»Sagen Sie ihm, ich habe nichts zu erklären, und er soll die PR-Abteilung anrufen.« Heyward hatte sich an das erinnert, was Dick French den Direktoren eingeschärft hatte: Die Presse wird versuchen, Kontakt zu jedem einzelnen von Ihnen aufzunehmen... verweisen Sie alle an mich. Wenigstens das war eine Last, die er nicht zu tragen brauchte.
Augenblicke später hörte er Dora Callaghans Stimme wieder: »Es tut mir leid, Mr. Heyward.«
» Was ist denn?«
»Mr. Endicott ist noch immer in der Leitung. Er hat mich gebeten, Ihnen zu sagen: Möchten Sie, daß er Miss Avril Devereaux mit der PR-Abteilung erörtert, oder wäre es Ihnen lieber, selbst über sie zu sprechen?«
Heyward riß einen Hörer ans Ohr. »Was hat das alles zu bedeuten?«
»Guten Morgen, Sir«, sagte eine ruhige Stimme. »Ich bitte um Entschuldigung wegen der Störung. Hier spricht Bruce Endicott vom >Newsday<.«
»Sie haben meiner Sekretärin gesagt...«
»Ich habe ihr gesagt, Sir, daß es meiner Meinung nach Dinge gibt, die Sie sicher lieber privat mit mir besprechen wollen, als daß ich mir bei Dick French Auskunft hole.«
Bildete er es sich ein, oder hatte der Mann das Wort »privat« fast unmerklich hervorgehoben? Heyward sagte: »Ich habe sehr viel zu tun. Ein paar Minuten kann ich erübrigen, mehr nicht.«
»Vielen Dank, Mr. Heyward. Ich fasse mich so kurz, wie ich kann. Unsere Zeitung hat Recherchen bei der Supranational Corporation angestellt. Wie Sie wissen, herrscht beträchtliches öffentliches Interesse, und wir bringen morgen einen längeren Artikel über dieses Thema. Unter anderem ist uns bekannt, daß Ihre Bank der SuNatCo einen hohen Kredit gewährt hat. Darüber habe ich mit Dick French gesprochen.«
»Dann haben Sie also alle Informationen, die Sie brauchen.«
»Nicht ganz, Sir. Wir haben von anderer Seite erfahren, daß Sie persönlich den Supranational-Kredit ausgehandelt haben, und es entsteht die Frage, wann das Thema zuerst angeschnitten worden ist. Damit meine ich, wann hat die SuNatCo zum ersten Mal um das Geld gebeten? Erinnern Sie sich zufällig daran?«
»Ich fürchte nein. Ich habe mit vielen Großkrediten zu tun.«
»Aber doch sicher nicht mit vielen, die sich auf fünfzig Millionen belaufen.«
»Ich glaube, ich habe Ihre Frage schon beantwortet.«
»Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Sir. Könnte es im März während einer Reise nach den Bahamas gewesen sein? Eine Reise, die Sie zusammen mit Mr. Quartermain, Vizepräsident Stonebridge und einigen anderen unternommen haben?«
Heyward zögerte. »Ja, könnte sein.«
»Können Sie mit Bestimmtheit sagen, daß es damals war?« Die Stimme des Reporters klang äußerst respektvoll, aber es war kein Zweifel, daß er sich nicht mit Ausflüchten abspeisen lassen würde.
»Ja, jetzt kann ich mich wieder erinnern. Es war damals.«
»Vielen Dank, Sir. Sie waren auf der Reise damals, glaube ich, Passagier in Mr. Quartermains Privat-Jet - einer 707?«
»Ja.«
»Mit einer Anzahl junger Damen als Begleiterinnen.«
»Begleiterinnen würde ich nicht sagen. Ich erinnere mich schwach, daß mehrere Stewardessen an Bord waren.«
»War eine von ihnen Miss Avril Devereaux? Haben Sie sie damals kennengelernt, und sind Sie ihr auch während der folgenden Tage auf den Bahamas begegnet?«
»Schon möglich. Der Name, den Sie genannt haben, kommt mir bekannt vor.«
»Mr. Heyward, verzeihen Sie mir, wenn ich es einfach so sage, aber hat man Ihnen Miss Devereaux angeboten - sexuell, meine ich - als Gegenleistung dafür, daß Sie sich für die Gewährung des Supranational-Kredits einsetzen?«
»Ganz sicher nicht!« Heyward schwitzte jetzt, die Hand, die den Hörer hielt, zitterte. Er fragte sich, wieviel dieser Inquisitor mit der glatten Stimme schon wußte. Natürlich könnte er das Gespräch hier und jetzt beenden; das wäre vielleicht das beste, aber tat er es, dann würde er weiter darüber nachgrübeln und im Ungewissen bleiben.
»Aber ist es als Folge dieser Reise zu den Bahamas, Sir, zu einer Freundschaft zwischen Ihnen und Miss Devereaux gekommen?«
»Vielleicht könnte man es so bezeichnen. Sie ist eine angenehme, reizende junge Dame.«
»Sie erinnern sich also doch an sie?«
Er war in die Falle gegangen. Er gab zu: »Ja.«
»Danke, Sir. Übrigens, haben Sie Miss Devereaux in der Folgezeit wiedergesehen?«
Die Frage wurde ganz beiläufig gestellt. Aber dieser Mann Endicott wußte es. Heyward bemühte sich um Festigkeit in der Stimme und sagte: »Ich habe nicht die Absicht, weitere Fragen zu beantworten. Ich sagte Ihnen schon, daß ich sehr viel zu tun habe.«
»Wie Sie wünschen, Sir. Aber ich meine, wir sollten Sie davon in Kenntnis setzen, daß wir mit Miss Devereaux gesprochen haben und daß sie sich äußerst kooperativ gezeigt
Äußerst kooperativ? Das war anzunehmen bei Avril, dachte Heyward. Vor allem, wenn die Zeitung sie bezahlte, und das war sicherlich geschehen. Aber er empfand keine Bitterkeit beim Gedanken an sie; Avril war nun einmal so, und nichts konnte je die Süße zerstören, die sie ihm gegeben hatte.
Der Reporter sprach weiter: »Sie hat uns Einzelheiten Ihrer Begegnungen mit ihr mitgeteilt, und wir besitzen einige Rechnungen vom Columbia Hilton - Ihre Rechnungen, bezahlt von Supranational. Möchten Sie Ihre Erklärungen noch einmal überdenken, Sir, daß das alles nichts mit dem Kredit der First Mercantile American Bank an Supranational zu tun hatte?«
Heyward schwieg. Was konnte er sagen? Verwünscht sollten sie sein, alle Zeitungen und Reporter, mitsamt ihrer Besessenheit, im Privatleben anderer Leute herumzuschnüffeln, zu bohren, bohren, bohren! Offensichtlich hatte man jemanden von SuNatCo zum Reden gebracht, hatte ihn veranlaßt, Papiere zu stehlen oder zu kopieren. Ihm fiel ein, daß Avril etwas von einer »Liste« gesagt hatte - einem vertraulichen Verzeichnis all derer, die auf Kosten von Supranational bewirtet werden durften. Eine Zeitlang hatte sein eigener Name darauf gestanden. Wahrscheinlich waren sie auch im Besitz dieser Information. Die Ironie lag natürlich darin, daß Avril in keiner Weise seine Entscheidung über den SuNatCo-Kredit beeinflußt hatte. Lange bevor er sich mit ihr eingelassen hatte, stand schon sein Entschluß fest, den Kredit zu empfehlen. Wer aber würde ihm das glauben?
»Nur noch eins, Sir.« Offensichtlich nahm Endicott an, daß eine Antwort auf die letzte Frage ausbleiben würde. »Darf ich nach einer privaten Kapitalanlagegesellschaft namens Q-Investments fragen? Um Zeit zu sparen, will ich Ihnen gleich sagen, daß wir Kopien einiger Akten besitzen, und Sie sind aufgeführt als Inhaber von zweitausend Anteilen. Stimmt das?«
»Mr. Heyward, hat man Ihnen diese Anteile als Vergütung für die Beschaffung des Supranational-Kredits und weiterer Kredite von insgesamt zwei Millionen Dollar an Q-Investments überlassen?«
Ohne ein Wort legte Roscoe Heyward langsam den Hörer auf die Gabel.
In der morgigen Ausgabe, hatte der Anrufer gesagt. Alles würden sie drucken, da sie ganz offensichtlich die Beweise hatten, und was eine Zeitung erst einmal anfing, das wiederholten dann die anderen Medien. Er hatte keine Illusionen, keine Hoffnung hinsichtlich dessen, was nun folgen mußte. Ein Zeitungsartikel, ein Reporter, das bedeutete Schande - totale, absolute Schande. Nicht nur in der Bank, auch bei Freunden, in der Familie. In seiner Kirche, überall. Sein Prestige, sein Einfluß, sein Stolz, alles würde sich auflösen; zum ersten Mal erkannte er, was für eine brüchige Maske das alles war. Schlimmer noch war die Gewißheit strafrechtlicher Verfolgung wegen passiver Bestechung, die Möglichkeit anderer Anklagen, die Wahrscheinlichkeit, ins Gefängnis zu kommen.
Manchmal hatte er darüber nachgedacht, wie wohl den einst so stolzen Nixon-Komplicen zumute sein mochte, tief herabgestürzt von ihren hohen Ämtern, unter schwerer Anklage vor Gericht, mit anderen Verbrechern in der Fingerabdruckkartei, jeder Würde entkleidet, gewogen und zu leicht befunden von Geschworenen, die sie vor nicht langer Zeit noch voller Verachtung ignoriert hätten. Jetzt wußte er es. Oder würde es bald wissen.