Glücklicherweise war ihre Kanzlei bescheiden - zwei Räume, die einmal einen Kramladen beherbergt hatten. Ein paar übernommene alte Regale waren jetzt mit ihren juristischen Büchern gefüllt. Im übrigen bestand das Mobiliar, das nicht recht zueinander paßte, aus allerlei Gerümpel, das sie irgendwo billig erstanden hatte.
Es war typisch für die Gegend, daß zwei andere ehemalige Läden zu beiden Seiten ihrer Kanzlei verlassen und mit Brettern vernagelt waren. Mit Glück und einiger Initiative der Anwohner würde die Sanierungsflut von Forum East auch diesen Winkel erreichen. Bisher war das noch nicht der Fall.
Aber die Neuigkeiten über Forum East hatten sie hier zusammengeführt.
Vor zwei Tagen hatte die First Mercantile American in einer öffentlichen Erklärung bestätigt, was bisher nur ein Gerücht gewesen war. Die Finanzierungsmittel künftiger Forum East-Projekte sollten mit sofortiger Wirkung auf die Hälfte reduziert werden.
Die Erklärung der Bank war in offiziellem Jargon abgefaßt und strotzte von euphemistischen Phrasen - es herrsche eine »befristete Knappheit von langfristig verfügbarem Kapital«, und man werde das Thema »periodisch überprüfen und gegebenenfalls die Summen variieren«. Jeder, ob Angestellter der Bank oder nicht, wußte genau, was die Sache bedeutete -man zog sich langsam aus den Verpflichtungen zurück.
Zweck der jetzigen Versammlung war es zu untersuchen, ob man etwas dagegen tun könne, und wenn ja, was.
Das Wort »Mieter« im Namen des Verbandes war mehr allgemein zu verstehen. Ein großer Teil der Verbandsmitglieder war tatsächlich Mieter in Forum East; viele andere waren es nicht, hofften aber, es möglichst bald zu werden. Deacon Euphrates, ein baumlanger Stahlarbeiter, hatte es vorhin so formuliert: »'ne Masse Leute wollen da rein, aber da können sie lange drauf warten, wenn die da oben die Piepen nicht lockermachen.«
Margot wußte, daß Deacon mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in einer Bruchbude von Mietskaserne, in der es von Ratten wimmelte und die vor Jahren hätte abgerissen werden müssen, eine winzige und hoffnungslos überfüllte Wohnung hatte; ein paar Mal hatte sie versucht, ihm bei der Suche nach einer anderen Bleibe zu helfen, aber ohne Erfolg. Deacon Euphrates lebte von der Hoffnung, eines Tages mit seiner Familie in eine der neuen Forum East-Wohnungen einziehen zu können, aber der Name der Euphrates stand in der Mitte einer sehr langen Warteliste, und eine Verzögerung der Bauarbeiten mußte bedeuten, daß er da auch noch sehr lange bleiben würde.
Die FMA-Bekanntmachung war auch für Margot ein Schock gewesen. Alex, das wußte sie, hatte gewiß gegen jeden Vorschlag einer Reduzierung gekämpft, war aber offensichtlich überstimmt worden. Aus diesem Grunde hatte sie noch nicht mit ihm darüber gesprochen. Außerdem - je weniger Alex von einigen noch nicht ganz ausgereiften Plänen Margots wußte, um so besser war es für sie beide.
»Ich sehe das so«, sagte Seth Orinda, ebenfalls Mitglied des Komitees. »Was wir aufstellen, ob legal oder nicht, es gibt keine Möglichkeit, auch nicht die geringste, den Banken das Geld aus der Nase zu ziehen. Nicht, wenn die es sich erst mal in den Kopf gesetzt haben, das Portemonnaie zuzumachen.«
Seth Orinda war ein schwarzer Oberschullehrer, der schon in Forum East wohnte. Er verfügte über einen stark ausgeprägten Gemeinschaftssinn, und die Tausende, die draußen voller Hoffnung darauf warteten, endlich auch einziehen zu können, waren ihm nicht gleichgültig. Seine Verläßlichkeit und Hilfsbereitschaft waren Margot schon oft eine große Stütze gewesen.
»Da würde ich nicht so sicher sein, Seth«, erwiderte sie. »Auch Banken haben ihre empfindlichen Stellen. Eine Harpune in so eine Stelle gepiekt - und es können die überraschendsten Dinge passieren.«
»Was für 'ne Harpune denn?« fragte Orinda. »Ein Umzug? Ein Sit-in? Eine Demonstration?«
»Nein«, sagte Margot. »Schlagen Sie sich das alles aus dem Kopf. Das ist alter Schnee. Konventionelle Demonstrationen locken keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Man empfindet sie höchstens noch als Belästigung. Damit erreicht man nichts.«
Ihr Blick schweifte über die Gruppe, die vor ihr in dem unordentlichen, verqualmten Büro hockte. Es waren ungefähr ein Dutzend Leute, schwarz und weiß gemischt, alle Formen, Größen und Physiognomien waren vertreten. Einige hockten unbequem auf wackligen Stühlen und auf Kisten, andere hatten sich auf dem Fußboden niedergelassen. »Hört mal gut zu, alle. Ich sagte, wir brauchen Taten. Ich glaube, es gibt da was, das könnte funktionieren.«
»Miss Bracken.« Eine zierliche junge Frau ganz hinten im Raum hatte sich erhoben. Es war Juanita Nunez, die Margot begrüßt hatte, als sie hereinkam. »Ja, Mrs. Nünez?«:
»Ich möchte mithelfen. Aber Sie wissen ja, daß ich bei der FMA arbeite. Vielleicht sollte ich nicht dabeisein, wenn Sie es den anderen erklären... «
Margot sagte anerkennend: »Das stimmt, und ich hätte selber daran denken können, anstatt Sie hier in Verlegenheit zu bringen.«
Es gab ein allgemeines verständnisvolles Gemurmel. Juanita schob sich zur Tür.
»Das, was Sie bis jetzt schon mitgekriegt haben«, sagte Deacon Euphrates, »das bleibt 'n Geheimnis, klar?«
Während Juanita nickte, sagte Margot rasch: »Wir alle hier können uns auf Mrs. Nünez verlassen. Ich hoffe nur, daß ihre Arbeitgeber ebensoviel Anstand besitzen wie sie.«
Als wieder Ruhe in die Versammlung eingekehrt war, baute Margot sich vor den Verbandsmitgliedern auf. Ihre Haltung war charakteristisch für sie: Hände auf der schmalen Taille, die Ellbogen aggressiv nach vorn geschoben. Kurz vorher hatte sie ihr langes kastanienbraunes Haar zurückgeworfen - es war eine Gewohnheit von ihr, wenn sie zu Taten schritt, wie das Hochziehen eines Vorhangs. Während sie sprach, wuchs das Interesse ihres Publikums spürbar. Hier und da verzog sich ein Mund zum Lächeln. An einer Stelle kicherte Seth Orinda tief in sich hinein. Gegen Ende grinsten Deacon Euphrates und andere breit und begeistert.
»Mann«, sagte Deacon. »Mann, o Mann!«
»Das ist verdammt gerissen«, warf ein anderer ein.
Margot erinnerte sie: »Wenn der Plan funktionieren soll, dann brauchen wir eine Menge Leute - für den Anfang mindestens tausend, und mehr im Laufe der Zeit.«
Eine frische Stimme fragte: »Wie lange brauchen wir die denn?«
»Wir planen für eine Woche. Das heißt, für eine Bankwoche -also fünf Tage. Wenn das nicht hinhaut, müssen wir die Operation vielleicht ausdehnen. Ich glaube aber, ehrlich gesagt, nicht, daß es nötig sein wird. Noch eins: Jeder, der mitmacht, muß ganz genau eingewiesen werden.«
»Da bin ich dabei«, sagte Seth Orinda.
»Ich auch«, stimmte sofort ein ganzer Chor ein.
Die Stimme von Deacon Euphrates übertönte die anderen. »Ich hab' noch 'n paar Tage Urlaub. Verdammt, ich nehm' 'ne Woche frei, und ich weiß andere, die auch bestimmt mitmachen.«
»Gut!« sagte Margot. Entschlossen fuhr sie fort: »Wir brauchen einen genau ausgearbeiteten Plan. Den werde ich morgen abend fertig haben. Und ihr andern, ihr könnt gleich anfangen mit dem Anwerben. Und vergeßt nicht: Unbedingte Geheimhaltung!«
Eine halbe Stunde später löste sich die Versammlung auf. Die Mitglieder des Komitees waren weitaus froher und optimistischer als zu Beginn des Treffens.
Auf Margots Bitte blieb Seth Orinda noch zurück. »Seth, Ihre Hilfe brauche ich ganz speziell.«
»Wenn ich helfen kann - immer, Miss Bracken.«
»Wenn es losgeht«, sagte Margot. »bin ich gewöhnlich in der ersten Reihe. Das wissen Sie.«
»Allerdings.« Der Oberschullehrer strahlte über das ganze Gesicht.
»Diesmal möchte ich unsichtbar bleiben. Mein Name darf weder in Zeitungen, im Fernsehen noch im Rundfunk genannt werden. Das könnte nämlich zwei besondere Freunde von mir in peinlichste Verlegenheit bringen - Freunde in der Bank, ich habe sie ja vorhin erwähnt. Das will ich verhindern.«