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Zu jener Zeit hatte er die Scheidung vorgeschlagen, etwas, woran er jetzt nur noch schamerfüllt zurückdenken konnte. Celia war wie niedergeschmettert gewesen, und er hatte das Thema nie wieder zur Sprache gebracht. Er hatte gehofft, daß sich die Dinge bessern würden, aber sie hatten sich nicht gebessert.

Erst spät, als ihm fast beiläufig der Gedanke gekommen war, daß Celia vielleicht psychiatrische Hilfe brauchte, und er ihr diese Hilfe verschafft hatte, war die Art ihres Leidens ans Licht gekommen. Eine Zeitlang hatten Qual und Sorge seine Liebe zu ihr wiederbelebt. Aber da war es schon zu spät.

Manchmal dachte er: Vielleicht war es schon immer zu spät gewesen. Vielleicht hätten nicht einmal mehr Freundlichkeit, tieferes Verständnis helfen können. Aber die Wahrheit würde er nie erfahren. Nie mehr durfte er überzeugt sein, sein Bestes getan zu haben, und deshalb würde er auch nie frei werden von dem Gefühl der Schuld, das ihn verfolgte und peinigte.

»Alle denken sie immer nur an Geld - wie man es ausgibt, wie man es borgt, wie man es verleiht, aber das ist wohl ganz natürlich und letztlich auch die Aufgabe der Banken. Gestern ist allerdings etwas Trauriges geschehen. Ben Rosselli, unser Präsident, hat nicht mehr lange zu leben; er hat eine Sitzung einberufen und es uns mitgeteilt... «

Alex fuhr fort und beschrieb, was sich ereignet hatte, er schilderte die Reaktion der Teilnehmer nach dem Treffen, dann brach er plötzlich ab.

Celia hatte angefangen zu zittern. Ihr Körper wiegte sich vor und zurück. Ein Jammerlaut, eine Art Stöhnen, entrang sich ihr.

War sie verstört, weil er die Bank erwähnt hatte? - die Bank, der er alle seine Energien gewidmet und damit die Kluft zwischen ihnen immer weiter aufgerissen hatte. Es war damals eine andere Bank gewesen, die Bundes-Reserve-Bank, aber für Celia glich eine Bank der anderen. Oder war es, weil er Ben Rossellis Tod erwähnt hatte?

Bald würde Ben sterben. Wie lange noch, bis auch Celia starb? Sehr lange vielleicht.

Sie konnte ihn ohne weiteres überleben, weiter so dahinvegetieren wie jetzt, mußte Alex denken.

Sie sah aus wie ein Tier!

Sein Mitleid verrauchte. Zorn packte ihn; die zornige Ungeduld, die ihre Ehe zerstört hatte. »Mein Gott noch mal, Celia, nimm dich doch zusammen!«

Ihr Zittern, ihr Stöhnen hörten nicht auf.

Er haßte sie! Sie war kein Mensch mehr, und doch versperrte sie ihm den Weg zu einem erfüllten Leben.

Alex stand auf und drückte heftig einen Klingelknopf an der Wand, der sofort Hilfe herbeiholen würde. Und da er nun schon aufgestanden war, steuerte er auf die Tür zu - um zu gehen.

Und sah mit einem letzten Blick zurück. Auf Celia - seine Frau, die er einst geliebt hatte; sah, was aus ihr geworden war;

sah die tiefe Kluft zwischen ihnen, die sie nun nie mehr würden überbrücken können. Er blieb stehen und weinte.

Weinte vor Mitleid, Trauer, Schuld; die Zornesaufwallung war verraucht, sein Haß fortgespült.

Er ging zu der Couch zurück, und vor ihr auf den Knien liegend, flehte er: »Celia, vergib mir! O Gott, vergib mir!«

Er spürte eine sanfte Hand auf der Schulter, hörte die Stimme der jungen Krankenschwester. »Mr. Vandervoort, es ist wohl am besten, wenn Sie jetzt gehen.«

»Wasser oder Soda, Alex?«

»Soda.«

Dr. McCartney holte eine Flasche aus dem kleinen Kühlschrank in seinem Sprechzimmer und hebelte den Kronenkorken mit einer Bewegung des Öffners vom Flaschenhals. Er goß vom Inhalt der Flasche in ein Glas, das schon ein gutes Maß Whisky enthielt, und tat Eis dazu. Er brachte Alex das Glas, dann schenkte er sich den Rest Soda ein, ohne Zusatz von Alkohol.

Für einen so großen Mann - Tim McCartney war gut einsneunzig groß, mit Brust und Schultern eines FootballSpielers und gewaltigen Pranken - waren seine Bewegungen bemerkenswert flink und gewandt. Obwohl der Klinik-Direktor nicht älter als Mitte Dreißig war, wirkten seine Stimme und seine ganze Art wie die eines gesetzteren Mannes, fand Alex. Vielleicht lag es zum Te il auch daran, daß das straff zurückgebürstete braune Haar an den Schläfen schon grau wurde. Und das wieder mochte seine Ursache darin haben, daß er solche Sitzungen wie eben jetzt mit ihm ständig erlebte, dachte Alex. Dankbar trank er einen Schluck Scotch.

Der holzgetäfelte Raum war sanft beleuchtet, die Farben waren insgesamt gedämpfter als draußen die Korridore und die anderen Räume. Zeitschriftenständer und Bücherregale, auf denen vorwiegend die Werke von Freud, Adler, Jung und Rogers vertreten waren, füllten die eine Wand.

Alex hatte sein Gleichgewicht nach der Begegnung mit Celia noch nicht völlig wiedererlangt, doch hatte der Schrecken auf seltsame Art an Wirklichkeit verloren.

Dr. McCartney ging zu seinem Schreibtischstuhl zurück und schwenkte ihn herum zu dem Sofa, auf dem Alex saß.

»Zunächst einmal sollte ich Ihnen sagen, daß die allgemeine Diagnose Ihrer Frau die gleiche bleibt - katatonische Schizophrenie. Darüber haben wir ja schon gesprochen.«

»Ganz richtig, ich habe viele medizinische Fachausdrücke gehört.«

»Ich will Ihnen weitere Proben davon ersparen.«

Alex schwenkte das Eis in seinem Glas herum und nahm noch einen Schluck; der Whisky hatte ihn erwärmt. »Sagen Sie mir jetzt, wie es um Celia steht.«

»Es mag für Sie schwer zu begreifen sein, aber Ihre Frau ist trotz allem, was Sie gesehen haben, relativ glücklich.«

»Allerdings«, sagte Alex, »das ist wirklich nicht leicht zu begreifen.«

Der Psychiater sagte mit ruhigem Nachdruck: »Glück ist für uns alle eine relative Sache. Celia ist im Besitz einer Art Sicherheit, die Pflicht zur Verantwortung fehlt gänzlich, ebenso die Notwendigkeit, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen. Sie kann sich, so weit sie will oder muß, in sich selbst zurückziehen. Die Körperhaltung, die sie in letzter Zeit einnimmt und die Sie ja gesehen haben, ist die klassische Fötal stellung. Es ist für sie trostreich, diese Haltung einzunehmen; um ihrer körperlichen Gesundheit willen versuchen wir allerdings, sie nach Möglichkeit davon abzubringen.«

»Trostreich oder nicht«, sagte Alex, »das Wesentliche ist doch wohl, daß sich der Zustand meiner Frau nach vier Jahren der bestmöglichen Behandlung weiter verschlechtert hat.« Er sah Dr. McCartney gerade in die Augen. »Ist das richtig oder nicht?«

»Leider ist es so.«

»Besteht überhaupt eine reelle Chance für eine Heilung, so daß Celia wieder ein normales oder zumindest fast normales Leben führen kann?«

»In der Medizin gibt es immer Möglichkeiten...«

»Ich habe von einer reellen Chance gesprochen.«

Dr. McCartney seufzte und schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Danke für Ihre klare Antwort.« Alex schwieg eine Sekunde, dann fuhr er fort: »Wenn ich es recht verstehe, dann ist Celia jetzt - so nennt man es ja wohl - >institutionalisiert<. Sie hat sich von den Menschen zurückgezogen. Sie weiß nichts von Dingen, die sich außerhalb ihres eigenen Ich abspielen, und sie kümmert sich auch nicht darum.«

»Mit dem institutionalisiert haben Sie recht«, sagte der Psychiater, »mit dem anderen nicht. Ihre Frau hat sich nicht total zurückgezogen, jedenfalls bis jetzt noch nicht. Sie weiß immer noch ein wenig von dem, was draußen geschieht. Sie weiß auch, daß sie einen Mann hat, und wir haben über Sie gesprochen. Aber sie glaubt, daß Sie auch ohne ihre Hilfe durchaus in der Lage sind, mit allem fertig zu werden.«

»Sie macht sich also um mich keine Sorgen?«

»Im großen und ganzen, nein.«

»Was würde sie empfinden, wenn sie erführe, daß ihr Mann sich von ihr hat scheiden lassen und daß er wieder geheiratet hat?«

Dr. McCartney zögerte, dann sagte er: »Es würde den totalen Bruch mit dem geringen Kontakt nach außen bedeuten, den sie noch hat. Es könnte sie über die Schwelle treiben, die sie noch von der totalen geistigen Verwirrung trennt.«

In der entstandenen Stille beugte Alex sich vor und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Dann ließ er sie wieder sinken und hob den Kopf. Mit einer Spur von Ironie sagte er: »Wenn man offene Antworten verlangt, dann bekommt man sie wohl auch.«

Der Psychiater nickte; sein Gesichtsausdruck war ernst. »Alex, ich habe Ihnen das Kompliment gemacht, davon auszugehen, daß Sie wirklich meinen, was Sie sagen. Nicht jedem gegenüber wäre ich so offen gewesen. Außerdem, das muß ich hinzufügen, ist es durchaus möglich, daß ich mich irre.«

»Tim, zum Teufel noch mal, was soll man da tun!«.

»Ist das eine Frage oder nur rhetorisch gemeint?«

»Eine Frage. Sie können sie auf meine Rechnung setzen.«

»Heute abend gibt's keine Rechnung.« Der jüngere Mann lächelte kurz, dann dachte er nach. »Sie fragen mich: Was tut ein Mann, der sich in Ihrer Lage befindet? Nun, zunächst einmal informiert er sich so gut wie nur irgend möglich - wie Sie es ja getan haben. Dann trifft er Entscheidungen auf der Grundlage dessen, was er allen Beteiligten gegenüber, sich selbst eingeschlossen, für fair und gut hält. Aber während er seine Entscheidung vorbereitet, sollte er zweierlei bedenken. Erstens, wenn er ein anständiger Mensch ist, werden seine eigenen Schuldgefühle wahrscheinlich übertrieben groß sein, denn ein gut entwickeltes Gewissen hat die Angewohnheit, sich selbst über Gebühr hart zu strafen. Zweitens sollte er bedenken, daß sich nur wenige Menschen für das Leben eines Heiligen eignen; den meisten von uns fehlt dazu die Ausrüstung.«

Alex fragte: »Und weiter wollen Sie nicht gehen? Spezifischer wollen Sie sich nicht ausdrücken?«

Dr. McCartney schüttelte den Kopf. »Nur Sie allein können die Entscheidung treffen. Die letzten Schritte geht jeder von uns allein.«

Der Psychiater warf einen Blick auf die Uhr und stand auf. Wenig später gaben sie einander die Hand und sagten gute Nacht.

Draußen vor der Klinik warteten Limousine und Fahrer auf Alex - der Motor lief, im Wagen war es warm und behaglich.