Er rief sich in die Erinnerung zurück, daß Ben in diesem Raum vor kurzer Zeit erst erklärt hatte: »Ich werde bald sterben. Die Ärzte geben mir nicht mehr viel Zeit.« Die Worte waren und blieben eine Mahnung, daß alles im Leben einmal ein Ende hat. Sie enthüllten die Eitelkeit des ehrgeizigen Strebens - seines eigenen, Roscoe Heywards, aller anderen.
Aber mochte Ehrgeiz am Ende auch eitel sein, es verlangte ihn dennoch sehr danach, Präsident dieser Bank zu werden. Er sehnte sich nach der Möglichkeit - wie Ben sie zu seiner Zeit gehabt hatte -, Richtungen vorzugeben, Grundsätze zu formulieren, Prioritäten zu setzen und, als Summe aller Entscheidungen, einen eigenen Beitrag zum Ganzen zu hinterlassen, der alle Mühen wert war. Und ob nun das, was vollbracht wurde, über eine größere Spanne von Jahren hinweg betrachtet, viel oder wenig bedeuten mochte, so trug doch die Schaffensfreude ihren eigenen Lohn in sich - das Tun, das Führen, das Streben, der täglich neue Wettstreit.
Auf der anderen Seite des Direktoriumstisches, zur Rechten, glitt The Hon. Harold Austin auf seinen angestammten Platz. Er war in einem großgemusterten Cerruti-Anzug erschienen, dazu ein konservatives Hemd und eine Krawatte im Hahnentrittmuster, was ihn alles zusammen wie einen ältlichen Dressman aus einem Herrenmagazin aussehen ließ. In den Fingern hielt er eine dicke Zigarre. Alex nickte Austin zu. Das Kopfnicken wurde erwidert, wenn auch merklich kühl.
Vor einer Woche war The Hon. Harold vorbeigekommen, um gegen das Veto zu protestieren, das Alex gegen die von der Agentur Austin erarbeiteten Anzeigen für KeychargeKreditkarten eingelegt hatte. »Die Erweiterung im Marketing der Keycharge-Karten ist vom Direktorium genehmigt worden«, hatte The Ho n. Harold eingewandt. »Außerdem hatten die Abteilungsleiter bei Keycharge diese Anzeigenkampagne schon genehmigt, bevor die Abzüge überhaupt zu Ihnen gelangt sind. Ich bin mir noch nicht schlüssig, ob ich das Direktorium auf Ihre eigenmächtige Handlungsweise aufmerksam machen soll oder nicht.«
Alex hatte auf einen groben Klotz einen groben Keil gesetzt. »Zunächst einmal weiß ich genau, was die Direktoren in bezug auf Keycharge beschlossen haben, weil ich bei der Besprechung dabei war. Sie haben keineswegs zugestimmt, daß das erweiterte Marketing auch eine Anzeigenkampagne einschließen soll, die unseriös, irreführend, halbwahr und dieser Bank nicht würdig ist. Ihre Leute können Besseres leisten, Harold. Das haben sie übrigens auch schon getan - ich habe die revidierten Fassungen gesehen und gebilligt. Was die Eigenmächtigkeit betrifft, so habe ich eine Entscheidung getroffen, die innerhalb meiner Vollmachten liegt, und wenn nötig, werde ich wieder so handeln. Wenn Sie die Sache vor das Direktorium bringen wollen, so steht es Ihnen frei. Falls Sie Wert auf meine Meinung legen, würde ich sagen, daß man es Ihnen nicht danken wird -wahrscheinlich eher mir.«
Harold Austin hatte ein beleidigtes Gesicht gemacht, es dann aber doch vorgezogen, das Thema fallenzulassen. Schließlich würde sich die revidierte Werbekampagne für die AustinAgentur ebenso gut auszahlen. Doch Alex wußte, daß er sich einen Feind geschaffen hatte. Am Ausgang des heutigen Tages würde das allerdings nichts ändern, denn The Hon. Harold zog offensichtlich Roscoe Heyward vor und würde ohnehin für ihn stimmen.
Einer seiner stärksten Anhänger war, wie Alex genau wußte, Leonard L. Kingswood, der energische Vorsitzende von Northam Steel, der nie ein Blatt vor den Mund nahm. Er saß ganz vorn am Kopf des Tisches und unterhielt sich gerade angeregt mit seinem Nachbarn. Len Kingswood hatte Alex vor mehreren Wochen angerufen und ihn darauf aufmerksam gemacht, daß Roscoe Heyward aktiv um die Stimmen von Direktoren warb und sie geradezu aufrief, ihn als Kandidaten für das Amt des Bankpräsidenten zu unterstützen. »Ich sage ja nicht, daß Sie es ebenso machen sollten, Alex. Das müssen Sie selber wissen. Aber ich will Sie darauf hinweisen, daß Roscoe mit seiner Taktik möglicherweise etwas erreicht. Mir macht er nichts vor. Er ist kein Führer, und ich habe ihm das auch gesagt. Aber er versteht etwas von Überredungskunst, und vielleicht geht mancher ihm auf den Leim.«
Alex hatte Len Kingswood für die Information gedankt, aber nicht versucht, Heywards Taktik nachzuahmen. Das Werben um Stimmen konnte in manchen Fällen nützlich sein, in anderen Fällen aber, bei Leuten, die sich in solchen Dingen nicht gern unter Druck setzen ließen, das genaue Gegenteil bewirken. Außerdem widerstrebte es Alex, sich aktiv um Bens Position zu bewerben, während der alte Mann noch am Leben war.
Alex erkannte aber die Notwendigkeit der heutigen Sitzung an; es mußten jetzt Entscheidungen getroffen werden.
Das Stimmengewirr der Gespräche im Sitzungszimmer wurde leiser. Zwei, die erst jetzt eingetroffen waren, setzten sich auf ihren Plätzen zurecht. Jerome Patterton schlug einmal leicht mit dem Holzhammer auf den Tisch und verkündete: »Meine Herren, ich eröffne die Direktoriumssitzung.«
Patterton, heute von den Umständen auf den prominentesten Platz gesetzt, war normalerweise zurückhaltend und galt in der Führungsspitze der Bank eher als jemand, der nur noch seine Jahre absitzen will. Er war in den Sechzigern, und die Zeit seiner Pensionierung rückte näher. Vor einigen Jahren war er anläßlich des Zusammenschlusses mit einer anderen, kleineren Bank ins Direktorium gerutscht; seither war sein Pflichtenkreis in aller Stille und in gegenseitigem Einvernehmen immer weiter eingeengt worden. Zur Zeit befaßte er sich fast ausschließlich mit Treuhandangelegenheiten sowie damit, Golf mit Kunden zu spielen. Vorrang hatte dabei das Golfspiel, und zwar in so starkem Maße, daß Jerome Patterton an einem normalen Arbeitstag selten nach 14.30 Uhr noch in seinem Büro anzutreffen war. Sein Titel als Stellvertretender Direktoriumsvorsitzender war im wesentlichen ein Ehrentitel.
Er wirkte wie ein Großfarmer, der gelegentlich seine Ländereien inspiziert, im übrigen aber das Leben eines wohlbetuchten Gentleman führt. Er war fast kahl, abgesehen von einem schlohweißen, heiligenscheinähnlichen Haarkranz, und sein spitz zulaufender rosa Schädel hatte eine fatale Ähnlichkeit mit dem dünnen Ende eines Eies. Paradoxerweise hatte er wild wuchernde, buschige und verfilzte Augenbrauen;
die Augen darunter waren grau, wässerig und etwas hervorquellend. Es paßte zum Eindruck des Ländlichen, daß er am liebsten Tweed trug. Alex Vandervoorts Einschätzung nach verfügte der Stellvertretende Direktoriumsvorsitzende über ein ausgezeichnetes Gehirn, das er aber in den letzten Jahren kaum noch benutzt hatte; es arbeitete eher wie ein Hochleistungsmotor im Leerlauf.
Wie allgemein erwartet, begann Patterton mit einer Ehrung Ben Rossellis und seiner Verdienste. Danach verlas er das neueste Bulletin; die Ärzte sprachen von »schwindenden Kräften und vermindertem Bewußtsein«. Die zuhörenden Direktoren schoben die Lippen vor und schüttelten ergeben die Köpfe. »Aber das Leben unserer Gemeinschaft geht weiter.« Der Stellvertretende Vorsitzende zählte die Gründe für die Einberufung der Sitzung auf und nannte an erster Stelle die Notwendigkeit, schnell einen neuen Präsidenten und Generaldirektor für die First Mercantile American Bank zu benennen.
»Die meisten von Ihnen, meine Herren, sind mit den Verfahrensregeln vertraut, auf die wir uns geeinigt haben.« Er gab dann bekannt, was jeder schon wußte - daß Roscoe Heyward und Alex Vandervoort das Wort an das Direktorium richten würden. Danach würden beide die Sitzung verlassen, während ihre Kandidaturen erörtert wurden.
»Was die Reihenfolge der Redner betrifft, so werden wir uns dem alten Gesetz des Zufalls beugen, unter dem wir alle geboren sind - dem Gesetz der alphabetischen Reihenfolge.« Jerome Patterton blinzelte Alex zu. »Ich habe manchmal darunter leiden müssen, daß ich ein >P< bin. Ich hoffe, Ihr >V< hat sich nicht nachteilig für Sie ausgewirkt.«