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Ohne Zeit zu verlieren, begann Wainwright mit einer systematischen, gründlichen Suche.

Während er arbeitete, versuchte er den peinigenden Gedanken beiseite zu schieben, daß er an diesem Abend mehr als einmal gegen die Gesetze verstoßen hatte. Ganz gelang ihm das nicht. Nolan Wainwright war sich der Tatsache bewußt, daß alles, was er bisher getan hatte, seinen sonstigen moralischen Grundsätzen zuwiderlief und seinen Glauben an Recht und Ordnung negierte. Doch der Zorn trieb ihn voran. Zorn und die Erinnerung daran, daß er vor drei Tagen versagt hatte.

Selbst jetzt erinnerte er sich immer noch mit quälender Klarheit des stummen Appells in den Augen der jungen Puertorikanerin, als er Juanita Nunez am Mittwoch zum ersten Mal erblickt und mit seiner Befragung begonnen hatte. Es war ein Appell, der ganz eindeutig und klar besagte: Du und ich... du bist schwarz, ich bin braun. Deshalb solltest gerade du begreifen, daß ich hier allein bin, daß ich im Nachteil bin, daß ich verzweifelt Hilfe brauche und Fairneß. Er hatte diesen Appell wahrgenommen, aber er hatte ihn barsch beiseite gefegt, so daß später etwas anderes aus den Augen der jungen Frau gesprochen hatte - und auch daran erinnerte er sich genau. Dieses andere war Verachtung.

Diese Erinnerung, verbunden mit der Wut darüber, daß Miles Eastin ihn getäuscht hatte, festigte Wainwrights Entschlossenheit, Eastin zu überführen - und wenn er dabei selber das Recht beugen mußte.

Deshalb setzte Wainwright methodisch, wie er es bei der Polizei gelernt hatte, seine Suche fort, entschlossen, Beweise zu finden, wenn es Beweise gab.

Eine halbe Stunde später wußte er, daß es nur noch wenige Stellen gab, an denen etwas versteckt sein konnte. Er hatte Schränke untersucht, Schubfächer und deren Inhalt, er hatte Möbel abgeklopft, Koffer geöffnet, Bilder an den Wänden inspiziert und die Rückwand des Fernsehgeräts abgeschraubt. Er hatte auc h Bücher durchgeblättert und zur Kenntnis genommen, daß es stimmte, was irgend jemand ihm über Eastins Hobby erzählt hatte - ein ganzes Regal war voll mit Büchern zum Thema »Geld im Lauf der Geschichte«. Außer diesen Büchern gab es noch eine Mappe, die Skizzen und Fotos alter Münzen und Banknoten enthielt. Nirgendwo aber fand sich das geringste Belastungsmaterial. Am Ende stapelte er Möbel in einer Ecke des Zimmers auf und rollte den Teppich zusammen. Mit einer Taschenlampe suchte er den Fußboden Zentimeter um Zentimeter ab.

Ohne die Taschenlampe hätte er das sorgsam zersägte Brett übersehen, aber zwei Linien, heller in der Farbe als das übrige Holz, verrieten, wo saubere Schnitte gemacht worden waren. Behutsam löste er das ungefähr dreißig Zentimeter lange Brettstück zwischen den beiden Linien heraus. In dem Hohlraum darunter lagen ein kleines schwarzes Kontobuch und Bargeld in Zwanzig-Dollar-Scheinen.

Schnell arbeitend, brachte er Brettstück, Teppich und Möbel wieder an ihren ursprünglichen Platz.

Er zählte das Geld; es waren insgesamt sechstausend Dollar. Dann befaßte er sich kurz mit dem kleinen schwarzen Kontobuch, begriff, daß es sich um Wett-Aufzeichnungen handelte, und pfiff leise durch die Zähne, als er sah, wie viele und wie hohe Beträge es waren.

Er legte das Buch - er würde es später genauer studieren -und das Geld auf ein Tischchen vor dem Sofa.

Daß er das Geld gefunden hatte, war eine Überraschung. Er hegte keinen Zweifel, daß es sich um die sechstausend Dollar handelte, die am Mittwoch aus der Bank verschwunden waren, aber er hätte eigentlich erwartet, daß Eastin es inzwischen umgetauscht oder woanders untergebracht hätte. Seine Polizeierfahrung hatte ihn gelehrt, daß Verbrecher gelegentlich Törichtes und Unvermutetes tun, und das hier war ein Beispiel dafür.

Jetzt blieb noch in Erfahrung zu bringen, wie Eastin das Geld an sich genommen und wie er es hierher gebracht hatte.

Wainwright sah sich noch einmal in der Wohnung um, dann knipste er alle Lampen aus. Er zog die Vorhänge wieder zurück, ließ sich bequem auf dem Sofa nieder und wartete.

In dem Halbdunkel, das nur gelegentlich vom Widerschein der Straße aufgehellt wurde, begannen seine Gedanken zu wandern. Er dachte wieder an Juanita Nünez und wünschte, er könnte sein Verhalten irgendwie wiedergutmachen. Dann fiel ihm der FBI-Bericht über ihren verschwundenen Mann, diesen Carlos, ein, den man in Phoenix, Arizona, aufgespürt hatte, und Wainwright kam der Gedanke, daß man die Information vielleicht nützen könnte, um dem Mädchen zu helfen.

Natürlich war Miles Eastins Geschichte, er habe Carlos Nünez am Tag, an dem das Geld verschwunden war, in der Bank gesehen, eine Erfindung, um den Verdacht noch stärker auf Juanita zu lenken.

Was für ein gemeiner Schuft! Was war das für ein Mann, erst den Verdacht auf das Mädchen zu lenken und später ihn dann noch zu verstärken? Der Sicherheitschef merkte, daß seine Fäuste sich fester zusammenballten, dann rief er sich selbst zur Ordnung; er durfte seine Gefühle nicht mit sich durchgehen lassen.

Dieser Ordnungsruf war erforderlich, und er wußte auch, warum: wegen eines Zwischenfalls, der tief in seinem Gedächtnis vergraben war und den er selten wieder in sein Bewußtsein kommen ließ. Ohne es eigentlich zu wollen, mußte er jetzt wieder daran denken.

Nolan Wainwright, jetzt fast fünfzig Jahre alt, war in den Slums der Stadt gezeugt, und von Geburt an hatte er feststellen müssen, daß sich alles im Leben gegen ihn verschworen zu haben schien. Er wuchs heran in einer Welt, in der das nackte Überleben täglich neu errungen werden wollte und in der das Verbrechen - das geringfügige, aber auch das gar nicht so geringfügige - zum Alltäglichen gehörte. Als junger Bursche hatte er sich einer Gettobande angeschlossen, in der es als Männlichkeitsbeweis galt, sich kleine Gefechte mit der Polizei zu liefern.

Wie andere aus der gleichen Welt der Slums vor ihm und nach ihm fühlte er sich von dem Verlangen getrieben, jemand zu sein, aufzufallen, ganz gleich wie, um sich ein Ventil für die verzehrende innere Wut auf die eigene Anonymität zu verschaffen. Er kannte nichts anderes und wurde auch von keiner Moral angetrieben, eventuell Alternativen abzuwägen, deshalb erschien ihm die Teilnahme am Straßenverbrechen als einziger Weg. Jede Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß er es wie viele seines Alters im Laufe der Zeit zu Eintragungen im Polizeiregister bringen würde.

Daß es nicht dazu kam, lag zu einem Teil am Zufall, zu einem anderen Teil an Büffelkopf Kelly.

Büffelkopf war ein nicht allzu aufgeweckter, träger, freundlicher, schon ältlicher Polizist aus der Nachbarschaft, der begriffen hatte, daß sich die Überlebenschancen eines Polizeibeamten im Getto wesentlich verbesserten, wenn es ihm gelang, in kritischen Augenblicken woanders zu sein und nur einzuschreiten, wenn sich ein Problem ausgerechnet direkt unter seiner Nase auftat. Seine Vorgesetzten klagten darüber, daß er die wenigsten Verhaftungen von allen Beamten des Reviers aufzuweisen hatte, aber Büffelkopf tröstete sich in solchen Augenblicken mit dem Gedanken, daß seine Pensionierung von Jahr zu Jahr ein erfreuliches Stück näher rückte.

Aber der Teenager Nolan Wainwright war nun einmal in jener Nacht genau unter Büffelkopfs Nase aufgetaucht, als die Bande versuchte, ein Lagerhaus aufzubrechen. Ahnungslos war der Streifenbeamte hinzugekommen, und alles rannte weg, bis auf Wainwright, der gestolpert war und Büffelkopf genau vor die Füße stürzte.

»Du dämlicher Bengel«, beklagte Büffelkopf sich. »Kannst du nicht ein bißchen aufpassen? Jetzt muß ich mich die ganze Nacht mit Papierkram herumschlagen.«

Kelly haßte es, Formulare auszufüllen, Protokolle aufzunehmen, Berichte zu schreiben und als Zeuge vor Gericht zu erscheinen, was jedesmal einen klaren und ärgerlichen Verlust an Freizeit bedeutete.