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»Nur ganz selten, Herr Vorsitzender«, sagte Alex. »Gelegentlich verschafft es mir das letzte Wort.«

Ein Gelächter, das erste an diesem Tag, ging um den Tisch.

Roscoe Heyward lachte auch, allerdings wirkte es ein bißchen gezwungen.

»Roscoe«, entschied Jerome Patterton, »wenn es Ihnen recht ist, fangen Sie bitte an.«

»Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender.« Heyward erhob sich, schob seinen Stuhl weit zurück und musterte mit ruhigem Blick die neunzehn anderen Männer an diesem Tisch. Er trank einen Schluck Wasser aus dem vor ihm stehenden Glas, räusperte sich flüchtig und begann mit präziser und gleichmäßiger Stimme zu sprechen.

»Meine Herren vom Direktorium, da es sich hier um eine geschlossene und vertrauliche Sitzung handelt, über deren Verlauf weder die Presse noch die anderen Aktionäre etwas erfahren werden, kann ich heute und hier in aller Offenheit hervorheben, was ich für den wichtigsten Punkt in meinem Verantwortungsbereich und in demjenigen dieses Direktoriums halte - nämlich die Ertragssteigerung der First Mercantile American Bank.« Er wiederholte mit Nachdruck: »Ertragssteigerung, meine Herren - unsere Priorität Nummer eins.«

Heyward warf einen kurzen Blick auf seinen Text. »Gestatten Sie mir, das weiter auszuführen.

Im Bankwesen wie auch im allgemeinen Geschäftsleben wird meiner Meinung nach heutzutage, wenn es um große Entscheidungen geht, viel zuviel Rücksicht auf soziale Fragen und andere Kontroversen unserer Zeit genommen. Ich halte das in meiner Eigenschaft als Bankier für falsch. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen, ich will in keiner Weise die Bedeutung des sozialen Gewissens des einzelnen herabsetzen; mein eigenes, so hoffe ich wenigstens, ist gut entwickelt. Ich meine auch, daß jeder von uns von Zeit zu Zeit gehalten ist, seine persönlichen Werte zu überprüfen, Justierungen im Lichte neuer Gedanken vorzunehmen und, wenn möglich, private Verbesserungsvorschläge einzubringen. Etwas anderes aber ist die Unternehmenspolitik. Sie darf nicht jedem umschlagenden sozialen Wind, jeder neuen Laune ausgesetzt sein. Wäre das der Fall, ließen wir zu, daß unsere geschäftlichen Entscheidungen von einer derartigen Denkweise beherrscht würden, dann wäre das gefährlich für die Freiheit des amerikanischen Unternehmertums und katastrophal für diese Bank, weil damit nämlich unsere Kraft vermindert, unser Wachstum gehemmt und die Gewinne geschmälert würden. Mit anderen Worten: Wir sollten uns wieder, wie andere Institutionen es auch tun, von der soziopolitischen Szene fernhalten, die uns nichts angeht, es sei denn insofern, als sie die finanziellen Angelegenheiten unserer Kunden berührt.«

Der Redner gestattete sich bei allem Ernst seiner Ausführungen ein dünnes Lächeln. »Ich gestehe, daß diese Worte, in der Öffentlichkeit gesprochen, undiplomatisch und unpopulär wären. Ich will noch einen Schritt weitergehen und erklären, daß ich derartige Äußerungen nie und nimmer in der Öffentlichkeit machen würde. Aber wir sind hier unter uns, hier werden reale Entscheidungen getroffen, hier wird Geschäftspolitik gemacht, und hier halte ich sie für ganz und gar realistisch.«

Mehrere Direktoren nickten zustimmend. Einer schlug begeistert mit der geballten Faust auf den Tisch. Andere, unter ihnen der Stahlmann Leonard Kingswood, verzogen keine Miene.

Alex Vandervoort überlegte: Roscoe Heyward hatte sich also für die direkte Konfrontation entschieden, für den frontalen Zusammenstoß der Meinungen. Heyward mußte wissen, daß alles, was er gerade gesagt hatte, sämtlichen Überzeugungen Alex Vandervoorts zuwiderlief, aber auch Ben Rossellis, wie die zunehmende Liberalisierung der Bank zeigte, die Ben in den letzten Jahren in die Wege geleitet hatte. Ben selbst hatte für die Beteiligung der FMA an kommunalpolitischen Entwicklungen gesorgt, und zwar nicht nur in der Stadt, sondern überall im ganzen Bundesstaat. Ein Beispiel war das Projekt Forum East. Aber Alex gab sich keinen Selbsttäuschungen hin. Eine nicht unerhebliche Anzahl der Direktoriumsmitglieder hatte Bens Politik mit Unbehagen, ja, gelegentlich mit Bestürzung beobachtet und würde Heywards harte Linie des klaren Geschäftsinteresses begrüßen. Die Frage war nur - wie stark war diese Gruppe der harten Linie?

Mit einer Äußerung Roscoe Heywards stimmte Alex allerdings völlig überein. Heyward hatte gesagt: Dies ist eine geschlossene und vertrauliche Sitzung... wo reale Entscheidungen getroffen und Geschäftspolitik gemacht wird.

Der Akzent lag auf dem Wort »real«.

Während man den Aktionären und der Öffentlichkeit später eine beruhigende, verzuckerte Darstellung der Bankpolitik in Gestalt umständlicher gedruckter Jahresberichte auftischen mochte, wurde hier, hinter den geschlossenen Türen des Sitzungszimmers, über die wirklichen Ziele entschieden, und zwar in kompromißlos harter Sprache. Deshalb gehörten Diskretion und eine gewisse Verschwiegenheit zu den wichtigen Eigenschaften jedes Direktors.

»Es gibt quasi bei uns vor der Haustür eine Parallele«, erläuterte Heyward, »zwischen dem, was ich gesagt habe, und Ereignissen innerhalb der Kirche, der ich angehöre und die mir Gelegenheit gibt, einen gewissen eigenen sozialen Beitrag zu leisten.

In den sechziger Jahren verwendete unsere Kirche Geld, Zeit und Arbeitskraft für bestimmte soziale Ziele, vor allem für die Förderung der Schwarzen. Das geschah zum Teil als Reaktion auf Druck von außen; aber einige unserer Gemeindemitglieder empfanden es auch als richtig und notwendig. Unsere Kirche wurde zu einer Art Sozialbehörde. In jüngerer Zeit jedoch haben einige von uns die Kontrolle wieder in die Hand genommen und erklärt, daß ein derartiger Aktivismus nicht Sache der Kirche sei und wir uns wieder auf die Grundlagen des eigentlichen Gottesdienstes besinnen sollten. Wir haben uns deshalb wieder verstärkt den religiösen Feierlichkeiten zugewandt - was unserer Meinung nach die Hauptaufgabe unserer Kirche ist - und überlassen die aktive Sozialarbeit der Regierung und den Behörden.«

Alex fragte sich unwillkürlich, ob die anderen Direktoren die Rolle der Kirche ebenso sahen wie Roscoe.

»Ich habe Gewinnstreben als unser erstes Ziel genannt«, fuhr Roscoe fort, »und ich bin mir wohl bewußt, daß einige dagegen Einwände erheben werden. Sie werden mir entgegenhalten, daß alleiniges Zielen auf Gewinn kurzsichtig, unsozial und verächtlich sei.« Der Redner gestattete sich ein nachsichtiges Lächeln. »Ihnen, meine Herren, sind all diese Argumente bekannt.

Aber als Banker muß ich da widersprechen. Streben nach Gewinn ist keineswegs kurzsichtig, und wenn diese Bank, und auch andere Banken, die Rentabilität steigern wollen, so ist das von großer sozialer Wichtigkeit.

Lassen Sie mich das näher erläutern.

Alle Banken messen den Gewinn an der Höhe des Ertrags pro Aktie. Dieser Ertrag - der öffentlich ausgewiesen wird unterliegt der genauen Beobachtung durch Aktionäre, Einleger, Investoren und der nationalen sowie internationalen Geschäftswelt. Ein Steigen oder Fallen des Bank-Ertrags wird als Zeichen ihrer Stärke oder Schwäche gewertet.

Ist der Ertrag hoch, so bleibt das Vertrauen zum Bankgeschäft stark. Lassen Sie aber einmal ein paar Großbanken einen sinkenden Ertrag pro Aktie ausweisen, meine Herren, was hätte das zur Folge? Allgemeine Unruhe, die sich rasch bis zur Alarmstimmung steigert - eine Situation, in der die Einleger ihre Einlagen und die Aktionäre ihre Anlagen auflösen würden, so daß die Kurse weiter fallen und die Banken selbst in Gefahr geraten. Kurz, eine öffentliche Krise ernstester Art.«

Roscoe Heyward nahm seine Brille ab und polierte die Gläser mit einem weißleinenen Taschentuch.

»Und komme mir niemand und sage: Das kann gar nicht passieren. Es ist schon einmal passiert in der Depression, die im Jahre 1929 ihren Anfang nahm; sollte es sich heute wiederholen, wo die Banken sehr viel größer sind, wären die Folgen, verglichen mit damals, geradezu katastrophal.