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»Das unglaublichste daran ist, daß es so plötzlich passieren kann.«

»Das macht deutlich«, sagte Alex, »was sehr viele Leute nicht ganz begriffen haben, Leute, die es wissen müßten. Banken und das Geldsystem, zu dem genommene und gegebene Darlehen gehören, gleichen einer hochempfindlichen Maschine. Spielt man tolpatschig daran herum, läßt man ein Teil der Maschinerie - durch Habsucht oder aus politischen Erwägungen oder einfach aus Dummheit - aus dem Gleichgewicht geraten, bringt man alle anderen Teile in Gefahr. Und hat man erst einmal das System gefährdet - oder eine einzelne Bank - und sickert die Sache nach draußen, was meistens geschieht, dann wird vermindertes öffentliches Vertrauen den Rest besorgen. Das erleben wir jetzt.«

»Nach allem, was du mir gesagt hast«, sagte Margot, »und nach allem, was ich sonst noch gehört habe, ist das, was deiner Bank jetzt passiert, auf Habgier zurückzuführen.«

Voller Bitterkeit sagte Alex: »Auf das und auf einen hohen Prozentsatz von Idioten in unserem Direktorium.« Er war offener als sonst, und es tat ihm gut.

Ein Schweigen breitete sich aus, bis Alex ausrief: »Mein Gott! Wie er mir fehlt.«

»Wer?«

»Ben Rosselli.«

Margot nahm seine Hand. »Ist denn diese Rettungsaktion, die du gestartet hast, nicht genau das, was Ben selbst unternommen hätte?«

»Vielleicht.« Er seufzte. »Nur - sie funktioniert nicht. Deshalb wünsche ich mir, daß Ben hier wäre.«

Der Chauffeur ließ die Trennscheibe zwischen dem Fahrersitz und seinen Passagieren herunter. Er sprach über die Schulter. »Wir sind gleich in Tylersville, Sir.«

»Viel Glück, Alex«, sagte Margot.

Schon aus einer größeren Entfernung konnten sie vor der Bank eine wartende Menschenschlange sehen. Immer neue Menschen kamen hinzu und stellten sich hinten an. Als die Limousine vor der Bank hielt, bremste auf der anderen Straßenseite quietschend ein Übertragungswagen, und mehrere Männer und ein junges Mädchen sprangen heraus. An der Seitenwand des Wagens stand in großen Lettern WTLC-TV. »Mein Gott!« sagte Alex. »Das hat uns gerade noch gefehlt.«

In der Bank sprach Alex, während Margot sich neugierig umsah, kurz mit Edwina und Fergus W. Gatwick und hörte von beiden, daß es wenig oder nichts gab, was man jetzt noch tun könnte. Es war wohl eine vergebliche Fahrt gewesen, gestand sich Alex ein, aber er hatte den Drang verspürt, selbst herauszukommen und mit den Wartenden zu sprechen. Größeren Schaden konnte er auch nicht mehr damit anrichten, und vielleicht würde es sogar etwas nützen. Er ging an einigen Reihen von Wartenden entlang, stellte sich hier und da mit ruhiger Stimme vor.

Mindestens zweihundert Menschen waren da, ein ansehnlicher Querschnitt durch Tylersville - alte und junge, Leute in den besten Jahren, einige wohlhabend, andere offensichtlich ärmer, Frauen mit kleinen Kindern, Männer in Arbeitskleidung, ein paar Leute sorgfältig gekleidet wie zu einem besonderen Anlaß. Die meisten waren freundlich, ein paar nicht, hier und da gab es Feindseligkeit. Fast alle zeigten sich mehr oder minder nervös. Erleichterung spiegelte sich in den Mienen derjenigen, die ihr Geld bekommen hatten und gingen. Eine ältere Frau sprach auf dem Weg zur Tür Alex an. Sie ahnte nicht, daß er leitender Angestellter der Bank war. »Gott sei Dank, daß das vorbei ist! Das war der schlimmste Tag, den ich bisher erlebt habe. Das sind meine Ersparnisse - alles, was ich habe.« Sie hielt ungefähr ein Dutzend Fünfzig-DollarScheine hoch. Andere gingen mit viel größeren oder kleineren Summen.

Der Eindruck, den Alex aus seinen Gesprächen mit verschiedenen Leuten gewann, war etwa so: Vielleicht war die First Mercantile American Bank gesund; vielleicht auch nicht. Aber das Geld auf einer Bank lassen, die vielleicht pleite ging, das wollte niemand riskieren. Die Berichterstattung, in der die FMA mit Supranational in Verbindung gebracht worden war, hatte ihr Werk getan. Jeder wußte, daß die First Mercantile American sehr wahrscheinlich eine gewaltige Summe Geldes verlieren werde, denn die Bank selbst gab es ja zu. Auf Einzelheiten kam es da nicht an. Und die wenigen Kunden, mit denen Alex sprach und dabei die Einlagenversicherung erwähnte, trauten diesem System auch nicht. Die von den Bundesbehörden vorgeschriebene Versicherungssumme war begrenzt, sagten einige der Leute, und man glaubte zu wissen, daß die verfügbaren Versicherungsgelder bei einem großen Bankkrach niemals ausreichen konnten.

Und Alex spürte, daß da noch etwas anderes, vielleicht noch Tiefergehendes war: Die Leute glaubten nicht mehr, was man ihnen sagte; sie hatten sich zu sehr daran ge wöhnt, daß man sie täuschte und belog. In jüngster Vergangenheit waren sie von ihrem Präsidenten belogen worden, von anderen Regierungsmitgliedern, von Politikern, Geschäftsleuten, Industriellen. Belogen von Arbeitgebern, von Gewerkschaften. Belogen in der Werbung. Belogen bei finanziellen Transaktionen, belogen in Marktberichten und Analysen, in Jahresberichten und »geprüften« Jahresbilanzen. Manches Mal belogen - durch Färbung oder Fortlassung - von den Nachrichtenmedien. Endlos war die Liste. Täuschung wir auf Täuschung gehäuft worden, bis die Lüge - oder bestenfalls Verzerrung und unvollständige Aufklärung - zum festen Bestandteil des Lebens geworden war.

Weshalb sollte man also Alex glauben, wenn er ihnen versicherte, daß die FMA kein sinkendes Schiff sei und daß ihr Geld - ließen sie es auf den Konten stehen - sicher war? Als die Stunden vergingen und der Nachmittag schwand, wurde deutlich, daß niemand ihm glaubte.

Am späten Nachmittag resignierte Alex. Was kommen mußte, würde kommen; für jeden einzelnen ebenso wie für große Gesellschaften, dachte er, kam einmal die Zeit, wo man sich mit dem Unvermeidlichen abfinden mußte. Ungefähr um diese Zeit - gegen 17.30 Uhr, als die Dunkelheit des Oktoberabends schon herabzusinken begann - kam Nolan Wainwright und berichtete von einer neuen Sorge, die sich in der Menge ausbreitete.

»Sie machen sich Gedanken«, sagte Wainwright, »weil wir um sechs schließen. Die Leute sagen sich, daß wir in der halben Stunde, die noch bleibt, nicht alle abfertigen können.«

Alex schwankte. Es wäre einfach, die Filiale Tylersville pünktlich und ordnungsgemäß zu schließen; es wäre legal, und niemand könnte ernstlich etwas dagegen einwenden. Ganz flüchtig schoß ihm der aus Zorn und Enttäuschung geborene rachsüchtige Gedanke durch den Kopf, dem Sinne nach den immer noch Wartenden zu sagen: Ihr habt mir nicht vertraut, schwitzt also bis Montag Blut und Wasser und schert euch zum Teufel, meinetwegen! Aber er zögerte; eine solche Haltung entsprach nicht seiner Natur, außerdem mußte er an die Bemerkung denken, die Margot über Ben Rosselli gemacht hatte. Was Alex jetzt tat, hatte sie gesagt, sei »genau das, was Ben selbst unternommen hätte«. Wie hätte Ben entschieden, angesichts der nahenden Schalterschluß-Zeit? Alex wußte es.

»Ich möchte etwas bekanntgeben«, sagte er zu Wainwright, nachdem er sich kurz mit Edwina besprochen und ihr einige Anweisungen gegeben hatte.

Alex arbeitete sich bis an den Eingang der Bank vor und stellte sich an einer Stelle auf, von der ihn diejenigen in der Bank und andere, die noch auf der Straße warteten, hören konnten. Er nahm wahr, daß Fernsehkameras auf ihn gerichtet waren. Dem ersten Fernsehteam hatte sich ein zweites von einem anderen Sender zugesellt, und vor einer Stunde hatte Alex für beide eine Erklärung abgegeben. Die Kamerateams harrten aus, und einer der Fernsehleute hatte verraten, daß sie zusätzliches Material für eine Magazinsendung am Wochenende drehten, denn »einen Run auf Bankschalter, das erlebt man nicht alle Tage«.