Am Ende ließ er sich auf einen Kompromiß ein. Anstatt Wainwright festzunehmen und die Strafanzeige auszuarbeiten, nahm er ihn noch in derselben Nacht mit in die Polizeiturnhalle, und da prügelte er ihm, wie Büffelkopf es selber ausdrückte, im Boxring »die gottverdammten Flausen aus dem Kopf«.
Nolan Wainwright, geschwollen, wund, das eine Auge fast geschlossen - wenn auch noch ohne Vorstrafe -, reagierte mit Haß. Bei der nächstbesten Gelegenheit wollte er Büffelkopf Kelly zu Mus schlagen, eine Absicht, die ihn wieder in die Turnhalle - und zu Büffelkopf - zurückführte, von dem er lernen wollte, wie man so etwas macht. Viel später begriff Wainwright, daß er hier das Ventil für seine unheilige Wut gefunden hatte. Er lernte schnell. Als die Zeit reif war, um den nicht übermäßig intelligenten, trägen Bullen wie einen Punchingball zusammenzuschlagen, merkte er plötzlich, daß er gar kein Verlangen mehr danach hatte. Statt dessen mochte er den alten Mann plötzlich gern, ein Gefühl, das den Jungen selbst erstaunte.
Es verging ein ganzes Jahr, in dem Wainwright weiter Boxunterricht nahm, regelmäßig zur Schule ging und es fertigbrachte, nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Eines späten Abends geschah es dann, daß Büffelkopf auf einer seiner Runden zufällig einen Raubüberfall in einem Kramladen störte. Zweifellos war der Polizist selbst erschrockener als die beiden kleinen Ganoven, und er hätte ihnen auch nichts getan, denn beide waren bewaffnet. Wie die spätere Rekonstruktion ergab, hatte Büffelkopf nicht einmal versucht, seine Dienstwaffe zu ziehen.
Aber einer der beiden Räuber geriet in Panik, und bevor er weglief, feuerte er eine Schrotflinte, deren Lauf abgesägt war, auf Büffelkopfs Bauch ab.
Die Kunde von der Schießerei verbreitete sich blitzartig, und bald hatte sich eine neugierige Menge versammelt. Einer in der Menge war Nolan Wainwright.
Nie mehr konnte er das Bild vergessen, das ihm auch jetzt wieder vor Augen trat - wie der harmlose, träge Büffelkopf da bei vollem Bewußtsein auf dem Pflaster lag, sich krümmte und sich wand, wie er weinte und wie er vor wahnsinniger Qual aufschrie, während Blut und Gedärm aus der riesigen tödlichen Wunde quollen.
Der Krankenwagen ließ lange auf sich warten. Sekunden bevor er hielt, starb Büffelkopf, immer noch schreiend.
Das Ereignis zeichnete Nolan Wainwright für immer, wenn es auch nicht Büffelkopfs Tod selbst war, der ihn am tiefsten traf. Auch schienen ihm die Verhaftung und die spätere Hinrichtung des kleinen Diebs, der den Schuß abgefeuert hatte, und seines Komplicen nicht mehr zu sein als ein ziemlich flaues Nachspiel.
Was ihn am meisten berührte und ihn hauptsächlich beeinflußte, das war die sinnlose, fürchterliche Verschwendung. Das ursprüngliche Verbrechen war böse gewesen, dumm und zum Scheitern verurteilt; doch im Scheitern hatte es eine empörende, ungeheure Verwüstung bewirkt. Dieser Gedanke blieb fest im Geist des jungen Wainwright haften. Das war seine Katharsis, die ihm half, das Verbrechen überhaupt als negativ, als destruktiv zu erkennen - und später als ein Übel, das es zu bekämpfen galt. Vielleicht hatte es von Anfang an tief in ihm einen tüchtigen Schuß Puritanismus gegeben. War das der Fall, dann drang er jetzt an die Oberfläche.
Er wuchs zum Manne heran und wurde zu einem Menschen, der sich kompromißlose Maßstäbe setzte, und deswegen wurde er zu einem Einzelgänger, erst unter seinen Freunden, später dann auch als Polizist. Aber er wurde ein tüchtiger Polizist. Er lernte viel, begriff schnell und stieg auf, und er war nicht zu bestechen, wie Ben Rosselli und seine Helfer einst erfahren mußten.
Auch später noch, als er schon für die First Mercantile American Bank arbeitete, bewahrte sich Wainwright seine starken Empfindungen und Überzeugungen.
Vielleicht war der Sicherheitschef eingeschlummert. Aber ein Schlüssel, der in das Türschloß der Wohnung gesteckt wurde, machte ihn wieder hellwach. Behutsam richtete er sich auf. Die Leuchtziffern seiner Armbanduhr zeigten ihm, daß es kurz nach Mitternacht war.
Eine Schattengestalt kam herein. Im Schein des von draußen einfallenden Lichts wurde Eastin erkennbar. Dann fiel die Tür wieder ins Schloß, und Wainwright hörte, wie Eastin nach dem Lichtschalter tastete. Das Licht ging an.
Eastin sah Wainwright sofort - er erstarrte. Sein Mund klappte auf, das Blut wich aus seinem Gesicht. Er versuchte, etwas zu sagen, brachte aber kein Wort hervor und schluckte nur.
Wainwright stand auf und funkelte ihn an. Seine Stimme klang messerscharf. »Wieviel haben Sie heute gestohlen?«
Bevor Eastin antworten oder sich fassen konnte, packte Wainwright ihn an den Mantelaufschlägen, drehte ihn um und gab ihm einen Stoß, daß er der Länge nach auf das Sofa fiel.
Als seine Überraschung sich legte und der Empörung wich, brach es aus dem jungen Mann hervor: »Wer - wer hat Sie hier reingelassen? Was zum Teufel haben Sie... « Sein Blick wanderte zu dem Geld und dem kleinen schwarzen Kontobuch, und er verstummte.
»Jawohl«, sagte Wainwright barsch. »Ich bin gekommen, um das Geld der Bank zu holen oder wenigstens das, was davon noch übriggeblieben ist.« Er zeigte auf die Banknoten, die auf dem Tisch aufgestapelt waren. »Das da, das haben Sie am Mittwoch genommen, das wissen wir. Und falls Sie sich fragen, ob wir auch über die gemolkenen Konten Bescheid wissen, kann ich Sie beruhigen: Wir wissen auch das.«
Miles Eastin starrte ihn an, sprachlos. Ein krampfhaftes Zittern durchlief seinen Körper. Unter dem neuen Schock ließ er den Kopf auf die Brust sinken und schlug die Hände vors Gesicht.
»Lassen Sie das!« Wainwright packte ihn, zog ihm die Arme herunter und versetzte ihm einen Stoß unters Kinn, aber nicht zu hart, eingedenk des Versprechens, das er dem FBI-Mann gegeben hatte. Keine Druckstellen an den Tomaten.
»So und jetzt werden Sie mir einiges erzählen. Los, fangen Sie an«, sagte er hart.
»Keine Pause?« sagte Eastin bittend. »Geben Sie mir eine Minute Zeit zum Überlegen.«
»Nichts da!« Zeit zum Nachdenken wäre das letzte gewesen, was Wainwright dem jungen Mann zugebilligt hätte. Das war ein heller Kopf, der nur zu leicht auf die richtige Idee kommen könnte, jetzt kein Wort zu sagen. Der Sicherheitschef wußte, daß er im Augenblick zwei Vorteile auf seiner Seite hatte. Er hatte Miles Eastin aus dem Gleichgewicht gebracht, und keine Regeln und Vorschriften engten ihn ein.
Wären die FBI-Agenten hier, müßten sie Eastin über seine Rechte belehren - das Recht, auf Fragen nicht zu antworten, und das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen. Wainwright war nicht mehr bei der Polizei und brauchte ihn auf nichts hinzuweisen.
Dem Sicherheitschef ging es nur um eins. Er brauchte hiebund stichfeste Beweise dafür, daß Miles Eastin und niemand anders die sechstausend Dollar gestohlen hatte. Ein von ihm unterschriebenes Geständnis würde ausreichen.
Er setzte sich Eastin gegenüber, und seine Augen durchbohrten den jüngeren Mann. »Wir können den langen und harten Weg wählen oder es schnell hinter uns bringen.«
Als eine Antwort ausblieb, nahm Wainwright das kleine schwarze Buch in die Hand und schlug es auf. »Fangen wir damit an.« Er legte den Finger auf die Liste von Summen und Daten; neben jeder Eintragung standen andere Zahlen, offenbar chiffriert. »Das sind Wetten. Stimmt's?«
Eastin, noch immer verwirrt und wie betäubt, nickte.
»Erklären Sie mir das da.«
Es handelte sich um eine Wette über zweihundertfünfzig Dollar, murmelte Miles Eastin verdrossen. Es ging um ein Football-Spiel zwischen Texas und Notre Dame. Er erläuterte die Quoten. Er hatte auf Notre Dame gesetzt. Texas hatte gewonnen.
»Und das da?«
Wieder kam eine gemurmelte Antwort. Ein anderes FootballSpiel. Eine andere verlorene Wette.