Es gelangte nie ans Tageslicht, welches spezifische Ereignis, wenn es ein solches überhaupt gab, den endgültigen Zusammenbruch von Supranational ausgelöst hatte. Vielleicht war es ein geringfügiger Zwischenfall. Vielleicht hatte aber auch eine Anhäufung von vielen die allmähliche Verlagerung des Gleichgewichts bewirkt, wie eine wachsende Belastung des Unterbaus plötzlich ein Dach zum Einsturz bringt.
Wie bei jedem wirtschaftlichen Debakel, bei dem es um eine große Aktiengesellschaft geht, waren schon Wochen und Monate vorher einzelne Zeichen der Schwäche sichtbar geworden. Aber nur Beobachter mit schärfstem Blick für das Kommende, wie Lewis D'Orsey, erkannten Zusammenhänge und ließen wenigen Bevorzugten Warnungen zukommen Eingeweihte - einschließlich Big George Quartermain, der, wie man später erfuhr, den größten Teil seiner Aktien auf dem absoluten SuNatCo-Scheitelpunkt durch einen Strohmann verkauft hatte - waren früher gewarnt als andere und stiegen rechtzeitig aus. Andere, die einen Tip von Vertrauensleuten bekommen hatten oder von Freunden, die sich für einen erwiesenen Dienst revanchierten, erhielten ähnliche Informationen und taten in aller Stille das gleiche.
Als nächste in der Reihe kamen Leute wie Alex Vandervoort - für die First Mercantile American Bank handelnd -, die vertrauliche Informationen erlangten und schnellstens alles, was sie an SuNatCo-Aktien besaßen, abstießen in der Hoffnung, daß man ihre Handlungsweise in zu erwartender späterer Konfusion nicht untersuchen werde. Andere Institutionen - Banken, Anlageberatungsfirmen, Investmentfonds - sahen die Aktienkurse rutschen, und da sie wußten, wie das System der Eingeweihten funktioniert, erkannten sie sehr bald die Lage und folgten nach.
Es gab Bundesgesetze gegen Aktienhandel aufgrund vertraulicher Informationen - auf dem Papier. In der Praxis wurde täglich gegen Gesetze dieser Art verstoßen, und es war weitgehend unmöglich, ihre Beachtung zu erzwingen. Gelegentlich, in einem flagranten Fall oder als Weißwäscherei, wurde auch Anklage erhoben, und es gab eine lächerlich geringe Geldstrafe. Aber selbst das war selten.
Individuelle Anleger - das große hoffende, vertrauende, naive, geprügelte, nach Strich und Faden betrogene Publikum -waren wie üblich die letzten, die erfuhren, daß etwas nicht stimmte.
Die erste öffentliche Ankündigung, daß SuNatCo in Schwierigkeiten sei, war in einem AP-Agenturbericht enthalten, der von Nachmittagszeitungen gedruckt wurde - es war der Bericht, den Roscoe Heyward beim Verlassen des Columbia Hilton sah. Am nächsten Morgen hatte die Presse ein paar zusätzliche Einzelheiten herausgeholt, und in den Morgenzeitungen, auch in »The Wall Street Journal«, erschienen ausführlichere Berichte. Aber die Einzelheiten waren immer noch recht mager, und vielen Leuten fiel es schwer zu glauben, daß etwas so beruhigend Ansehnliches wie die Supranational Corporation ernstlich in Schwierigkeiten sein sollte.
Ihr Vertrauen sollte bald erschüttert werden.
An jenem Morgen um 10.00 Uhr eröffneten SupranationalAktien an der New Yorker Börse nicht, wie üblich, zusammen mit den übrigen Werten. Als Grund wurde »AuftragsUnausgeglichenheit« genannt. Das bedeutete, daß der SuNatCo-Händler so mit Verkaufsorders überschwemmt wurde, daß ein geordneter Markt in diesen Aktien nicht mehr aufrechterhalten werden konnte.
Der Handel mit SuNatCo eröffnete wieder um 11.00 Uhr, als eine große Kauforder für 52000 Aktien über den Ticker kam.
Aber inzwischen war die Aktie, die einen Monat vorher mit 48 1/2 gehandelt wurde, auf 19 gesunken. Am Nachmittag, als die Schlußglocke ertönte, stand sie auf 10.
Wahrscheinlich hätte die New Yorker Börse am nächsten Tag den Handel wieder eingestellt, wenn ihr die Entscheidung nicht über Nacht aus den Händen genommen worden wäre. Die Börsenaufsicht gab bekannt, daß sie die Angelegenheit Supranational untersuche und daß jeder Handel mit SuNatCo-Aktien bis zum Abschluß der Untersuchung suspendiert sei.
Es folgten nun fünfzehn bange Tage für die noch verbliebenen SuNatCo-Aktionäre und -Gläubiger, deren Investierungen und Kredite insgesamt mehr als fünf Milliarden Dollar ausmachten. Unter den Wartenden - aufgeschreckt, nervös und nägelkauend - waren die leitenden Angestellten und Direktoren der First Mercantile American Bank.
Supranational hielt sich nicht, wie Alex Vandervoort und Jerome Patterton es gehofft hatten, noch mehrere Monate über Wasser. Deshalb bestand die Möglichkeit, daß späte Transaktionen in SuNatCo-Aktien - einschließlich des großen Blockverkaufs durch die FMA-Treuhandabteilung - für ungültig erklärt würden. Dazu konnte es auf zweierlei Weise kommen -entweder durch Anordnung der Börsenaufsicht nach einer Beschwerde oder dadurch, daß die Aktienkäufer gerichtliche Schritte einleiteten mit der Begründung, die FMA habe den wahren Zustand von Supranational gekannt, dieses Wissen jedoch nicht publiziert, als die Aktien verkauft wurden. Kam es dazu, dann würde das für die Treuhand-Kunden einen noch größeren Verlust bedeuten als der, dem sie ohnehin entgegensahen, und es war so gut wie sicher, daß die Bank dann wegen Vertrauensmißbrauchs haftbar gemacht werden konnte.
Es gab noch eine andere Möglichkeit, auf die man sich gefaßt machen mußte - und sie war sogar noch wahrscheinlicher. Der Fünfzig-Millionen-Dollar-Kredit der First Mercantile American an die SuNatCo könnte als Totalverlust vollständig abgeschrieben werden. Kam es dazu, so würde die Bank zum ersten Mal in der Geschichte der FMA einen substantiellen Betriebsverlust für das Jahr erleiden. Das warf die Wahrscheinlichkeit auf, daß die eigene Dividende der FMA an ihre Aktionäre nächstes Mal würde ausfallen müssen. Auch das wäre dann das erste Mal.
Niedergeschlagenheit und Ungewißheit durchdrang die höheren Ratsgremien der Bank.
Vandervoort hatte prophezeit, daß die Presse bei Bekanntwerden der Supranational-Geschichte darüber berichten, eigene Recherchen anstellen würde und daß die First Mercantile American hineingezogen werden würde. Auch damit sollte er recht behalten.
Reporter, in den letzten Jahren motiviert vom Beispiel der Watergate-Helden der »Washington Post«, Bernstein und Woodward, bohrten mit aller Beharrlichkeit nach. Ihre Mühen hatten Erfolg. Innerhalb weniger Tage hatten die Journalisten Quellen innerhalb und außerhalb der Supranational erschlossen, und es begannen enthüllende Berichte über Quartermains trickreiche Machenschaften zu erscheinen und über die trübe »chinesische Buchführung« des Konzerns. Auch die erschreckend hohe Verschuldung der SuNatCo wurde aufgedeckt. Und es kamen andere finanzielle Dinge ans Licht, darunter der Fünfzig-Millionen-Dollar-Kredit von der FMA.
Als der Dow Jones-Nachrichtendienst den ersten Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen FMA und Supranational über den Draht schickte, verlangte Dick French, der Chef der Public Relations-Abteilung der Bank, eine Konferenz auf höchster Ebene, die auch hastig einberufen wurde. Zugegen waren Jerome Patterton, Roscoe Heyward, Alex Vandervoort und der stämmige French selbst, der wie üblich eine nicht angezündete Zigarre im Mundwinkel hielt.
Sie bildeten eine ernste Gruppe - Patterton ingrimmig und bedrückt wie schon seit Tagen; Heyward erschöpft, zerstreut und mit Zeichen nervöser Anspannung; und Alex voll inneren Zorns darüber, daß er in eine Katastrophe verwickelt war, die er vorausgesagt hatte und die sich nicht hätte ereignen müssen.
»In einer Stunde, und vielleicht schon eher«, begann der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Vizepräsident, »werden sie mich bestürmen, um Einzelheiten über unsere Geschäfte mit SuNatCo zu erfahren. Ich möchte wissen, welche offizielle Position wir beziehen und welche Antworten ich geben soll.«
»Sind wir verpflichtet, darauf zu antworten?« erkundigte sich Patterton.
»Nein«, sagte French. »Aber es ist auch niemand verpflichtet, Harakiri zu begehen.«
»Warum nicht zugeben, daß Supranational in unserer Schuld steht«, schlug Roscoe Heyward vor, »und damit basta?«