Wie sowohl Vandervoort als auch Wainwright wußten, war es für den Betrüger nicht schwer festzustellen, ob eine gestohlene Kreditkarte noch einmal verwendbar oder ob sie »heiß« war. Genug Kellner waren für ein Trinkgeld von 25 Dollar bereit, eine Karte zu prüfen. Sie brauchten nur in der wöchentlich herausgegebenen vertraulichen »Warnliste« nachzusehen, die die Kreditkartengesellschaft allen Kaufleuten, Hotels und Restaurants zustellte. War die Karte nicht auf der Liste geführt, wurde sie zu einem weiteren intensiven Einkaufsbummel benutzt.
»Wir haben in letzter Zeit verdammt viel Geld durch Betrug eingebüßt«, sagte Nolan Wainwright. »Weit über dem sonstigen Durchschnitt. Auch deshalb wollte ich gern mit Ihnen sprechen.«
Sie betraten ein Keycharge-Sicherheitsbüro, das Wainwright sich für diesen Nachmittag hatte reservieren lassen. Er schloß die Tür. Äußerlich waren die beiden Männer denkbar verschieden - Vandervoort war blond, rundlich, unsportlich und hatte einen Bauchansatz; Wainwright war schwarz, groß, durchtrainiert, hart und muskulös. Auch ihrer Persönlichkeit nach unterschieden sie sich, aber das Verhältnis zwischen ihnen war gut.
»So, jetzt veranstalten wir mal ein Ratespiel, aber ohne Preise«, sagte Nolan Wainwright. Nach Art eines Pokerspielers legte er acht Plastik-Kreditkarten vor sich auf den Schreibtisch, eine nach der anderen.
»Vier von diesen Kreditkarten sind gefälscht«, fuhr der Sicherheitschef fort. »Können Sie die herausfischen?«
»Aber sicher. Das ist doch leicht. Die Fälscher verwenden für das Prägen des Namens immer eine andere Schrift als für... « Vandervoort stockte, dann beugte er sich vor und betrachtete die Karten aus der Nähe. »Mein Gott! Bei denen hier ist die Schrift auf jeder Karte gleich.«
»Fast. Wenn man weiß, worauf man achten muß, kann man mit der Lupe leichte Abweichungen erkennen.« Wainwright zog eine Lupe hervor. Er trennte die Karten in zwei Gruppen, dann wies er auf Verschiedenheiten in der Prägung auf den vier echten Karten und den anderen hin.
Vandervoort nickte. »Ich sehe jetzt die Unterschiede, aber ohne das Glas hätte ich nichts gemerkt. Wie sehen die Fälschungen unter Ultraviolett aus?«
»Ganz genauso wie die echten.«
»Schlimm.«
Vor etlichen Monaten hatte man, dem Beispiel von American Express folgend, ein Geheimzeichen auf die Vorderseite aller authentischen Keycharge-Kreditkarten gedruckt. Es war nur unter ultravioletter Bestrahlung sichtbar. Sinn der Sache war es, eine schnelle und mühelose Prüfungsmethode für die Echtheit einer jeden Karte zu schaffen. Jetzt hatte man auch diese Sicherung umgangen.
»Allerdings, das ist schlimm«, bestätigte Nolan Wainwright. »Und das hier sind nur Kostproben. Ich habe noch vier Dutzend davon: abgefangen, nachdem sie mit Erfolg im Einzelhandel und in Restaurants, für Flugscheine, Alkoholika und andere Dinge gebraucht worden waren. Und von jeder Karte könnte man sagen, daß es die beste Fälschung ist, die uns je unter die Augen gekommen ist.«
»Verhaftungen?«
»Bisher nicht. Wenn die Leute spitzkriegen, daß eine faule Karte überprüft wird, marschieren sie einfach aus dem Laden, verlassen den Flugschalter, verduften, wie gerade eben vor ein paar Minuten.« Er zeigte mit der Hand hinüber zu dem Bewilligungszentrum. »Und außerdem, was hilft es uns schon, wenn wir ein paar Benutzer verhaften; das führt uns nicht unbedingt an den Ursprung der Karten. Die werden gewöhnlich unter allen erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen an den Mann gebracht und dann noch etliche Male weiterverkauft, bis jede Spur verwischt ist.«
Alex Vandervoort nahm eine der gefälschten blau-grüngoldenen Karten und drehte sie um. »Auch der Kunststoff scheint genau der gleiche zu sein.«
»Die Dinger werden aus echten Blankostücken gefertigt, die planmäßig gestohlen werden. Das ist die einzige Erklärung;
sonst könnten sie nicht so gut sein. Übrigens haben wir, glaube ich, die Quelle selbst aufgespürt«, fuhr der Sicherheitschef fort. »Vor vier Monaten ist bei einem unserer Lieferanten eingebrochen worden. Die Diebe konnten bis in den doppelt und dreifach gesicherten und gepanzerten Lagerraum eindringen, wo die fertigen Plastikplatten verwahrt werden. Dreihundert Bogen fehlten.«
Vandervoort stieß einen leisen Pfiff aus. Ein einziger Plastikbogen ergab sechsundsechzig Keycharge-Kreditkarten. Das konnte im ungünstigsten Fall fast zwanzigtausend gefälschte Karten bedeuten.
»Ich habe auch schon nachgerechnet.« Wainwright deutete wieder auf die Falsifikate auf dem Schreibtisch. »Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Okay, die Fälschungen, von denen wir wissen - oder zu wissen glauben -, können zehn Millionen Dollar Verlust bedeuten, bevor wir sie aus dem Verkehr ziehen. Aber die anderen, von denen wir noch nichts ahnen? Das können noch gut und gern zehnmal so viele sein.«
»Das sind ja schöne Aussichten!«
Alex Vandervoort ging in dem kleinen Büro auf und ab, während seine Gedanken Gestalt annahmen.
Er überlegte: Seit Einführung der Kreditkarten waren alle Banken, die sie ausgaben, von schweren Verlusten durch Fälschungen heimgesucht worden. Anfangs wurden ganze Postsäcke voller Karten gestohlen, und die Diebe feierten wahre Einkaufsorgien - auf Kosten der Bank. Einige Postsäcke waren geraubt und den Banken gegen ein Lösegeld zum Rückkauf angeboten worden. Die Banken hatten gezahlt, wohl wissend, daß es sie sehr viel teurer zu stehen kommen würde, wenn die Karten erst einmal in der Unterwelt verteilt und benutzt wurden. Im Jahre 1974 bezogen Pan American Airways Prügel von Presse und Öffentlichkeit, weil sie zugegeben hatten, Verbrechern für die Rückgabe großer Mengen gestohlener Flugschein-Formulare Geld gezahlt zu haben. Die Fluggesellschaft hatte damit enorme Verluste durch mißbräuchliche Benutzung der Flugscheine abwenden wollen. Diejenigen, die PanAm so heftig kritisierten, ahnten nicht, daß einige der Großbanken es seit Jahren in aller Stille ebenso machten.
Im Laufe der Zeit konnte der Diebstahl von Kreditkarten in der Post eingedämmt werden, aber inzwischen war die Unterwelt zu neuen, raffinierteren Methoden übergegangen. Dazu gehörte die Fälschung. Die ersten Kartenfälschungen waren plump und leicht erkennbar, aber die Qualität verbesserte sich laufend, bis - wie Wainwright demonstriert hatte - nur noch Experten den Unterschied entdecken konnten.
Kaum war eine neue Sicherheitsmaßnahme für Kreditkarten entwickelt, fand die kriminelle Intelligenz einen Ausweg oder ging zum Angriff auf einen anderen schwachen Punkt über. So kam zum Beispiel jetzt ein neuer Typ von Kreditkarten auf den Markt, der ein »zerhacktes« Paßbild des Karteninhabers zeigte. Mit bloßem Auge betrachtet, war dieses Foto ein konturenloser Fleck. Erst ein Dechiffrier-Betrachter machte daraus wieder ein scharfes, klar erkennbares Bild, das die Identifizierung des Karteninhabers ermöglichte. Im Augenblick schien das System vielversprechend, aber Alex bezweifelte keinen Moment, daß das organisierte Verbrechen schon bald dahinterkommen würde, wie man »zerhackte« Paßbilder duplizieren konnte.
Von Zeit zu Zeit gelang es, Leute, die gestohlene oder gefälschte Kreditkarten verwendeten, festzunehmen, zu überführen und zu verurteilen, aber das war immer nur ein geringer Prozentsatz. Das Hauptproblem der Banken lag in ihrem Mangel an Spezialisten, die in der Lage waren, diese moderne Form des Betrugs zu bekämpfen. Davon gab es einfach nicht genug.