Als Jax gegangen war, nahm er sich den schockierenden Bericht noch einmal vor. Er strotzte von Dingen, dachte er, die sich schwerwiegend auf die First Mercantile American Bank auswirken konnten. Das mächtige Bauwerk der Supranational Corporation - SuNatCo - krachte in allen Fugen und war im Begriff einzustürzen.
Lewis D'Orsey, erinnerte Alex sich, hatte von Gerüchten gesprochen, in denen es um »hohe, nicht gemeldete Verluste« ging, um »bedenkliche Buchungspraktiken innerhalb der Tochtergesellschaften« und darum, daß »Big George Quartermain auf der Suche nach einer Subvention a la Lockheed« sei. Vernon Jax hatte das alles bestätigt, und er hatte noch viel, viel mehr entdeckt.
Es war zu spät, um heute noch etwas zu tun, sagte Alex sich. Er hatte die ganze Nacht, um sich zu überlegen, welchen Gebrauch er von den Informationen machen sollte.
10
Über Jerome Pattertons ständig leicht gerötetes Gesicht breitete sich ein dunkleres Rot. Er protestierte: »Verdammt noch mal! Um so etwas können Sie mich nicht bitten, das ist einfach lächerlich.«
»Das ist keine Bitte.« In Alex Vandervoorts Stimme klang der Zorn mit, der seit dem Vorabend in ihm schwelte. »Ich verlange von Ihnen - tun Sie es!«
»Bitten, verlangen - wo ist da der Unterschied? Sie muten mir zu, willkürlich, ohne handfesten Grund zu handeln.«
»Ich werde Ihnen später Gründe in Hülle und Fülle nennen. Gute Gründe. Jetzt haben wir dazu keine Zeit.«
Sie befanden sich in der Präsidenten-Suite der FMA, wo Alex seit dem Morgen gewartet hatte, bis Patterton erschien.
»Die New Yorker Börse ist bereits seit fünfzig Minuten geöffnet«, sagte Alex warnend. »Diese Zeit haben wir schon verloren. Und wir verlieren noch mehr, weil Sie der einzige sind, der die Treuhandabteilung anweisen kann, jede Supranational-Aktie abzustoßen, die wir besitzen.«
»Ich denke nicht daran!« Pattertons Stimme wurde lauter. »Und zum Teufel noch mal, wer sind Sie denn eigentlich? Was bilden Sie sich ein, Sie kommen hier hereinmarschiert, geben Befehle...«
Alex warf einen Blick über die Schulter. Die Bürotür stand offen. Er ging hinüber, machte sie zu, kam dann zurück.
»Ich werde Ihnen sagen, wer ich bin, Jerome. Ich bin derjenige, der Sie, der das Direktorium vor einer umfangreichen Beteiligung an SuNatCo gewarnt hat. Ich habe gegen Aktienkäufe durch die Treuhandabteilung Einspruch erhoben, aber niemand wollte auf mich hören - Sie auch nicht. Jetzt bricht Supranational zusammen.« Alex beugte sich über den Schreibtisch und schlug hart mit der Faust auf die Platte. Seine Augen sprühten, sein Gesicht war dicht vor Pattertons. »Begreifen Sie denn nicht? Supranational kann unsere Bank mit sich reißen!«
Patterton hatte seine Festigkeit verloren. Schwer ließ er sich in seinen Schreibtischsessel fallen. »Aber ist SuNatCo wirklich in Gefahr? Sind Sie sicher?«
»Wenn ich nicht sicher wäre, meinen Sie, ich wäre hier und würde mich so aufführen? Begreifen Sie denn nicht, daß ich Ihnen die Chance gebe, wenigstens etwas zu retten, ehe die Katastrophe hereinbricht?« Alex zeigte auf seine Armbanduhr. »Jetzt ist schon eine Stunde seit Markteröffnung vergangen. Jerome, nehmen Sie das Telefon, geben Sie die Anweisung!«
Das Gesicht des Bankpräsidenten zuckte nervös. Stärke oder Entschlußfreudigkeit gehörten nicht zu seinen hervorragenden Eigenschaften, und er reagierte eher auf Situationen, anstatt sie zu schaffen. Energischen Forderungen gegenüber wurde er schwankend, wie auch jetzt wieder.
»Um Gottes willen, Alex, um Ihretwillen, ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.« Patterton griff nach einem der beiden Telefone neben seinem Schreibtisch, zögerte, nahm dann den Hörer auf.
»Verbinden Sie mich mit Mitchell, Treuhand... Nein, ich bleibe dran... Mitch? Jerome hier. Hören Sie genau zu. Geben Sie sofort Verkaufsorder für alle Supranational-Aktien, die wir besitzen... Ja, verkaufen. Bis auf die letzte Aktie.« Patterton lauschte, dann entgegnete er ungeduldig: »Natürlich weiß ich, wie sich das auf den Markt auswirken wird, und ich weiß auch, daß der Kurs sowieso gefallen ist. Ich habe die gestrige Notierung gesehen. Wir nehmen einen Verlust hin. Trotzdem verkaufen... Ja, ich weiß, es ist gegen jede Regel.« Er suchte Alex' Blick, wie um sich zu vergewissern.
Die Hand, die den Hörer hielt, zitterte, als er sagte: »Uns bleibt keine Zeit, um Sitzungen abzuhalten. Tun Sie es also! Vergeuden Sie keine...« Patterton zog eine Grimasse, während er zuhörte. »Ja, ich übernehme die Verantwortung.«
Als er den Hörer aufgelegt hatte, schenkte Patterton sich ein Glas Wasser ein und trank. Dann sah er Alex an. »Sie haben gehört, was ich gesagt habe. Die Kurse sind schon gefallen. Unsere Verkäufe werden sie weiter drücken. Wir machen Verlust, aber kräftig.«
»Sie irren sich«, korrigierte Alex ihn. »Unsere Treuhandkunden - Menschen, die uns vertraut haben - werden den Verlust machen. Und es wäre noch viel schlimmer, wenn wir gewartet hätten. Auch jetzt sind wir noch nicht aus dem Schneider. Es kann gut sein, daß die Börsenaufsicht die Verkäufe in einer Woche für unzulässig erklärt.«
»Für unzulässig? Wieso?«
»Wenn sie sich zum Beispiel auf den Standpunkt stellt, daß wir über interne Informationen verfügten, die wir hätten melden müssen, was dann zur Einstellung des Handels mit diesen Papieren geführt hätte.«
»Was für Informationen denn?«
»Daß Supranational vor dem Bankrott steht.«
»Mein Gott!« Patterton stand auf und wandte sich ab. »SuNatCo! Mein Gott, SuNatCo!« Mit einem Ruck drehte er sich wieder zu Alex um und fragte mit überkippender Stimme: »Was ist mit unserem Kredit? Fünfzig Millionen.«
»Ich habe nachgesehen. Fast der volle Kreditbetrag ist abgerufen.«
»Das Ausgleichskonto?«
»Auf dem steht nicht mehr ganz eine Million.«
Es entstand ein Schweigen. Patterton seufzte tief; er war plötzlich ganz ruhig geworden. »Sie sagten, Sie hätten gute Gründe. Offensichtlich wissen Sie etwas. Es ist wohl besser, Sie sagen mir alles.«
»Vielleicht ist es einfacher, wenn Sie dies hier lesen.« Alex legte den Jax-Bericht auf den Schreibtisch des Präsidenten.
»Das lese ich später«, sagte Patterton. »Jetzt sagen Sie mir, was das ist und was darin steht.«
Alex erzählte ihm von den Gerüchten um Supranational, die Lewis D'Orsey weitergegeben hatte, und von seiner Entscheidung, einen Privatfahnder zu beauftragen - Vernon Jax.
»Was Jax berichtet, paßt insgesamt zusammen«, erklärte Alex. »Gestern abend und heute morgen habe ich herumtelefoniert und verschiedene seiner Einzelfeststellungen bestätigt gefunden. Es stimmt alles. Tatsächlich hätte jeder, der nur geduldig genug nachgeforscht hätte, mehr oder weniger das gleiche entdecken können wie er - nur hat es eben keiner getan, oder besser, niemand hat bis jetzt die einzelnen Stücke zusammengesetzt. Darüber hinaus hat Jax vertrauliche Informationen beschafft, und zwar auch Dokumente, ich nehme an, durch... «
Patterton unterbrach ihn unwillig. »Schon gut, schon gut. Das will ich alles gar nicht wissen. Kommen Sie endlich zum Kern.«
»Den kann ich Ihnen in fünf Wörtern geben: Supranational hat kein Geld mehr. In den letzten drei Jahren hat der Konzern enorme Verluste gehabt und nur noch von Prestige und Kredit gelebt. Er hat Riesensummen aufgenommen, um Schulden bezahlen zu können; dann wurde noch mehr Geld aufgenommen, um die Schulden zu bezahlen; dann wurde weiter geborgt und so weiter. Denen fehlt bares Geld.«
Patterton wandte ein: »Aber SuNatCo hat erstklassige Erträge gemeldet, Jahr um Jahr, und immer ist Dividende ausgeschüttet worden.«