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Aber der Verlust, um den es hier ging - angenommen, es handelte sich tatsächlich um Diebstahl -, war zu hoch, die Umstände zu kraß, um die Angelegenheit zu verschweigen.

Es war auch nicht ratsam, weiter abzuwarten in der Hoffnung, daß irgendwelche neuen Tatsachen ans Licht kommen würden. Das FBI schätzte es nämlich gar nicht, wie Wainwright sehr wohl wußte, erst Tage nach dem Ereignis gerufen zu werden, um eine inzwischen kalt gewordene Spur aufzunehmen. Aber bis die Kriminalbeamten erschienen, wollte er selbst tun, was er konnte.

Als Edwina und Miles Eastin das kleine Büro verließen, sagte der Assistent des Innenleiters: »Ich schicke Ihnen Mrs. Nunez herein.«

Einen Augenblick später erschien die kleine, zarte Gestalt der Juanita Nunez in der Bürotür. »Kommen Sie rein«, sagte Nolan Wainwright. »Schließen Sie die Tür. Setzen Sie sich.«

Sein Ton war dienstlich und geschäftsmäßig. Sein Instinkt sagte ihm, daß vorgetäuschte Freundlichkeit bei dieser Frau nichts ausrichten würde.

»Ich möchte Ihre Geschichte noch einmal ganz von vorn hören, Schritt für Schritt.«

Juanita Nunez hatte das gleiche verdrossene und trotzige Gesicht aufgesetzt wie zuvor, aber jetzt zeigte es darüber hinaus auch eine Spur von Erschöpfung. Trotzdem stieß sie in einer plötzlichen Temperamentsaufwallung hervor: »Dreimal habe ich das schon erzählt. Alles!«

»Vielleicht haben Sie die anderen Male etwas vergessen.«

»Nichts habe ich vergessen!«

»Dann gehen wir eben alles ein viertes Mal durch, und wenn das FBI kommt, ein fünftes und danach vielleicht ein sechstes Mal.« Er sprach nicht laut, aber mit Autorität, und die ganze Zeit ließ er Juanita nicht aus den Augen. Wäre er noch bei der Polizei, dachte Wainwright, dann müßte er sie jetzt über ihre gesetzlichen Rechte belehren. Aber da er es nicht war, würde er es auch nicht tun. In solchen Situationen waren private Sicherheitsorgane manchmal der Polizei gegenüber im Vorteil.

»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte die junge Frau. »Sie denken, ich werde diesmal was anderes sagen als die ersten drei Male, damit Sie mir nachweisen können, daß ich gelogen habe.«

»Haben Sie denn gelogen?«

»Nein!«

»Warum machen Sie sich dann solche Sorgen?«

Ihre Stimme zitterte. »Weil ich müde bin. Ich möchte gehen.«

»Ich auch. Und wenn da nicht die Kleinigkeit von sechstausend Dollar wäre, die verschwunden sind - und Sie geben zu, daß Sie diese sechstausend Dollar vorher in Ihrem Besitz hatten -, dann hätte ich längst Feierabend gemacht und wäre nach Hause gefahren. Aber das Geld ist nun mal weg, und wir hätten es gern wieder. Erzählen Sie mir also noch einmal, was heute nachmittag war - als Sie, wie Sie sagen, zum ersten Mal bemerkten, daß etwas nicht stimmte.«

»Es war, wie ich Ihnen gesagt habe - zwanzig Minuten nach der Mittagspause.«

Er las Verachtung in ihren Augen. Zu Anfang, als er die ersten Fragen an sie richtete, hatte er gespürt, daß sie ihm gegenüber unbefangener war als bei den anderen. Zweifellos nahm sie an, daß er, der Schwarze, und sie, die Puertorikanerin, gewissermaßen natürliche Verbündete wären oder, wenn das nicht, sie doch leichter mit ihm zurechtkommen würde. Sie konnte nicht ahnen, daß er absolut farbenblind war, wenn es galt, etwas zu untersuchen. Auch konnte er sich nicht um die persönlichen Sorgen kümmern, die dieses Mädchen vielleicht drückten. Edwina D'Orsey hatte so etwas erwähnt. Doch für Wainwright gab es keinen persönlichen Umstand, der Diebstahl oder Unehrlichkeit rechtfertigte.

Natürlich hatte die Nunez recht mit ihrer Behauptung, er wolle sie bei einer Abweichung von ihren ursprünglichen Angaben ertappen. Und das konnte leicht passieren, obwohl sie ungewöhnlich vorsichtig war. Sie hatte über Müdigkeit geklagt. Als erfahrener Untersuchungsleiter wußte Wainwright, daß Schuldige bei einsetzender Ermüdung während der Vernehmung dazu neigten, Fehler zu machen - zuerst einen geringfügigen, dann noch einen und noch einen, bis sie in einem zähen Netz von Lügen und Unstimmigkeiten zappelten und nicht mehr herauskamen.

War es jetzt soweit? Er trieb das Verhör weiter voran.

Es dauerte eine Dreiviertelstunde, und Juanita Nunez gab eine Darstellung der Ereignisse, die in nichts von ihren bisherigen Aussagen abwich. Obwohl er enttäuscht war, daß nichts Neues dabei herausgekommen war, hatte ihn Mrs. Nunez' Beharren auf ihrer Aussage auch nicht sonderlich beeindruckt. Als ehemaliger Polizist wußte er, daß es dafür zwei mögliche Deutungen gab: Entweder sagte sie die Wahrheit, oder sie hatte ihre Aussage so perfekt einstudiert, daß nichts sie aus dem Gleichgewicht zu bringen vermochte. Es sprach sogar einiges für die letztere Annahme, denn bei schuldlosen Personen gab es gewöhnlich leichte Abweichungen zwischen den verschiedenen Aussagen. Es war ein Punkt, auf den erfahrene Kriminalbeamte zu achten gelernt hatten.

Am Ende sagte Wainwright: »Gut, das war's für heute. Morgen kommt der Lügendetektor dran. Die Bank wird das arrangieren.«

Er sagte das ganz beiläufig, achtete dabei aber genau auf ihre Reaktion. Daß diese so plötzlich und so heftig ausfallen würde, hatte er allerdings nicht erwartet.

Das kleine dunkle Gesicht des Mädchens lief rot an. Mit einem Ruck richtete sie sich kerzengerade auf.

»Nein! Das lasse ich mir nicht gefallen!«

»Warum nicht?«

»Lügendetektor! Das ist eine Beleidigung!«

»I wo. Viele Leute lassen sich mit dem Lügendetektor testen. Wenn Sie schuldlos sind, wird der Apparat es zeigen.«

»Ich traue solchen Apparaten nicht. Auch Ihnen nicht. j Basta con mi palabra!«

Er überhörte das Spanisch; er nahm an, daß es sich um eine Beschimpfung handelte. »Sie haben gar keinen Grund, mir zu mißtrauen. Ich will nichts weiter von Ihnen als die Wahrheit.«

»Die haben Sie gehört! Aber Sie erkennen Sie nicht! Sie sind genauso wie die anderen, Sie glauben, ich habe das Geld genommen. Es hat keinen Zweck, Ihnen zu sagen, daß es nicht wahr ist.«

Wainwright stand auf. Er öffnete die Tür des kleinen Büros und trat zur Seite, um das Mädchen gehen zu lassen. »Vielleicht überlegen Sie sich das mit dem Test noch einmal bis morgen«, riet er ihr. »Es macht einen schlechten Eindruck, wenn Sie sich weigern.«

Sie sah ihm gerade ins Gesicht. »Ich muß doch so einen Test nicht über mich ergehen lassen, oder?«

»Nein.«

»Dann werde ich es auch nicht tun.«

Mit kurzen, hastigen Schritten marschierte sie aus dem Büro. Ein wenig später und ohne Eile folgte ihr Wainwright.

In der großen Schalterhalle waren die Lichter jetzt gedämpft, obwohl hier und da noch einige Angestellte an ihren Schreibtischen saßen. Die meisten waren schon gegangen. Draußen hatte sich die Dunkelheit über den rauhen Herbsttag gesenkt.

Juanita Nunez ging in den Umkleideraum, holte ihre Straßenkleidung aus dem Spind und kam zurück. Wainwright schenkte sie keine Beachtung. Miles Eastin, der mit einem Schlüssel gewartet hatte, schloß ihr das Hauptportal auf.