, wenn andere Kreditquellen erschöpft waren. Manchmal stieg der Kredithai unter Verzicht auf eine Rückzahlung als Partner -oder Eigentümer - in ein anderes Geschäft ein. Wie bei einem menschenfressenden Hai war sein Appetit gewaltig.

Die Hauptkosten in dem Geschäft verursachte das zwangsweise Eintreiben von Außenständen, und der Kredithai sorgte dafür, daß sie minimal blieben, denn er wußte, daß gebrochene Gliedmaßen und krankenhausreife Körper wenig oder überhaupt kein Geld abwarfen; aber er wußte auch, daß seine stärkste Waffe beim Eintreiben die Angst war.

Und diese Angst mußte geschürt werden; zahlte also ein Schuldner nicht, kam die Bestrafung durch angeworbene Gorillas schnell und hart.