Es war ein Trost, dachte Edwina, sich auf Wainwrights Zuverlässigkeit und Vernunft stützen zu können. Als er den Hörer wieder auflegte, schoß ihr ein Gedanke durch den Kopf, »Irgend jemand hat davon geredet, die Polizei zu rufen«, sagte sie.
»Die waren schon da, als ich kam, und ich habe sie wieder weggeschickt. Die sind im Nu wieder zur Stelle, wenn wir sie brauchen. Ich hoffe nicht, daß es dazu kommt.« Er zeigte auf das Telefon und dann hinüber zum Tower der Zentrale. »Die Chefetage weiß schon Bescheid. Die drücken da auf sämtliche Alarmknöpfe.«
»Sie sollten lieber versuchen, die Mittel für Forum East wieder bereitzustellen.«
Zum erstenmal seit seiner Ankunft glitt ein kurzes Lächeln über Wainwrights Gesicht. »Das fände ich auch gut. Aber so erreicht man das nicht, und wo es um das Geld der Bank geht, wird Druck von außen nichts ändern.«
Edwina wollte gerade sagen: »Wer weiß«, aber dann besann sie sich anders und schwieg.
Sie betrachteten wieder die Szene und stellten fest, daß die Menschenmenge, die die Schalterhalle der Bank mit Beschlag belegt hatte, unvermindert groß war; der Lärm war eher noch ein wenig angeschwollen.
Draußen wurde die Schlange immer länger, sie wich und wankte nicht.
Es war jetzt 9.45 Uhr.
4
Ebenfalls um 9.45 Uhr und drei Straßenblocks von der Zentrale der First Mercantile American entfernt, betrieb Margot Bracken einen Befehlsstand von einem unauffällig geparkten Volkswagen aus.
Margot hatte sich von der Ausführung ihrer Strategie, die Bank unter Druck zu setzen, fernhalten wollen, aber das war dann doch nicht möglich gewesen. Wie ein Schlachtroß, das bei der Witterung von Pulverdampf ungeduldig den Boden scharrt, war sie in ihrem Entschluß wankend geworden und hatte ihn schließlich ganz aufgegeben.
Aber sie wollte nach wie vor vermeiden, Alex oder Edwina in Verlegenheit zu bringen, und deshalb hielt sie sich wenigstens von der vordersten Front des Geschehens auf der Rosselli Plaza fern.
Erschiene sie dort, würden die Reporter sie sofort erkennen, und daß die Presse zugegen war, wußte Margot nur zu genau, da sie selbst dafür gesorgt hatte, daß Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk benachrichtigt wurden.
Deshalb trugen ihr Kuriere diskret Meldungen über die Frontlage zu und brachten ebenso diskret Instruktionen zurück.
Seit Donnerstag abend war ein erhebliches Maß an Organisationsarbeit geleistet worden.
Während Margot am Freitag den Generalplan ausarbeitete, rekrutierten Seth, Deacon und mehrere Komitee-Mitglieder in Forum East und Umgebung Blockwarte. Sie erklärten nur in ungefähren Umrissen, was getan werden sollte, aber sie fanden ein geradezu überwältigendes Echo. Fast jeder, den sie ansprachen, wollte selbst ein Stück Arbeit übernehmen und kannte andere, auf die man sich verlassen konnte.
Als am Sonntag abend die Listen aufaddiert wurden, standen schon fünfzehnhundert Namen fest. Weitere kamen ununterbrochen hinzu. Nach Margots Plan würde es möglich sein, die Aktion mindestens eine Woche lang in Gang zu halten und womöglich noch länger, wenn es gelang, die Begeisterung immer wieder neu anzufachen.
Unter den Männern, die in einem festen Arbeitsverhältnis standen, gab es viele, denen noch Urlaubstage zustanden; sie waren bereit, diesen Urlaub dafür zu opfern. Andere sagten, sie würden notfalls unbezahlten Urlaub nehmen oder ganz einfach blaumachen. Viele Freiwillige waren bedauerlicherweise arbeitslos; saisonbedingte Arbeitslosigkeit hatte ihre Zahl anschwellen lassen.
Aber die Frauen herrschten an Zahl vor, teils, weil sie tagsüber eher Zeit erübrigen konnten, aber auch deshalb, weil Forum East ihnen - mehr noch als den Männern - zu einem Leuchtturm der Hoffnung in ihrem Leben geworden war.
Margot wußte das, sowohl von ihrer Organisationsarbeit her als auch aus den Berichten, die sie an diesem Morgen bekam.
Die bisher eingetroffenen Meldungen waren höchst zufriedenstellend.
Margot hatte darauf bestanden, daß jedes einzelne Mitglied des Forum East-Kontingents freundlich, höflich und betont hilfsbereit auftreten solle, insbesondere bei jedem direkten Kontakt mit Vertretern der Bank. Damit unterstrichen sie das Wort vom »Akt der Hoffnung«, das Margot geprägt hatte, und dokumentierten, daß hier eine Gruppe interessierter Bürger -wenn auch mit begrenzten Mitteln - der »in finanzielle Notlage« geratenen FMA zur »Hilfe« eilte.
Sie ging von der Vermutung aus, daß jeder Hinweis, die First Mercantile American könne sich so oder so in einer Notlage befinden, einen höchst empfindlichen Nerv treffen würde.
Der Zusammenhang mit Forum East sollte keineswegs vertuscht werden, doch durften direkte Drohungen nicht ausgesprochen werden - zum Beispiel, daß die Lähmung der großen Bank andauern werde, bis die Baufinanzierung im alten Umfang wiederaufgenommen würde. Margot hatte Seth Orinda und den anderen eingeschärft: »Diesen Schluß soll die Bank selber ziehen.«
In Einweisungsgesprächen hatte sie immer wieder auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß jeder Anschein einer Drohung, Nötigung oder Einschüchterung vermieden werden müsse. Die Teilnehmer an diesen Gesprächen machten Notizen und gaben sie an andere weiter.
Ebenfalls weitergegeben wurden Listen mit Fragen, die gestellt werden sollten, während die Konten eröffnet wurden. Auch diese Listen hatte Margot ausgearbeitet. Es gab Hunderte von legitimen Fragen, die jeder, der mit einer Bank zu tun hatte, vernünftigerweise stellen konnte, auch wenn die meisten Bankkunden darauf verzichteten. Sie würden den nützlichen Nebeneffekt haben, daß die Bankgeschäfte praktisch zum Stillstand kamen.
Falls die Gelegenheit sich ergab, sollte Seth Orinda als Sprecher auftreten. Margots Drehbuch bedurfte nicht vieler Proben. Orinda begriff schnell.
Deacon Euphrates hatte den Auftrag, ganz vorn in der Schlange zu stehen und als erster ein neues Konto zu eröffnen.
Was übrigens den Namen Deacon anging, so wußte niemand, ob es sein Taufname war oder der von einer der religiösen Sekten, die es in dem Viertel reichlich gab, verliehene Titel »Diakon«. Deacon hatte es in der vorbereitenden Generalstabsarbeit übernommen, den Freiwilligen zu erklären, wann sie wohin gehen sollten. Er hatte mit einer ganzen Armee von Helfern gearbeitet, die in alle Richtungen ausgeschwärmt waren.
Für den Beginn, für Mittwoch morgen, war es wesentlich, daß ein Massenandrang einsetzte, um einen möglichst nachhaltigen Eindruck zu machen. Aber einige der Teilnehmer mußten von Zeit zu Zeit abgelöst werden. Andere, die noch nicht aufgetreten waren, hielten sich für die Mittags- und Nachmittagsstunden oder für die nächsten Tage bereit.
Um den reibungslosen Ablauf zu garantieren, war ein Nachrichtensystem improvisiert worden, das sich die Telefonzellen der Umgebung zunutze machte und das von anderen Helfern im Straßendienst betrieben wurde. Schon jetzt funktionierte die Kommunikation recht gut, von einigen Schwächen abgesehen, wie sie in einem kurzfristig angesetzten und improvisierten System unvermeidlich sind.
Berichte über alle diese Details fanden ihren Weg zu Margot, die sich auf dem Rücksitz ihres Volkswagens eingerichtet hatte. Sie wurde laufend über die Zahl der Wartenden in der Schlange informiert, über die Zeit, die die Bank für die Eröffnung jedes neuen Kontos benötigte, und über die Anzahl der Schreibtische, an denen die Anträge bearbeitet wurden. Sie hatte auch ein klares Bild von dem ungeheuren Gedränge in der Schalterhalle gewonnen und wußte über die Gespräche zwischen Seth Orinda und den Bankbeamten Bescheid.
Margot stellte Berechnungen an, dann wandte sie sich dem zuletzt eingetroffenen Kurier zu, einem schlaksigen Burschen, der jetzt auf dem vorderen Beifahrersitz des Wagens wartete: »Sagen Sie Deacon, daß er vorläufig keine neuen Freiwilligen mehr hinzuziehen soll; es sieht so aus, als reichten die Leute für heute. Lassen Sie einige von den noch Draußenstehenden vorübergehend ablösen, aber nicht mehr als höchstens fünfzig zur Zeit. Erinnern Sie sie aber daran, daß sie rechtzeitig zurück sein müssen, um sich ihren Lunch abzuholen. Und was das Essen betrifft: Daß mir niemand Papier oder Abfälle auf die Rosselli Plaza wirft und Speisen oder Getränke mit in die Bank nimmt!«