Auch nirgendwo anders kam es am Montag zu einem Sturm auf die Schalter. Der Grund dafür - die meisten Analysen stimmten in diesem Punkt überein - war eine ausdrucksstarke, aufrichtige, rührende Szene zwischen einem alten Ehepaar und einem gutaussehenden, freimütigen Bank-Vizepräsidenten, wie sie in den Fernsehnachrichten am Wochenende ausgestrahlt wurde. Der Film, fertig geschnitten und redigiert, war so erfolgreich, daß verschiedene Sender ihn mehrfach verwendeten. Er erschien als ein Beispiel der menschlich unmittelbar anrührenden, wirkungsvollen Technik des cinéma vérité, die sich so vorzüglich für das Fernsehen eignet und von ihm so selten genutzt wird. Viele Menschen am Bildschirm waren bis zu Tränen gerührt.
Am Wochenende sah Alex Vandervoort den Fernsehfilm, behielt sich aber seinen eigenen Kommentar dazu vor. Ein Grund dafür war, daß er allein wußte, welche Gedanken ihn in dem alles entscheidenden Augenblick bewegt hatten, als ihm die Frage gestellt wurde: Ist unser Geld... absolut sicher? Ein anderer Grund war die Tatsache, daß Alex die Fallgruben und Probleme kannte, die noch auf dem Weg der FMA lagen.
Auch Margot sagte am Freitag abend wenig über den Vorfall; ebensowenig erwähnte sie ihn am Sonntag, als sie in Alex' Wohnung blieb. Es gab eine wichtige Frage, die sie stellen wollte, aber sie war klug genug zu spüren, daß jetzt nicht die Zeit dafür war.
Auch Roscoe Heyward gehörte zu den Direktoren der First Mercantile American, die die Fernsehübertragung sahen, wenn auch nicht in voller Länge. Heyward schaltete das Fernsehen ein, als er am Sonntag abend von einer Versammlung des Kirchenvorstands nach Hause kam, stellte den Apparat aber in wütender Eifersucht wieder ab, als er erst einen Teil der Übertragung gesehen hatte. Heyward hatte eigene Probleme, die ernst genug waren, und mochte sich nicht auch noch an Vandervoorts Erfolg erinnern lassen. Und ganz abgesehen von dem Run auf die Bank, würden in der kommenden Woche sehr wahrscheinlich mehrere Dinge an die Oberfläche gelangen, die Heyward mit großer Nervosität erfüllten.
Ein anderes Nachspiel entwickelte sich aus jenem Freitagabend in Tylersville. Es betraf Juanita Nunez.
Juanita hatte am Nachmittag gesehen, wie Margot Bracken eintraf. Sie hatte in letzter Zeit mehrmals den Gedanken erwogen, ob sie Margot aufsuchen und sie um Rat fragen solle oder nicht. Jetzt nahm sie sich vor, es zu tun. Aber aus verschiedenen Gründen war es Juanita lieber, nicht von Nolan Wainwright beobachtet zu werden.
Die Gelegenheit, auf die Juanita gewartet hatte, ergab sich kurz nach dem Ende des Sturms auf die Bank, als Wainwright damit beschäftigt war, die Sicherheitsvorkehrungen der Filiale für das Wochenende zu überprüfen, und die Anspannung dieses Tages bei den Angestellten abzuklingen begann. Juanita verließ den Schalter, an dem sie einem Kassierer der Filiale geholfen hatte, und ging zu dem abgeteilten Geschäftsleitungsbezirk hinüber. Dort saß Margot allein und wartete darauf, daß Alex Vandervoort gehen konnte.
»Miss Bracken«, begann Juanita leise, »Sie haben mal gesagt, daß ich zu Ihnen kommen darf, wenn ich Sorgen habe.«
»Ja, natürlich, Juanita. Haben Sie Probleme?«
Ihr kleines Gesicht legte sich in sorgenvolle Falten. »Ja, ich glaube schon.«
»Was ist das denn für ein Problem?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten wir dann woanders sprechen?« Juanita beobachtete Wainwright, der sich auf der anderen Seite der Bank in der Nähe des Tresors aufhielt. Er schien gerade ein Gespräch zu beenden.
»Dann kommen Sie in mein Büro«, sagte Margot. »Wann wäre es Ihnen am liebsten?«
Sie einigten sich auf Montag abend.
17
Die Tonbandspule aus dem Fitness-Club Doppelte Sieben hatte seit sechs Tagen auf dem Regal über dem Arbeitstisch gelegen.
Wizard Wong hatte mehrfach einen Blick auf das Tonband geworfen, es widerstrebte ihm auszulöschen, was darauf war, aber er hatte auch ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, die Information weiterzugeben. Heutzutage war es riskant, irgendein Telefongespräch aufzuzeichnen. Noch riskanter war es, die Aufnahme einem anderen vorzuspielen.
Marino aber, das wußte Wizard genau, würde einen Teil dieses Tonbands sehr gern hören, und für dieses Privileg würde er gut zahlen. Über Tony Bär Marino mochte man geteilter Meinung sein, aber niemand konnte ihm nachsagen, daß er für gute Dienste nicht gut zahlte, und das war einer der Gründe, die Wizard veranlaßten, gelegentlich für ihn zu arbeiten.
Marino war ein Berufsverbrecher, das wußte er. Wong war keiner.
Wizard (sein Vorname war in Wirklichkeit Wayne, aber alle, die ihn kannten, nannten ihn nur Wizard, Zauberer) war ein junger, hellwacher chinesischer Amerikaner der zweiten Generation. Er war außerdem Experte für Elektronik und Tontechnik, und sein Spezialgebiet war das Aufspüren elektronischer Abhörgeräte. Auf diesem Gebiet war er ein Genie, und das hatte ihm auch seinen Namen Wizard eingebracht.
Einer langen Liste von Kunden lieferte Wong die Garantie, daß es in ihren Büros und Wohnungen keine »Wanzen« gab, daß ihre Telefone nicht abgehört wurden, daß ihre Privatsphäre sicher war vor versteckter Elektronik. Überraschend oft entdeckte er heimlich installierte Abhörgeräte, und wenn ihm das gelang, waren seine Kunden stets sehr beeindruckt und dankbar. Trotz offizieller Versicherungen des Gegenteils -einschließlich einiger vor kurzem abgegebener Erklärungen des Präsidenten selbst -, ging das Abhören und Anzapfen in den Vereinigten Staaten weiter, es war weit verbreitet, und es florierte.
Großindustrielle sicherten sich Wongs Dienste. Desgleichen Bankiers, Zeitungsverleger, Präsidentschaftskandidaten, etliche berühmte Anwälte, die eine oder andere ausländische Botschaft, ein paar US-Senatoren, drei Gouverneure von Bundesstaaten und ein Richter am Obersten Gerichtshof. Dann gab es noch die Oberbonzen von der Gegenseite - der Patriarch einer MafiaFamilie, dessen Consiglieri und etliche führende Köpfe von nicht ganz dieser Größenordnung, und zu denen gehörte Tony Marino.
Seinen kriminellen Kunden machte Wizard Wong eines ganz klar: Mit ihren illegalen Umtrieben wollte er nichts zu tun haben; er verdiente seinen beachtlichen Lebensunterhalt streng innerhalb der Grenzen des Gesetzes. Er sah aber keinen Grund, ihnen seine Dienste vorzuenthalten, da das Abhören fast in jedem Falle illegal war und selbst Kriminelle das Recht hatten, sich mit gesetzlichen Mitteln zu schützen. Diese Grundregel wurde von allen respektiert und bewährte sich gut.
Dennoch gaben ihm seine Kunden aus der Welt des organisierten Verbrechens von Zeit zu Zeit zu verstehen, daß man brauchbare Informationen, die er im Zuge seiner Arbeit erlangte, wohl zu schätzen wissen und gut belohnen würde. Und gelegentlich hatte Wizard tatsächlich höchst interessante Informationen gegen Geld weitergegeben, denn auch er war nicht völlig gefeit gegen die älteste und einfachste aller Versuchungen - Habgier.
Diese Versuchung plagte ihn jetzt.
Vor anderthalb Wochen hatte Wizard Wong routinemäßig Marinos Räume und seine Telefone auf Wanzen untersucht.
Kontrolliert wurde dabei auch immer der Fitness-Club Doppelte Sieben, an dem Marino finanziell beteiligt war. Im Laufe der Überprüfung - die ergab, daß alles sauber war - vergnügte Wizard sich damit, für kurze Zeit eine der Leitungen des Clubs anzuzapfen, eine Übung, die er hier und da praktizierte, um, wie er sich einredete, seine technischen Fähigkeiten im Interesse seiner Kunden immer auf dem höchsten Stand zu halten. Dieses Mal suchte er sich ein Münztelefon im Erdgeschoß des Clubs aus. Für achtundvierzig Stunden stellte Wizard eine Verbindung zwischen einem im Keller der Doppelten Sieben versteckten Tonbandgerät und dem Münztelefon her; es war ein Gerät, das sich selbst ein- und ausschaltete, wenn das Telefon benutzt wurde.