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Er hatte die Lagerraumtür aufgestoßen. Jetzt begann er sie zu schließen, um zum am schnellsten zu erreichenden Münzapparat zu gehen - demselben, von dem aus er vor anderthalb Wochen Juanita angerufen hatte. In diesem Augenblick hörte er Geräusche aus der vorderen Halle des Clubs am anderen Ende des Korridors, der von vorn durch das ganze Gebäude nach hinten führte. Mehrere Männer kamen von der Straße herein. Sie schienen es eilig zu haben. Ohne zu wissen, warum, schlug Miles die andere Richtung ein und glitt in den Lagerraum, wo man ihn nicht sehen konnte. Er hörte Stimmengewirr, dann fragte eine laute Stimme: »Wo ist das Mistvieh Eastin?«

Er erkannte die Stimme: Angelo, einer von Marinos Leibwächtern.

»Oben im Büro, glaub' ich.« Das war Jules LaRocca. Miles hörte ihn sagen: »Was ist mit... «

»Tony Bär will...«

Die Stimmen wurden schwächer, als die Männer die Treppen hinaufliefen. Aber Miles hatte genug gehört; er wußte, jetzt war eingetreten, wovor er sich gefürchtet hatte. In einer Minute, vielleicht schon eher, würde Nate Nathanson Angelo und den anderen sagen, wo er war. Dann würden sie hier herunterkommen.

Er spürte, wie er am ganzen Körper zitterte, aber er zwang sich nachzudenken. Durch die vordere Halle zu verschwinden, war unmöglich. Selbst wenn er die Männer nicht traf, wenn sie wieder herunterkamen, hatten sie wahrscheinlich einen Aufpasser draußen gelassen. Also der hintere Ausgang? Der wurde selten benutzt und führte in der Nähe eines verlassenen Gebäudes ins Freie. Dahinter war ein unbebautes Gelände, dann ein Brückenbogen der Hochbahn. Auf der anderen Seite des Schienenstrangs war ein Labyrinth enger, übler Straßen. Er konnte versuchen, durch diese Straßen zu verschwinden, aber die Chance, Verfolgern zu entkommen, war gering. Vielleicht gab es mehrere Verfolger; einige würden ein Auto haben, vielleicht mehrere Autos; Miles hatte keins. Ein Gedanke zuckte ihm immer wieder durch den Kopf: Deine einzige Chance! Verliere jetzt keine Zeit mehr! Geh jetzt! Er warf die Lagerraumtür ins Schloß und zog den Schlüssel ab; vielleicht würden die anderen kostbare Minuten damit verschwenden, die Tür aufzusprengen, weil sie glaubten, daß er dahinter war.

Dann rannte er.

Durch die kleine hintere Tür, ein Riegel mußte zurückgelegt werden... Draußen blieb er stehen, um die Tür zuzumachen; warum sollte er Reklame machen für den Weg, den er genommen hatte... Dann einen Gang entlang neben dem verlassenen Bau... Das Gebäude war früher mal eine Fabrik gewesen; allerlei Schutt lag in dem Gang, alte Kisten, Büchsen, das verrostete Skelett eines Lastwagens neben einer eingefallenen Laderampe. Es war wie ein Hindernislauf. Ratten huschten davon.. Quer über ein unbebautes Grundstück, über Ziegelsteine, über Müll, einen toten Hund... Einmal stolperte Miles und spürte, wie sich das eine Fußgelenk verdrehte; ein stechender Schmerz, aber er lief weiter... Bisher hörte er keine Verfolger... Dann, als er die Bahnbrücke erreichte, als die relativ große Sicherheit der Straßen vor ihm lag, hörte er eilige Schritte hinter sich, einen Schrei: »Da ist der Hund!«

Miles steigerte sein Tempo. Er spürte jetzt den festeren Boden von Straßen und Fußwegen unter den Füßen. Er nahm die erste Ecke, die er erreichte - scharf links; dann rechts; gleich danach wieder links. Hinter sich hörte er noch immer die dröhnenden Schritte... Er kannte diese Straße nicht, aber sein Orientierungssinn sagte ihm, daß er in Richtung Stadtmitte lief. Wenn er es nur bis dahin schaffte, dann konnte er in der mittäglichen Menge untertauchen, konnte Zeit gewinnen, um nachzudenken, vielleicht, um Wainwright anzurufen, um Hilfe zu bitten. Vorläufig lief er schnell und gut, die Luft ging ihm nicht aus. Das Fußgelenk schmerzte ein bißchen, nicht sehr. Miles war durchtrainiert, die Stunden, die er in der Doppelten Sieben auf dem Handball-Platz verbracht hatte, machten sich bezahlt... Das Geräusch der laufenden Schritte blieb zurück, aber er machte sich nichts vor. Kein Auto konnte den Weg nehmen, den er gewählt hatte, das stimmte - der Gang lag voll Gerümpel, das unbebaute Grundstück war unpassierbar für Autos -, aber es gab Wege, die führten darum herum. Ein Umweg von mehreren Straßenblocks, um die Bahnlinie zu unterqueren, das bedeutete Aufschub. Aber nicht viel. Wahrscheinlich versuchte irgend jemand in einem Auto jetzt, in diesem Augenblick, ihn zu überlisten, ihm den Weg abzuschneiden. Er bog nach links, dann wieder nach rechts ein, hoffte, wie von Anfang an, auf irgendein Fahrzeug. Einen Bus. Noch besser, ein Taxi. Aber es kam weder das eine noch das andere... Wenn man dringend ein Taxi brauchte, warum kam dann nie eins?... Oder ein Bulle. Wenn doch die Straßen belebter wären. Daß er rannte, machte ihn auffällig, aber noch konnte er es sich nicht leisten, das Tempo zu verringern. Ein paar Leute, an denen er vorüberkam, sahen ihn neugierig an, doch die Bürger, die hier wohnten, hatten es gelernt, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Aber der Charakter der Gegend veränderte sich, während er rannte. Jetzt war es nicht mehr so sehr wie ein Getto, es gab Zeichen von etwas mehr Wohlstand. Er kam an verschiedenen ansehnlichen Läden vorbei. Vor ihm lagen noch größere Gebäude, die Silhouette der Stadt wurde sichtbar. Aber bevor er dahin gelangte, mußten noch zwei Querstraßen überwunden werden. Die erste konnte er jetzt sehen - breit, verkehrsreich, die beiden Fahrbahnen in der Mitte durch eine Allee getrennt. Dann sah er etwas anderes auf der anderen Seite der Straße einen langen schwarzen Cadillac mit dunklen Fenstern, der langsam dahinrollte. Marinos. Als der Wagen die Straße überquerte, in der Miles sich befand, schien er zu zögern, dann gewann er an Tempo, verschwand rasch. Miles hatte keine Zeit gehabt, sich zu verstecken. Hatten sie ihn gesehen? War der Wagen losgefahren, um die Gegenfahrbahn zu erreichen und zurückzukommen, oder hatte er wieder Glück gehabt, hatte man ihn nicht entdeckt? Erneut packte ihn die Angst. Miles schwitzte, dennoch fröstelte ihn, aber er lief weiter. Etwas anderes konnte er gar nicht tun. Er hielt sich eng an den Häuserwänden, verringerte sein Tempo, so weit er es wagte. Anderthalb Minuten später, die Kreuzung war nur noch fünfzig Meter entfernt, schob sich ein Cadillac - dasselbe Auto -langsam um die Ecke.

Er wußte, daß sein Glück ihn jetzt verließ. Wer in dem Auto saß - höchstwahrscheinlich Angelo, oder auch andere -, der mußte ihn sehen, hatte ihn wahrscheinlich schon gesehen. Konnte weiterer Widerstand noch etwas nützen? Wäre es nicht einfacher aufzugeben, sich fangen zu lassen, geschehen zu lassen, was geschehen mußte? Nein! Weil er genug gesehen hatte von Tony Bär Marino und seiner Sorte, im Gefängnis und danach, wußte er genau, was mit denen passierte, die den Rachedurst dieser Leute geweckt hatten. Der schwarze Wagen fuhr langsamer. Sie hatten ihn gesehen. Mein Gott!

Eins der Geschäfte, die Miles vor wenigen Augenblicken wahrgenommen hatte, lag jetzt genau neben ihm. Er hörte auf zu laufen, wandte sich nach links, stieß eine Glastür auf und ging hinein. Drinnen sah er, daß es ein Geschäft für Sportartikel war. Ein bleicher, spindeldürrer Verkäufer, etwa in Miles' Alter, trat vor. »Guten Tag, Sir. Was darf ich Ihnen zeigen?«

»Hm... ja.« Er sagte das erste, was ihm in den Sinn kam. »Ich möchte mir Bowling-Kugeln ansehen.«

»Gewiß. An welche Preislage hatten Sie gedacht, welches Gewicht?«

»Die besten. Ungefähr sechzehn Pfund.«

»Farbe?«

»Egal.«

Miles beobachtete die paar Meter Fußweg draußen vor dem Eingang. Mehrere Passanten waren vorübergekommen. Niemand hatte sich aufgehalten oder hereingesehen.

»Wenn Sie bitte mitkommen wollen, ich zeige Ihnen, was wir haben.«

Er folgte dem Verkäufer, vorbei an Ständern mit Skiern, Vitrinen, einer Ausstellung von Handfeuerwaffen. Dann, sich umblickend, sah Miles die Silhouette einer einzelnen Gestalt, die draußen stehengeblieben war und durch das Fenster schaute. Jetzt gesellte sich eine zweite Gestalt zu der ersten. Sie standen beisammen, wichen nicht von der Ladenfront. Miles fragte sich: Konnte er durch einen Hinterausgang entkommen? Schon als ihm der Gedanke kam, verwarf er ihn. Die Männer, die ihn verfolgten, würden den gleichen Fehler nicht zweimal machen. Gab es einen Hinterausgang, so hatten sie ihn schon aufgespürt und bewacht.