»Du bist ein lieber Mensch, Miles«, sagte Juanita, als sie aus dem Schlafzimmer herauskam und die Tür hinter sich schloß. Während sie Estela zu Bett brachte, war er aufgestanden, um zu gehen, aber sie sagte mit einer Handbewegung: »Nein, bleibe.
Ich möchte dir etwas sagen.«
Wie schon einmal, setzten sie sich nebeneinander auf die Couch im Wohnzimmer. Juanita sprach langsam, überlegte jedes Wort.
»Letztes Mal, als du gegangen warst, habe ich die bösen Dinge bereut, die ich zu dir gesagt habe. Man soll nicht vorschnell richten, und das habe ich getan. Ich weiß, daß du im Gefängnis gelitten hast. Ich war nicht da, aber ich kann mir vorstellen, wie schlimm es war, und wie soll man wissen - wenn man es nicht erlebt hat -, was man selber tun würde? Was den Mann angeht, von dem du erzählt hast, Karl, wenn er freundlich war, wo sonst so vieles grausam war, dann sollte das das wichtigste sein.«
Juanita hielt inne, dachte nach, fuhr dann fort: »Für eine Frau ist es schwer zu verstehen, wie Männer einander lieben können, so, wie du es gesagt hast, und wie sie miteinander machen können, was ihr gemacht habt. Aber ich weiß, es gibt Frauen, die sich auf diese Weise lieben, ebenso wie es solche Männer gibt, und wer weiß, vielleicht ist solche Liebe besser als gar keine, besser als Haß. Deshalb denke bitte nicht mehr an die verletzenden Worte, die ich gesagt habe, und behalte deinen Karl in Erinnerung, gib dir selbst gegenüber ruhig zu, daß du ihn geliebt hast.« Sie hob den Blick und sah Miles in die Augen. »Du hast ihn doch geliebt, nicht wahr?«
»Ja«, sagte er; seine Stimme war leise. »Ich habe ihn geliebt.«
Juanita nickte. »Dann ist es besser, wenn man es ausspricht. Vielleicht wirst du jetzt andere Männer lieben. Ich weiß es nicht. Ich verstehe nichts von diesen Dingen - nur daß Liebe besser ist, wo man sie auch findet.«
»Danke, Juanita.« Miles sah, daß sie weinte, und er merkte, daß auch sein Gesicht tränennaß war.
Lange Zeit sagten sie nichts, horchten auf das Rauschen des Samstagabendverkehrs und auf Stimmen, die von der Straße hereinkamen. Dann begannen sie zu sprechen - als Freunde, einander näher, als sie es je zuvor gewesen waren. Sie redeten weiter, sie vergaßen die Zeit, und sie vergaßen, wo sie waren; sie sprachen bis tief in die Nacht, von sich selbst, von ihren Erlebnissen, von Lehren, die sie eingesteckt hatten, von alten Träumen, gegenwärtigen Hoffnungen, von Zielen, die sie vielleicht noch erreichen könnten. Sie sprachen, bis Müdigkeit ihre Stimmen überwältigte. Dann, noch immer nebeneinander sitzend, einander bei der Hand haltend, versanken sie langsam in Schlaf.
Miles erwachte als erster. Sein Körper war verkrampft, er saß unbequem... Aber es gab etwas anderes, was ihn in Aufregung versetzte.
Zart weckte er Juanita, bettete sie von der Couch auf den Teppich, auf den er Kissen für ihren Kopf gelegt hatte. Sanft und liebevoll zog er sie aus, dann sich selbst, und danach küßte er sie, umarmte sie und legte sich ruhig und selbstsicher auf sie, stieß kraftvoll vor, drang beseligend ein, während Juanita ihn umfing, sich an ihn klammerte und vor Freude laut aufschrie.
»Ich liebe dich, Miles! Carino mio, ich liebe dich!«
Da wußte er, daß er durch sie seine Männlichkeit wiedergefunden hatte.
9
»Ich habe zwei Fragen an Sie«, sagte Alex Vandervoort. Er sprach weniger scharf und konzentriert als gewöhnlich; seine Gedanken waren noch immer bei dem, was er gerade gelesen hatte, und er fühlte sich wie betäubt. »Erstens, wie in aller Welt haben Sie all diese Informationen zusammengetragen? Zweitens, wie zuverlässig ist das alles?«
»Wenn es Ihnen recht ist«, sagte Vernon Jax, »möchte ich Ihre Fragen in umgekehrter Reihenfolge beantworten.«
Es war später Nachmittag, und sie befanden sich in Alex' Büro-Suite in der Zentrale der FMA. Draußen war es still. Die meisten Angestellten des sechsunddreißigsten Stockwerks waren schon heimgegangen.
Der Privatdetektiv, den Alex vor einem Monat beauftragt hatte, eine Untersuchung der Supranational Corporation vorzunehmen - eine »Schnüffelei«, wie sie beide zugegeben hatten -, saß gelassen auf seinem Stuhl und las eine Nachmittagszeitung, während Alex den siebzig Seiten umfassenden Bericht mit fotokopierten Dokumenten als Anhang studierte, den Jax persönlich vorgelegt hatte.
An diesem Tag wirkte Vernon Jax' äußere Erscheinung noch weniger eindrucksvoll als beim letzten Mal, wenn das überhaupt noch möglich war. Der blankgescheuerte blaue Anzug, den er trug, hätte der Heilsarmee gespendet werden können - und sie hätte ihn nicht genommen. Seine Socken waren auf die Fußgelenke gerutscht, über Schuhe, die noch ungepflegter waren als beim letzten Mal. Was auf seinem Schädel noch an Haaren vorhanden war, sträubte sich unordentlich wie ein ausgedienter Topfkratzer. Aber es bestand kein Zweifel daran - was Jax an Eleganz der Kleidung fehlte, machte er durch Geschicklichkeit im Erkunden wieder wett.
»Zunächst also die Zuverlässigkeit«, begann er. »Wenn Sie mich fragen, ob man die von mir aufgeführten Tatsachen in ihrer gegenwärtigen Form als Beweis vor Gericht anführen könnte, lautet die Antwort: Nein. Aber ich bin überzeugt, daß die Information insgesamt authentisch ist, und ich habe nichts aufgenommen, was nicht durch Nachprüfung bei mindestens zwei, in einigen Fällen drei guten Quellen abgesichert ist. Noch eins, mein Ruf, den Dingen bis auf den Grund zu gehen, ist der wichtigste Aktivposten in meinem Geschäft. Es ist ein guter Ruf. Ich habe die Absicht, ihn mir zu erhalten.
Nun zu der Frage, wie ich das mache. Diese Frage wird mir von den meisten meiner Kunden gestellt, und Sie haben wohl auch ein Recht auf eine Erklärung, wenn ich auch einiges für mich behalten werde, Dinge, die in die Rubrik Geschäftsgeheimnis und Schutz der Informanten gehören.
Ich habe zwanzig Jahre lang für das US-Finanzministerium gearbeitet, die meiste Zeit als Steuerfahnder, und ich habe mir meine Verbindungen bewahrt, nicht nur dort, sondern auch an vielen anderen Stellen. Die meisten wissen es nicht, Mr. Vandervoort, aber zur Arbeit von Wirtschaftsdetektiven gehört es, untereinander vertrauliche Informationen auszutauschen. Man hilft diese Woche einem Kollegen, und früher oder später hat er etwas, was man selber braucht. So baut man Soll und Haben auf, und die Auszahlung - in guten Tips und Nachrichten - beruht auf Gegenseitigkeit. Wenn Sie mir einen Auftrag erteilen, verkaufe ich Ihnen also nicht nur mein wirtschaftliches Wissen - das ich übrigens für recht solide halte -, sondern ein ganzes Netz von Kontakten. Darunter etliche, über die Sie sich wundern würden.«
»Für heute hab' ich mich schon genug gewundert«, sagte Alex. Er tippte mit dem Finger auf den Bericht.
»Auf die Art habe ich mir eine Menge von dem verschafft, was da drinsteht«, fuhr Jax fort. »Der Rest war mühsame, langweilige Kleinarbeit, Geduld und die Fähigkeit zu wissen, welchen Stein man umdrehen muß.«
»Aha.«
»Es gibt da noch einen Punkt, den ich gern klarstellen möchte, Mr. Vandervoort, nämlich das, was Sie wohl >gepflegte Erscheinung< nennen würden. Ich habe bemerkt, wie Sie mich bei unseren beiden Begegnungen gemustert haben, und was Sie gesehen haben, hat Ihnen nicht besonders gefallen. Aber auch das gehört mit zu meinem Geschäft. Jemand, der unauffällig und ein wenig abgerissen aussieht, wird von denjenigen, deren Angelegenheiten er zu erforschen versucht, höchstwahrscheinlich kaum bemerkt oder ernstgenommen. Es hat auch noch einen anderen Vorteil, denn die Leute, mit denen ich rede, halten mich für zu unwichtig, um mir gegenüber besonders auf der Hut zu sein. Aber ich darf Ihnen versichern: Laden Sie mich zur Hochzeit Ihrer Tochter ein, und ich werde ebenso gepflegt erscheinen wie jeder andere Gast.«
»Sollte ich mal eine Tochter haben«, sagte Alex, »werde ich daran denken.«