Alex Vandervoort, der Anthrazit trug und zwei Reihen hinter den Heywards saß, gehörte zu denjenigen, die nicht respondierten. Als Agnostiker fühlte er sich in dieser Umgebung deplaciert. Er fragte sich, was wohl Ben, seiner ganzen Anlage nach ein eher schlichter Mensch, von der prunkvollen Zeremonie gehalten hätte.
Neben Alex saß Margot Bracken, die sich voller Neugier umschaute. Ursprünglich hatte Margot zusammen mit einer Gruppe aus Forum East an der Beerdigung teilnehmen wollen, aber sie war die Nacht in Alex' Wohnung geblieben, und er hatte sie überredet, ihn heute zu begleiten. Die Delegation aus Forum East - stattlich an Zahl - befand sich irgendwo hinter ihnen in der Kirche.
Neben Margot saßen Edwina und Lewis D'Orsey, dieser wie üblich hager und verhungert aussehend und unverhohlen gelangweilt. Wahrscheinlich entwarf er im Geiste schon die nächste Ausgabe seines Informationsbriefes für Investoren, mußte Alex unwillkürlich denken. Die D'Orseys waren mit Margot und Alex in einem Wagen gekommen - die vier waren oft zusammen, nicht nur wegen der Verwandtschaft der beiden Frauen, sondern weil sie sich aufrichtig schätzten. Nach dem feierlichen Hochamt wollten sie auch gemeinsam zu dem Gottesdienst am Grabe gehen.
In der Reihe vor Alex saßen Jerome Patterton, der Stellvertretende Vorsitzende, und seine Frau.
Obwohl die Liturgie ihm innerlich fremd war, spürte Alex, daß ihm die Tränen in die Augen traten, als der Sarg an ihm vorüberkam und aus der Kirche hinausgetragen wurde. Das, was er für Ben empfand, kam, wie er in den letzten Tagen begriffen hatte, dem Gefühl der Liebe sehr nahe. In mancher Hinsicht war der alte Mann für ihn eine Vatergestalt gewesen; sein Tod hinterließ in seinem Leben eine Lücke, die nicht wieder ausgefüllt werden konnte.
Margot nahm sanft seine Hand.
Als die Trauergemeinde die Kirche zu verlassen begann, sah er, wie Roscoe und Beatrice Heyward zu ihnen herüberschauten. Alex nickte, und der Gruß wurde erwidert. Heywards Miene entspannte sich im Zeichen der Trauer, die sie beide empfanden; in der Erkenntnis ihrer eigenen wie der Sterblichkeit Bens war ihre Fehde für diesen kurzen Augenblick vergessen.
Draußen, vor der Kathedrale, war der normale Alltagsverkehr umgeleitet. Der Sarg befand sich schon in dem blumenüberladenen Leichenwagen. Die Verwandten und die leitenden Angestellten der Bank stiegen jetzt in die Limousinen, die von Polizisten eingewiesen wurden. An der Spitze des sich formierenden Trauerzuges befand sich eine Motorrad-Eskorte der Polizei, deren Motoren geräuschvoll warmliefen.
Der Tag war grau und kalt, und plötzliche Windstöße wirbelten den Staub der Straße auf. Hoch reckten sich die Türme der Kathedrale empor, deren ganze gewaltige Fassade vom Ruß und Schmutz der Jahre geschwärzt war. Es war Schnee vorausgesagt worden, aber noch war keine Flocke gefallen.
Während Alex seinem Fahrer ein Zeichen gab, lugte Lewis D'Orsey über die Halbmondgläser seiner Brille in die Kameras von Fernsehen und Presse, die auf die herauskommenden Trauergäste gerichtet waren. »Wenn ich dies als bedrückend empfinde, was der Fall ist, so werden sich die Berichte darüber morgen auf die FMA-Aktien noch drückender auswirken«, bemerkte er düster.
Alex murmelte etwas widerstrebend Zustimmendes. Ebenso wie Lewis wußte er nur zu gut, daß die an der New Yorker Börse notierten Aktien der First Mercantile American seit der Nachricht von Bens Krankheit um fünfeinhalb Punkte gefallen waren. Der Tod des letzten Rosselli - Träger eines Namens, der seit Generationen synonym war mit der Bank - hatte, im Verein mit der Ungewißheit über den Kurs des künftigen Managements, das letzte Absacken der Kurse bewirkt. So unlogisch es auch war, konnte die Berichterstattung über das Begräbnis die Aktien noch weiter rutschen lassen.
»Unsere Aktien werden sich wieder erholen«, sagte Alex. »Die Ertragslage ist gut, und es hat sich im Grunde gar nichts geändert.«
»Das weiß ich«, stimmte Lewis zu. »Deshalb werde ich morgen nachmittag verkaufen.«
Edwina sah schockiert aus. »Was? Du stößt FMA ab?«
»Aber gewiß. Habe auch ein paar Kunden geraten, das gleiche zu tun. Im Moment ist da ein hübscher Profit rauszuholen.«
Aufgebracht sagte sie: »Du weißt ganz genau, daß ich nie mit dir über etwas Vertrauliches spreche, Lewis. Die andern aber wissen das nicht. Wenn du jetzt verkaufst, kann es heißen, du hättest irgendwelche Informationen von mir bekommen.«
Alex schüttelte den Kopf. »In diesem Falle nicht, Edwina. Bens Krankheit war ja allgemein bekannt.«
»Wenn wir später das kapitalistische System überwunden haben«, prophezeite Margot, »dann werden BaisseSpekulationen an der Börse als erstes verschwinden.«
Lewis hob die Augenbrauen in die Höhe. »Warum?«
»Weil sie total negativ sind. Sie sind eine zerstörerische Spekulation, die darauf basiert, daß ein anderer Verluste erleidet. Es ist reine Leichenfledderei und das genaue Gegenteil eines konstruktiven Beitrags. Solche Verkäufe schaffen nichts, sie zerstören«
»Sie schaffen einen blitzblanken Kapitalgewinn.« Lewis grinste breit; er hatte sich mit Margot schon oft und gern gestritten. »Und den heimst man heute nicht mehr so leicht ein, am wenigsten mit amerikanischen Papieren.«
»Trotzdem will es mir nicht gefallen, daß du es ausgerechnet mit FMA-Aktien machst«, sagte Edwina. »Dafür steht mir die Sache doch zu nahe.«
Lewis D'Orsey sah seine Frau mit großem Ernst an. »Wenn dem so ist, meine Liebe, dann werde ich nach meinen Verkäufen von morgen keine FMA-Aktien mehr anrühren.«
Margot warf ihm einen scharfen Blick zu.
»Du weißt doch, daß er es ernst meint«, sagte Alex.
Alex dachte manchmal darüber nach, wie Edwina und ihr Mann wohl miteinander standen. Rein äußerlich schienen sie schlecht zueinander zu passen - Edwina, elegant, attraktiv und selbstbewußt; Lewis, hager, unansehnlich, introvertiert gegenüber allen, die er nicht sehr gut kannte, wenn auch niemand diese persönliche Zurückhaltung unter dem Löwengebrüll seines Finanz-Informationsbriefes vermutete. Aber ihre Ehe schien gut zu funktionieren, und jeder respektierte den anderen und empfand deutliche Zuneigung zu ihm, wie es sich eben wieder bei Lewis gezeigt hatte. Vielleicht, dachte Alex, ziehen Gegensätze sich nicht nur an; sie bleiben wohl auch miteinander verheiratet.
Alex' Cadillac aus dem Fuhrpark der Bank reihte sich in die lange Wagenschlange vor der Kathedrale ein, und die vier gingen dem Wagen entgegen.
»Es wäre schon ein zivilisierteres Versprechen gewesen«, bemerkte Margot, »wenn Lewis sich bereit erklärt hätte, nun überhaupt nicht mehr auf Baisse zu spekulieren.«
»Alex«, sagte Lewis, »zum Teufel noch mal, was finden Sie eigentlich an dieser roten Zicke?«
»Wir sind fabelhaft im Bett«, sagte Margot zu ihm. »Reicht das nicht?«
»Und ich würde sie gern bald heiraten«, setzte Alex hinzu.
Edwina sagte mit Wärme in der Stimme: »Dann hoffe ich, daß ihr es bald tut.« Seit ihrer Kindheit war sie eng mit Margot befreundet, trotz gelegentlicher Differenzen in Temperament und Einstellung. Gemeinsam war ihnen, daß es in beider Familien immer Frauen gegeben hatte, die starke Persönlichkeiten waren und traditionell Aufgaben im öffentlichen Leben übernommen hatten. Edwina fragte Alex leise: »Irgend etwas Neues über Celia?«
Er schüttelte den Kopf. »Es hat sich nichts geändert. Es ist eher noch schlimmer geworden mit ihr.«
Sie waren jetzt bei dem Wagen angelangt. Alex bedeutete dem Chauffeur, er solle am Steuer sitzen bleiben, dann öffnete er die hintere Tür für die anderen und folgte ihnen in den Wagen. Drinnen war die Glasscheibe geschlossen, die den Fahrer von den Mitfahrern trennte. Sie setzten sich zurecht, während der sich noch immer formierende Trauerzug schrittweise vorrückte.