Das Thema Essen erinnerte Margot daran, daß die Geldfrage Anfang der Woche kein geringes Problem gewesen war.
Am Montag war aus den Berichten, die laufend von Deacon Euphrates eintrafen, deutlich geworden, daß viele Freiwillige keine fünf Dollar erübrigen konnten - die Mindestsumme, die man brauchte, um ein Konto bei der FMA zu eröffnen. Der Mieterverband von Forum East hatte praktisch kein Geld. Eine Zeitlang sah es so aus, als sollte das Projekt scheitern.
Dann führte Margot ein Telefongespräch. Sie führte es mit einer Gewerkschaft - dem Amerikanischen Verband der Angestellten, Kassierer und Kontoristen, der jetzt die Interessen der Hausmeister, Pförtner und Putzfrauen vom Flughafen vertrat, denen sie vor einem Jahr geholfen hatte.
Ob die Gewerkschaft mit einem Darlehen aushelfen könne -genug, um jedem Freiwilligen, der selbst nicht so viel flüssig hatte, fünf Dollar in bar zu geben? Die Gewerkschaftsführer beriefen eilig eine Sondersitzung ein. Die Gewerkschaft stimmte zu.
Am Dienstag halfen Angestellte der Gewerkschaftszentrale Deacon Euphrates und Seth Orinda bei der Verteilung des Geldes. Alle Beteiligten waren sich darüber im klaren, daß ein Teil nie zurückgezahlt werden würde, daß andere Fünf-DollarDarlehen schon am Dienstag abend ausgegeben, die ursprünglichen Zwecke und Ziele vergessen oder ignoriert sein würden. Aber sie glaubten, daß der größte Teil des Geldes doch für den beabsichtigten Zweck verwendet würde. Nach den Erfahrungen dieses Morgens zu urteilen, hatten sie sich nicht getäuscht.
Die Gewerkschaft hatte auch angeboten, den Lunch zu organisieren und zu finanzieren. Das Angebot wurde angenommen. Margot hatte den Eindruck, daß die Gewerkschaft dabei auch an ihre eigenen Interessen dachte, kam aber zu dem Schluß, daß diese Interessen nicht mit den Zielen von Forum East kollidierten und sie deshalb nichts angingen.
Sie fuhr mit ihren Instruktionen für den zuletzt eingetroffenen Kurier fort. »Die Schlange muß bleiben, bis die Bank um drei Uhr schließt.«
Es war durchaus möglich, dachte sie, daß die Nachrichtenmedien in der letzten Minute vor dem ersten Redaktionsschluß noch ein paar aktuelle Fotos machen wollten, deshalb war es wichtig, für den Rest dieses Tages anschaulich Stärke zu demonstrieren.
Die Pläne für morgen konnten heute am späten Abend aufeinander abgestimmt werden. Im wesentlichen würde es sich um eine Wiederholung der bisher geübten Taktik handeln.
Glücklicherweise war das Wetter günstig - ungewöhnlich milde Temperaturen bei vorwiegend klarem Himmel. Die Voraussagen für die nächsten Tage schienen gut zu sein.
»Und betonen Sie immer wieder«, schärfte Margot eine halbe Stunde später einem anderen Kurier ein, »daß jeder von uns freundlich, freundlich und noch einmal freundlich aufzutreten hat. Auch wenn die Leute von der Bank rüde werden oder ungeduldig - wir antworten mit einem Lächeln.«
Um 11.45 Uhr erschien Seth bei Margot und erstattete persönlich Bericht. Breit lächelnd hielt er ihr die Frühausgabe einer Nachmittagszeitung hin.
»Donnerwetter!« Margot breitete die erste Seite vor sich aus.
Die Ereignisse vor und in der Bank nahmen fast den gesamten vorhandenen Platz ein. Die Berichterstattung war viel ausführlicher, als sie zu hoffen gewagt hatte.
Die Hauptschlagzeile lautete:
GROSSBANK LAHMGELEGT DURCH FORUM EAST-BEWOHNER
Und darunter hieß es:
Ist die First Merc American in Schwierigkeiten?
Viele wollen ihr »helfen« mit kleinen Spar-Einlagen
Es folgten Fotos und eine zweispaltige Reportage mit Autorenzeile.
»Meine Güte«, stöhnte Margot begeistert. »Das wird die FMA-Leute aber freuen!«
Sie freuten sich überhaupt nicht.
Am frühen Nachmittag fand in der Präsidenten-Suite im 36. Stock des Towers der Zentrale der First Mercantile American eine hastig einberufene Konferenz statt.
Jerome Patterton und Roscoe Heyward waren da, beide mit grimmigem Gesicht. Alex Vandervoort gesellte sich zu ihnen. Auch er war ernst, doch wirkte Alex, je weiter die Diskussion voranschritt, weniger engagiert als die anderen; er machte einen eher nachdenklichen Eindruck, und ein- oder zweimal schien er tatsächlich belustigt zu sein. Der vierte Teilnehmer war Tom Straughan, der junge und emsige Chef-Volkswirtschaftler der Bank; der fünfte war Dick French, Vizepräsident für Public Relations.
Mit vorgeschobener Kinnlade, auf einer nicht angesteckten Zigarre kauend, war der bullige French hereinmarschiert, mit einem Bündel der Nachmittagszeitungen unter dem Arm, die er jetzt vor den anderen auf den Tisch knallte.
Jerome Patterton, der an seinem Schreibtisch saß, breitete eine Zeitung aus. Als er die Worte las: »Ist die First Merc American in Schwierigkeiten?«, platzte es aus ihm heraus: »Das ist ja eine Unverschämtheit! Die Zeitung müssen wir verklagen!«
»Da gibt es nichts zu verklagen«, sagte French mit gewohnt barscher Deutlichkeit. »Die Zeitung hat es nicht als Tatsache behauptet. Sie stellt nur eine Frage, und diese Frage taucht an anderer Stelle im Text als wörtliches Zitat auf. Zitiert wird ein Dritter. Und die ursprüngliche Aussage ist nicht als geschäftsschädigend anzusehen.« Wie er da stand, die Hände auf dem Rücken, mit der Zigarre zwischen den Zähnen, daß sie ihm wie ein anklagender Torpedo aus dem Gesicht ragte, wirkte er ziemlich uninteressiert.
Patterton lief dunkelrot an.
»Natürlich ist es geschäftsschädigend«, fauchte Roscoe Heyward. Er hatte bisher am Fenster gestanden und sich jetzt mit einem Ruck den andern vier wieder zugewandt. »Das ganze Manöver ist Geschäftsschädigung reinsten Wassers. Das sieht der Dümmste.«
French seufzte. »Na gut, dann muß ich eben deutlicher werden. Ich weiß nicht, wer dahintersteckt, aber ich weiß, daß derjenige etwas vom Gesetz und von Public Relations versteht. Das Manöver, wie Sie es nennen, ist sehr geschickt als Akt freundlicher Hilfsbereitschaft gegenüber dieser Bank aufgezogen. Okay, wir hier wissen, daß es das nicht ist; aber das werden Sie nie und nimmer beweisen. Ich schlage deshalb vor, daß wir keine Zeit mehr damit verschwenden, darüber zu reden.«
Er nahm eine der Zeitungen in die Hand und breitete die erste Seite aus. »Ich beziehe hier mein fürstliches Gehalt, weil ich Experte für Nachrichten- und Medienangelegenheiten bin. In diesem Augenblick sagt mir meine Erfahrung, daß diese Story, die in fairem Ton gehalten ist, ob Ihnen das nun schmeckt oder nicht, von jeder Nachrichtenagentur im ganzen Land über Ticker ausgespuckt wird und daß die Zeitungen sie drucken werden. Warum? Weil es eine David-und-Goliath-Geschichte ist, die überall menschliche Anteilnahme erregen wird.«
Tom Straughan, der neben Vandervoort saß, sagte ruhig: »Das kann ich bestätigen. Die Geschichte ist über den Dow JonesNachrichtenticker gelaufen, und gleich danach ist unser Kurs um einen weiteren Punkt abgesackt.«
»Noch eins«, fuhr Dick French fort, als wäre er überhaupt nicht unterbrochen worden, »wir können uns innerlich schon auf die Fernsehnachrichten von heute abend gefaßt machen. Die Regionalsender werden sich auf die Sache stürzen, und mein Riecher sagt mir, daß wir auch in den drei großen überregionalen Fernsehprogrammen vorkommen werden. Und wenn ein Texter sich das Wort von der >Bank in Schwierigkeiten< verkneifen kann, dann freß' ich meine Bildröhre.«