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Wie sie Alex später während des einzigen Gesprächs, das sie je über diesen Abschnitt ihrer Vergangenheit führten, anvertraute, war das seither zu ihrem Leitprinzip bei jeglichem Aktivismus geworden.

Immer noch eng an ihn gekuschelt, fragte sie ihn: »Wie steht's denn in der Bank?«

»An manchen Tagen komme ich mir wie Sisyphus vor. Wie es ihm ergangen ist, weißt du ja.«

»War das nicht der alte Grieche, der einen schweren Felsblock bergauf rollte? Und jedesmal, wenn er den Gipfel nahezu erreicht hatte, rollte der Felsblock wieder ins Tal.«

»Richtig. Er hätte Bankmanager werden sollen, der Veränderungen einführen will. Kennst du das Geheimnis der Banker, Bracken?«

»Sag's mir.«

»Wir haben Erfolg trotz unseres Mangels an Weitblick und Phantasie.«

»Darf ich dich zitieren?«

»Wenn du das wagst, werde ich es ganz energisch bestreiten.« Nachdenklich fuhr er fort: »Aber ganz unter uns, Banken reagieren immer nur auf sozialen Wandel, anstatt sich schon vorher darauf einzustellen. Sämtliche Probleme, die uns jetzt direkt berühren - Umwelt, Ökologie, Energie, die Minderheiten -, gibt es schon seit langem. Was auf diesen Gebieten geschehen ist und sich direkt auf uns ausgewirkt hat, das hätte man im voraus erkennen können. Wir Banker könnten richtungsweisend sein. Statt dessen hinken wir hinterher und rühren uns nur, wenn wir gestoßen werden.«

»Warum bleibst du dann Banker?«

»Weil es wichtig ist. Was wir tun, ist der Mühe wert, und ob wir nun freiwillig mit der Zeit gehen oder nicht, wir sind Profis und werden gebraucht. Das Geldsystem ist so gewaltig angewachsen, so kompliziert und vielschichtig geworden, daß nur Banken damit umgehen können.«

»Was ihr also am dringendsten braucht, ist gelegentlich ein tüchtiger Knuff. Ist das richtig?«

Er sah sie gespannt an, und seine Neugier regte sich wieder. »Irgend etwas brütest du in deinem vertrackten kleinen Hexenverstand aus.«

»Ich gebe nichts zu.«

»Was es auch sein mag, ich hoffe nur, es hat nichts mit Zahlschloß-Toiletten zu tun.«

»O Gott, nein!«

Beide mußten laut lachen, als sie sich daran erinnerten, was vor einem Jahr passiert war. Es war einer der siegreichen Kämpfe gewesen, die Margot ausgefochten hatte, und dieser Kampf hatte größtes Aufsehen erregt.

Dir Gegner war damals der Flughafen-Ausschuß der Stadt gewesen, der seinen mehreren hundert Hausmeistern, Pförtnern und Putzfrauen sehr viel geringeren Lohn zahlte, als ortsüblich war. Die Gewerkschaft der betroffenen Arbeiter war korrupt, hatte sich unter der Hand und nicht zu ihrem Schaden mit dem Ausschuß geeinigt und dachte nicht daran, den Mitgliedern bei ihrem Lohnkampf zu helfen. Verzweifelt hatte sich eine Gruppe der Flughafen-Arbeiter an Margot gewandt, die gerade dabei war, sich einen Ruf in solchen Angelegenheiten zu schaffen.

Ein frontaler Vorstoß Margots beim Ausschuß trug ihr nur eine kalte Zurückweisung ein. Sie gelangte deshalb zu dem Schluß, daß die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt werden müsse und man das unter anderem dadurch erreichen könne, indem man den Flughafen und seine Herrscher lächerlich machte. Als Teil ihrer Vorbereitungen veranstaltete sie mit Hilfe mehrerer Sympathisanten, die sie schon bei früheren Anlässen unterstützt hatten, eine gründliche Betriebsstudie des großen, stark frequentierten Flughafens an einem besonders verkehrsreichen Abend.

Ein Faktor, der in der Studie vermerkt wurde, betraf die Beobachtung, daß die Passagiere von Abendmaschinen, denen während des Fluges Abendessen und Getränke serviert worden waren, beinahe geschlossen sofort nach der Landung die Toiletten des Flughafens zu stürmen pflegten, so daß mehrere Stunden lang ein Maximalbedarf an diesen Anstalten herrschte.

Am nächsten Freitagabend, zur Zeit des besonders starken Luftverkehrs, erschienen mehrere hundert Freiwillige, in erster Linie dienstfreie Pförtner und Putzfrauen, unter Margots Führung auf dem Flughafen. Von diesem Augenblick an bis zu dem sehr viel später liegenden Zeitpunkt, als sie abrückten, verhielten sie sich sämtlich ruhig, ordentlich und streng gesetzestreu.

Ihre Aufgabe war es, ohne Pause den ganzen Abend lang jede einzelne öffentliche Toilette des ganzen Flughafens zu besetzen. Und das taten sie. Margot und ihre Helfer hatten einen detaillierten Plan aufgestellt, und die Freiwilligen begaben sich zu den ihnen angewiesenen Örtlichkeiten, wo sie eine 10-Cent-Münze in den Schlitz steckten und sich niederließen, versorgt mit reichlicher Lektüre, Kofferradios und auch Proviant, den viele sich mitgebracht hatten. Einige Frauen hatten sogar Handarbeiten in Körbchen dabei. Es war die Ultima ratio auf dem Gebiete des legalen Sit-in.

In den Herrentoiletten bildeten andere Freiwillige lange Schlangen vor den Pissoirs, und jede der zu hinhaltender Taktik entschlossenen Schlangen rückte mit entsetzlicher Langsamkeit vor. Gesellte sich ein nicht zum Komplott Gehörender zu den Wartenden, so verging eine Stunde, bis er die Spitze der Schlange erreicht hatte. Nur wenige hielten so lange aus.

Ein ambulantes Aufklärungskommando informierte jeden, der zuhören wollte, über Natur und Ursache des Geschehens.

Im Nu herrschte auf dem Flughafen ein Chaos. Hunderte von ergrimmten und gepeinigten Passagieren beschwerten sich bitterlich und hitzig bei den Fluggesellschaften, die ihrerseits die Flughafenverwaltung bestürmten. Diese aber zeigte sich ratlos und außerstande, Abhilfe zu schaffen. Andere Beobachter, die weder beteiligt waren noch sich in Leibesnöten befanden, erklärten die ganze Sache für eine Mordsgaudi. Gleichgültig und innerlich unbeteiligt blieb keiner.

Die Reporter der Nachrichtenmedien, die von Margot im voraus einen Tip bekommen hatten, waren in Bataillonsstärke zur Stelle. Journalisten wetteiferten darin, Reportagen zu schreiben, die von den Nachrichtenagenturen über die gesamte Nation verbreitet, dann international aufgegriffen und von so gegensätzlichen Publikationsorganen wie der »Iswestija«, dem Johannesburger »Star« und der Londoner »The Times« gedruckt wurden. Am nächsten Tag lachte die ganze Welt.

In den meisten Berichten erschien der Name Margot Bracken an prominenter Stelle. Es gab Andeutungen, daß weitere »Sit-ins« folgen würden.

Margots Rechnung, daß die Lächerlichkeit eine der schärfsten Waffen in jedem Arsenal ist, ging auf. Am Wochenende erklärte sich der Flughafen-Ausschuß zu Verhandlungen über die Lohnzahlungen an Pförtner, Hausmeister und Putzfrauen bereit, und wenig später wurden die Löhne heraufgesetzt. Ein weiteres Ergebnis bestand darin, daß die korrupte Gewerkschaft abgewählt wurde und eine pflichtbewußtere an ihre Stelle trat.

Jetzt rekelte Margot sich, rückte näher an Alex heran und murmelte dann: »Was war das für ein Verstand, den ich deiner Meinung nach habe?«

»Ein vertrackter Hexenverstand.«

»Ist das was Schlimmes? Oder was Gutes?«

»Für mich ist es gut. Erfrischend. Und meistens gefallen mir auch die Ziele, für die du kämpfst.«

»Aber nicht immer?«

»Nein, nicht immer.«

»Manchmal bewirken die Dinge, die ich tue, Feindschaft und Widerspruch. Und nicht zu knapp. Nehmen wir mal an, ich habe mich wegen einer Sache mißliebig gemacht, von der du nichts hältst, die dir vielleicht sogar lebhaft gegen den Strich geht. Nehmen wir mal an, unsere Namen würden bei so einem Anlaß in einem Atemzug genannt, wenn du ganz und gar nicht meiner Meinung bist und mit mir auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden willst?«

»Na, ich werd's ertragen müssen. Außerdem habe ich das Recht auf ein Privatleben, ebenso wie du.«

»Und wie jede Frau«, stellte Margot fest. »Aber manchmal frage ich mich, ob du es wirklich ertragen könntest. Das heißt, wenn wir für immer zusammen wären. Ich werde mich nämlich nicht ändern; das mußt du von vornherein begreifen, Alex. Meine Unabhängigkeit könnte ich nicht aufgeben, und ich könnte auch nicht darauf verzichten, Initiativen zu ergreifen, wann immer ich will.«