Die zweite Begegnung zwischer Juanita und Miles fand anderthalb Wochen später statt, am Samstag nachmittag. Dieses Mal hatte Miles vorher angerufen, und als er kam, schienen Juanita und Estela sich beide zu freuen. Sie wollten gerade einkaufen, und er kam mit. Die drei sahen sich auf einem Straßenmarkt um, wo Juanita polnische Wurst und Weißkohl kaufte. »Das ist für unser Abendessen«, erklärte sie. »Bleiben Sie?«
Er würde sehr gern bleiben, versicherte er ihr und fügte hinzu, daß er erst spät abends wieder im Fitness-Club zu sein brauche, eigentlich erst am nächsten Morgen.
Während sie nebeneinander über die Straße gingen, sagte Estela plötzlich: »Ich mag dich.« Sie ließ ihre winzige Hand in seine Hand gleiten, und da blieb sie. Juanita lächelte, als sie es bemerkte.
Während des ganzen Abendessens herrschte freundschaftliche Stimmung zwischen ihnen. Dann ging Estela zu Bett, nachdem sie Miles einen Gutenachtkuß gegeben hatte, und als er mit Juanita allein war, teilte er ihr mit, was er für Nolan Wainwright hatte. Sie saßen, Seite an Seite, auf der Schlafcouch. Als er fertig war, sah sie ihn an. »Wenn Sie wollen, können Sie heute nacht hierbleiben.«
»Das letzte Mal, als ich über Nacht geblieben bin, haben Sie da drinnen geschlafen.« Er zeigte auf das Schlafzimmer.
»Dieses Mal werde ich hier bleiben. Estela schläft fest. Wir werden ungestört sein.«
Er streckte die Arme nach Juanita aus, und sie kam ihm ungeduldig entgegen. Ihre Lippen, leicht geöffnet, waren warm, feucht und sinnlich, wie ein Vorgeschmack auf noch süßere Dinge, die kommen sollten. Ihre Zunge tanzte und erfüllte ihn mit Entzücken. Sie an sich drückend, konnte er fühlen, wie ihr Atem schneller ging und der kleine, schlanke Körper der Mädchenfrau auf seine Berührung reagierte und vor aufgestauter Leidenschaft bebte. Als sie sich fester aneinanderpreßten und seine Hände sie zu erkunden begannen, seufzte Juanita tief, die Wogen des aufsteigenden Begehrens auskostend, in Vorfreude auf die kommende Ekstase. Lange war es her, seit ein Mann sie genommen hatte. Sie gab zu verstehen, daß sie erregt war, ungeduldig, voller Erwartung. Eilig richtete sie die Bettcouch her.
Was dann folgte, war eine Katastrophe. Miles hatte Juanita mit all seinen Gedanken und - wie er glaubte - mit seinem Körper gewollt. Aber als der Augenblick kam, in dem ein Mann sich beweisen muß, ließ ihn sein Körper im Stich. Verzweifelt strengte er sich an, konzentrierte sich, schloß die Augen und spannte seinen Willen an, aber es änderte sich nichts. Was das glühende, gezückte Schwert eines jungen Mannes hätte sein sollen, war schlaff und nutzlos. Juanita versuchte, ihn zu beruhigen und ihm zu helfen. »Gräme dich nicht, Miles, Liebster, und hab Geduld. Laß mich helfen, und es wird gehen.«
Sie versuchten und sie versuchten es noch einmal. Am Ende hatte alles keinen Zweck. Miles lag ausgestreckt auf dem Rücken, er schämte sich und war den Tränen nahe. Er wußte und war tief unglücklich darüber, daß seine Impotenz durch die Erinnerung an seine Homosexualität im Gefängnis verursacht war. Er hatte geglaubt und gehofft, daß sie ihn bei einer Frau nicht hindern würde, aber sie hatte es getan. Gebrochen gestand er sich ein, daß nun das eingetreten war, was er gefürchtet hatte: Er war kein Mann mehr.
Müde, unglücklich, unbefriedigt schliefen sie endlich ein.
In der Nacht wachte Miles auf, warf sich eine Zeitlang ruhelos hin und her und stand dann auf. Juanita hörte ihn und knipste eine Lampe neben der Bettcouch an. »Was ist denn?« flüsterte sie.
»Ich habe nachgedacht«, sagte er. »Und konnte nicht schlafen.«
»Nachgedacht - über was?«
Und dann erzählte er es ihr - aufrecht sitzend, den Kopf halb abgewandt, um Juanita nicht in die Augen sehen zu müssen; erzählte ihr von der totalen Unerbittlichkeit seines Erlebnisses im Gefängnis, beginnend bei der Massenvergewaltigung; wie er dann, aus Selbstschutz, das Verhältnis mit Karl angefangen hatte, als dessen »Freundin«, davon, wie er die Zelle mit dem riesigen schwarzen Mann geteilt hatte; von dem Andauern der Homosexualität, wie er, Miles, begonnen hatte, es zu genießen. Er sprach von seinem Gefühlszwiespalt gegenüber Karl, an dessen Freundlichkeit und Zartheit Miles sich noch erinnerte, und zwar mit... Zuneigung?... Liebe? Auch jetzt war er sich darüber noch nicht im klaren.
Hier angelangt, fiel Juanita ihm ins Wort. »Nicht weiter! Ich habe genug gehört. Mir wird übel.«
»Was meinst du, wie ich mich fühle?«
»No quiero saber. Ich weiß es nicht, und es ist mir gleich.« Alles Entsetzen, der ganze Ekel, den sie empfand, lag in ihrer Stimme.
Sobald es hell war, zog er sich an und ging.
Zwei Wochen später. Wieder ein Samstagnachmittag - die beste Zeit, wie Miles festgestellt hatte, um sich unbemerkt aus dem Fitness-Club davonzumachen. Ihm steckte die Müdigkeit seiner nervenzermürbenden Fahrt nach Louisville von vor zwei Tagen immer noch in den Knochen, und er war entmutigt über das Fehlen jedes Fortschritts.
Er hatte sich auch Gedanken darüber gemacht, ob er wieder zu Juanita gehen sollte; er fragte sich, ob sie ihn überhaupt wiedersehen mochte. Aber dann hatte er sich gesagt, daß mindestens noch ein Besuch nötig sei, und als er kam, war sie sachlich und nüchtern, als habe sie das, was letztesmal geschehen war, überwunden und vergessen.
Sie hörte seinen Bericht an, dann erzählte er ihr von seinen Zweifeln. »Ich kann einfach nichts erfahren, was wichtig wäre. Okay, ich mache also mein Geschäft mit Jules LaRocca und dem Kerl, der mir die gefälschten Zwanziger verkauft hat, aber die beiden sind kleine Fische. Und wenn ich LaRocca Fragen stelle - zum Beispiel, wo er den gefälschten Führerschein her hat -, dann klappt er den Mund zu und wird mißtrauisch. Ich weiß heute ebensowenig wie am ersten Tage, wer hinter den Fälschungen steckt, noch weiß ich, was in der Doppelten Sieben eigentlich vor sich geht.«
»Man kann in einem Monat nicht alles erfahren«, sagte Juanita.
»Vielleicht gibt es gar nichts zu erfahren - jedenfalls nicht das, was Wainwright wissen will.«
»Vielleicht nicht. Aber dann ist das nicht deine Schuld. Außerdem ist es möglich, daß du mehr entdeckt hast, als du selber weißt. Denk an das Falschgeld, das du mir gegeben hast, an die Nummer des Autos, mit dem du gefahren bist...«
»Was wahrscheinlich gestohlen war.«
»Das soll gefälligst Mr. Sherlock Holmes Wainwright feststellen.« Ein Gedanke schoß Juanita durch den Kopf. »Was ist mit deinem Flugschein? Den sie dir für die Rückreise gegeben haben?«
»Den habe ich benutzt.«
»Es gibt doch immer eine Kopie, die man behält.«
»Vielleicht habe ich...« Miles fühlte in seiner Jackentasche nach; es war derselbe Anzug, den er auch auf der Fahrt nach Louisville getragen hatte. Der Umschlag von der Fluggesellschaft war da, die Flugschein-Durchschrift war darin.
Juanita nahm beides. »Vielleicht kann sich irgend jemand daran erinnern. Und ich werde deine vierzig Dollar wiederbeschaffen, die du für das gefälschte Geld ausgelegt hast.«
»Du sorgst gut für mich.«
»iPor que no? Das ist anscheinend auch nötig.«
Estela, die eine Spielgefährtin in einer Nachbarwohnung besucht hatte, kam herein. »Hallo«, sagte sie, »bleibst du wieder bei uns?«
»Heute nicht«, sagte er zu ihr. »Ich gehe bald.«
Juanita fragte mit scharfer Stimme: »Warum ist das nötig?«
»Kein besonderer Grund. Ich dachte bloß...«
»Dann wirst du mit uns zu Abend essen. Estela wird sich freuen.«
»O ja«, sagte Estela. Dann setzte sie hinzu: »Liest du mir eine Geschichte vor?«
Als er nickte, holte sie ein Buch und ließ sich zufrieden auf seinem Knie nieder.
Nach dem Abendessen, bevor Estela gute Nacht sagte und zu Bett ging, las er ihr noch ein Stück vor.