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Heyward selbst hatte die sexuelle Zwangsabstinenz klaglos hingenommen, teils, weil er vor zwölf Jahren einen Punkt erreicht hatte, an dem er diese Dinge tun, sie aber auch sehr gut lassen konnte; teils, weil sein Ehrgeiz in der Bank inzwischen zu seiner zentralen Antriebskraft geworden war. Wie eine Maschine, die nicht mehr gebraucht wird, war deshalb sein sexuelles Verlangen geschrumpft und geschwunden. Jetzt regte es sich nur noch äußerst selten - und nur in mildester Form; und dann stimmte es ihn ein bißchen traurig in Erinnerung an einen Teil seines Lebens, über dem sich der Vorhang allzufrüh gesenkt hatte.

In anderer Hinsicht aber, gestand sich Heyward ein, war Beatrice gut für ihn gewesen. Sie entstammte einer tadellosen Bostoner Familie, und in ihrer Jugend war sie, wie es sich gehörte, als »Debütantin« in die Gesellschaft eingeführt worden. Auf ihrem Debütantinnenball war Roscoe, steif wie ein Ladestock, in Frack und weißen Handschuhen, ihr in aller Form vorgestellt worden. Später kam es zur einen oder anderen Verabredung, natürlich immer im Beisein von Anstandspersonen; darauf folgte eine Verlobungszeit von angemessener Dauer, und zwei Jahre nach ihrem ersten Tanz waren sie verheiratet. Die gesamte gute Gesellschaft von Boston hatte an der Hochzeit teilgenommen; Heyward erinnerte sich noch heute mit Stolz daran.

Damals wie jetzt teilte Beatrice Roscoes Vorstellungen über den Wert von gesellschaftlicher Stellung und gesellschaftlichem Ansehen. Beides hatte sie weiter gefestigt durch langen Dienst an der Sache der >Töchter der amerikanischen Revolutionc, zu deren General-Schriftführerin sie inzwischen aufgestiegen war. Roscoe war stolz darauf und entzückt über die hervorragenden gesellschaftlichen Kontakte, die dieses Amt mit sich brachte. Beatrice und ihrer glanzvollen Familie hatte eigentlich nur eines gefehlt - nämlich Geld. In diesem Augenblick wünschte Roscoe Heyward sich, wie schon so oft, mit Inbrunst, daß seine Frau eine reiche Erbin wäre.

Die größte Sorge, die Roscoe und Beatrice im Augenblick belastete, war dieselbe, die sie schon immer begleitet hatte: Es war die Sorge, wie sie ihr Leben mit Roscoes Gehalt bestreiten sollten.

Die Zahlen, mit denen er sich an diesem Abend befaßte, bewiesen Roscoe Heyward, daß ihre Ausgaben in diesem Jahr ihre Einnahmen erheblich übersteigen würden. Im April nächsten Jahres würde er Geld aufnehmen müssen, um seine Einkommensteuer bezahlen zu können. Das war bereits im laufenden Jahr nötig gewesen, wie auch im Jahr zuvor. Es hätte noch mehr solche r Jahre gegeben, wenn er nicht bisweilen Glück bei einigen Investitionen gehabt hätte.

Bestimmt hätten viele mit sehr viel geringerem Einkommen nur gelacht bei dem Gedanken, daß ein Vizepräsidentengehalt von 65000 Dollar im Jahr nicht für ein gutes Leben und womöglich noch für schöne Rücklagen reichen sollte. Tatsächlich aber reichte es für die Heywards nicht.

Zunächst einmal ging mehr als ein Drittel der Bruttosumme für die Einkommensteuer drauf. Danach verlangten die erste und die zweite Hypothek, die auf dem Hause lagen, jährliche Zahlungen von weiteren 16000 Dollar, während die Gemeindesteuern 2500 Dollar verschlangen. Blieben 23000 Dollar übrig - oder rund 450 Dollar pro Woche - für sämtliche anderen Ausgaben wie Reparaturen, Versicherungen, Lebensmittel, Kleidung, Auto für Beatrice (die Bank stellte Roscoe bei Bedarf einen Wagen mit Fahrer aus dem Fuhrpark zur Verfügung), Lohn für die Haushälterin, die gleichzeitig Köchin war, Spenden für wohltätige Organisationen und dazu eine schier unglaubliche Zahl kleinerer Posten, die sich zu einer deprimierenden Summe addierten.

Wieder einmal, wie immer in solchen Augenblicken, wurde Heyward sich der Tatsache bewußt, daß das Haus eine schwerwiegende Extravaganz darstellte. Von Anfang an hatte es sich gezeigt, daß es größer war als nötig, selbst damals schon, als Elmer noch bei seinen Eltern wohnte, was jetzt nicht mehr der Fall war. Vandervoort, der das gleiche Gehalt bezog, hatte es viel klüger gemacht, indem er in einem Apartment zur Miete wohnte, aber Beatrice liebte das Haus gerade wegen seiner Größe und Ansehnlichkeit und wollte nie etwas davon hören, zur Miete zu wohnen; auch Roscoe hielt nichts davon.

Also mußten sie sich in anderen Dingen einschränken, eine Notwendigkeit, die Beatrice bisweilen nicht zur Kenntnis nehmen mochte. Ihrer Ansicht nach war es ihr angemessen, Geld zu haben; von ihr zu erwarten, selbst über Geldfragen nachzudenken, erschien ihr als eine Art Majestätsbeleidigung. Diese Einstellung drückte sich auf tausenderlei Weise überall im Haus aus. Sie dachte nicht daran, eine Leinenserviette zweimal zu benutzen; ob sie schmutzig war oder nicht, nach einmaliger Benutzung hatte sie in die Wäsche zu wandern. Das gleiche galt für Handtücher, so daß die Wäscherechnungen enorm waren. Ferngespräche führte sie mit nachlässiger Selbstverständlichkeit, und selten ließ sie sich dazu herab, mit eigener Hand Lampen und Geräte wieder auszuschalten. Vor einem Augenblick erst war Heyward in die Küche gegangen, um sich ein Glas Milch zu holen, und hatte dabei feststellen müssen, daß sämtliche Lampen im Erdgeschoß brannten, obwohl Beatrice schon vor zwei Stunden zu Bett gegangen war. Gereizt hatte er die Lichter ausgeschaltet.

Aber wie Beatrice auch eingestellt sein mochte, es gab Tatsachen, an denen nicht zu rütteln war, und es gab Dinge, die sie sich einfach nicht leisten konnten. Ein Beispiel waren Ferien - die Heywards hatten in den beiden letzten Jahren keine Ferien gemacht. Im Sommer hatte Roscoe beiläufig zu Kollegen in der Bank gesagt: »Wir hatten an eine Mittelmeer-Kreuzfahrt gedacht, aber dann fanden wir beide, daß wir lieber zu Hause bleiben wollten.«

Eine weitere höchst unbehagliche Tatsache bestand darin, daß sie beide praktisch keine Rücklagen hatten - nur ein paar FMA-Aktien, die vielleicht bald verkauft werden mußten, auch wenn der Erlös nicht einmal ausreichen würde, um das Defizit dieses Jahres auszugleichen.

An diesem Abend war Heyward zu dem einzigen Schluß gekommen, daß sie ihre Ausgaben nach der Kreditaufnahme, so gut es ging, einschränken müßten, immer in der Hoffnung, daß es in nicht allzu ferner Zukunft finanziell aufwärts ging.

Das wäre - in durchaus befriedigendem Umfang - der Fall, wenn er zum Präsidenten der FMA gewählt wurde.

Wie in den meisten anderen Banken gab es auch bei der First Mercantile American einen beträchtlichen Gehaltsunterschied zwischen dem Präsidenten und dem nächstniedrigeren Rang. Als Präsident bezog Ben Rosselli 130000 Dollar pro Jahr. Es war so gut wie sicher, daß sein Nachfolger mit der gleichen Summe rechnen konnte.

Für Roscoe Heyward würde es die sofortige Verdoppelung seines jetzigen Gehalts bedeuten. Trotz der Steuereskalation würde der Rest sämtliche jetzt vorhandenen Probleme aus der Welt schaffen.

Er packte seine Papiere weg und begann davon zu träumen, ein Traum, der die ganze Nacht währte.

In ihrer Penthouse-Wohnung auf dem luxuriösen Cayman Manor, einem knapp zwei Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Wohnhochhaus, saßen Edwina und Lewis D'Orsey beim Frühstück.

Drei Tage waren seit der dramatischen Versammlung im Sitzungszimmer vergangen, auf der Ben Rosselli seine Freunde und Mitarbeiter von seinem nahe bevorstehenden Tod unterrichtet hatte, und zwei Tage seit der Entdeckung des erheblichen Bargeldverlustes in der Cityfiliale der First Mercantile American. Von diesen beiden Ereignissen war es der Geldverlust, der Edwina - jedenfalls in diesem Augenblick schwerer bedrückte.

12

Seit Mittwoch nachmittag war man keinen Schritt weitergekommen. Gestern hatten zwei Spezialagenten vom FBI den ganzen Tag lang mit unauffälliger Gründlichkeit die Angestellten der Cityfiliale befragt, aber ein greifbares Ergebnis hatten sie nicht erzielt. Die unmittelbar beteiligte Kassiererin, Juanita Nunez, blieb die Hauptverdächtige, aber sie weigerte sich, irgend etwas zazugeben, sie beteuerte nach wie vor ihre Unschuld und lehnte es ab, sich einem Lügendetektor-Test zu unterziehen.