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Am Seiteneingang des Gebäudes kramte sie in ihrer braunen Gucci-Handtasche nach dem Schlüssel; sie fand ihn unter einem Sammelsurium von Lippenstift, Brieftasche, Kreditkarten, Puderdose, Kamm, einer Einkaufsliste und anderem Krimskrams. Entgegen ihrer sonstigen Art herrschte in ihrer Handtasche stets ein heilloses Durcheinander. Bevor sie den Schlüssel ins Schloß steckte, suchte sie das Signal »Kein Überfall«. Es war da, wo es hingehörte - eine kleine gelbe Karte, unauffällig in ein Fenster gestellt. Diese Karte einige Minuten vor dem Eintreffen des Diensthabenden dort aufzustellen war Aufgabe eines Pförtners, der täglich als erster die große Filiale zu betreten hatte. War drinnen alles in Ordnung, stellte er das Signal dort auf, wo es für die nach und nach eintreffenden Angestellten zu sehen war. Waren aber Bankräuber in der Nacht eingebrochen, die jetzt darauf lauerten, Geiseln nehmen zu können - als ersten natürlich den Pförtner -, so konnte er kein Signal aufstellen, und das Fehlen des Zeichens wurde zur Warnung. Der Diensthabende und die Angestellten, die später kamen, würden die Bank selbstverständlich nicht betreten und sofort Hilfe holen.

Wegen der zunehmenden Zahl von Raubüberfällen jeder Art waren jetzt die meisten Banken zum System des ÜberfallSignals übergegangen. Art und Aufstellung des vereinbarten Zeichens wechselten so häufig wie möglich.

Nach Betreten der Bank begab sich Edwina als erstes zu einem in Scharnieren hängenden Brett der Wandtäfelung und klappte es auf. Sichtbar wurde ein Knopf, auf den sie drückte -zweimal lang, dreimal kurz, einmal lang. Für den Sicherheitsdienst drüben im Tower der Zentrale hieß das, daß der beim Eintritt Edwinas ausgelöste Türalarm ignoriert werden konnte und daß sich jemand in der Bank befand, der dazu befugt war. Ebenso hatte der Pförtner nach seinem Eintritt seinen eigenen Sicherheitscode gemorst.

Das Einsatzkommando des bankeigenen Sicherheitsdienstes, das ähnliche Signale aus anderen FMA-Filialen erhielt, schaltete jetzt das Alarmsystem des Gebäudes von »Alarm« auf »Bereitschaft«.

Hätte Edwina als Diensthabende oder der Pförtner es versäumt, ihren Klingelcode zu morsen, hätte der Sicherheitsdienst sofort die Polizei alarmiert. In Minutenfrist wäre die Filiale umstellt gewesen.

Die Codezeichen wurden, wie bei allen Sicherheitssystemen üblich, oft gewechselt.

In immer stärker werdendem Maße waren überall die Banken dazu übergegangen, sich auf positive Signale zu verlassen, wenn alles sicher und in Ordnung war, und auf das Ausbleiben von Signalen im umgekehrten Fall. Auf diese Art konnten als Geiseln festgehaltene Bankangestellte die höchste Alarmstufe auslösen, indem sie ganz einfach gar nichts taten.

Nach und nach trafen andere Abteilungsleiter und Angestellte ein, die von dem uniformierten Pförtner, der sich am Nebeneingang aufgestellt hatte, kontrolliert wurden.

»Guten Morgen, Mrs. D'Orsey.« Ein weißhaariger Mann namens Tottenhoe, der seit Jahrzehnten in Diensten der Bank stand, gesellte sich zu Edwina. Er war der Innenleiter, zuständig für Personalfragen und den routinemäßigen Arbeitsablauf. Mit seinem langen, kummervollen Gesicht sah er aus wie ein uraltes Känguruh. Seine übliche Niedergeschlagenheit und pessimistische Lebenseinstellung waren mit Herannahen seines Pensionsalters noch spürbarer geworden. Er empfand sein Alter als Affront und schien andere dafür verantwortlich zu machen. Edwina und Tottenhoe durchquerten gemeinsam die Schalterhalle und gingen eine breite, mit Läufern ausgelegte Treppe hinunter zum Tresorraum. Zu den Pflichten des Diensthabenden gehörte es, das Öffnen und Schließen der Tresoranlage zu überwachen.

Während sie an der Panzertür auf das Ablaufen des Zeitschlosses warteten, sagte Tottenhoe mit düsterer Miene: »Es gibt da ein Gerücht, daß Mr. Rosselli bald sterben wird. Stimmt das?«

»Ich fürchte, ja.« Sie erzählte ihm in aller Kürze vom Verlauf der Versammlung.

Am Vorabend, zu Hause, hatte Edwina kaum an etwas anderes gedacht, aber an diesem Morgen hatte sie sich fest vorgenommen, sich auf die Arbeit und die Angelegenheiten der Bank zu konzentrieren. Das, und nichts anderes, würde Ben von ihr erwarten.

Tottenhoe brummte irgend etwas vor sich hin, was sie nicht verstand.

Edwina warf einen prüfenden Blick auf ihre Armbanduhr. 8.40 Uhr. Sekunden später überzeugte sie ein schwaches Klicken im Inneren der massiven Chromstahltür, daß sich die am Vorabend vor dem endgültigen Verschließen der Bank eingestellte und über Nacht laufende Uhr im Zeitschloß abgeschaltet hatte. Jetzt konnten die Kombinationsschlösser geöffnet werden. Das war bis zu diesem Augenblick nicht möglich gewesen.

Edwina betätigte einen anderen, ebenfalls verborgenen Signalknopf und teilte damit dem Kontrollraum mit, daß sie im Begriffe sei, den Tresorraum zu öffnen - und zwar unter normalen Umständen, nicht unter Zwang.

Nebeneinander vor der Tür stehend, stellten Edwina und Tottenhoe jetzt mit flinken Fingern ihre Kombinationen ein. Keiner kannte die Kombinationseinstellung des anderen; also hätte keiner von ihnen den Tresorraum allein öffnen können.

Einer der Assistenten Tottenhoes, Miles Eastin, war inzwischen eingetroffen. Der junge gutaussehende, gepflegte Mann war immer fröhlich und gut aufgelegt - in wohltuendem Gegensatz zu Tottenhoes ewig gleichbleibender Leichenbittermiene. Edwina mochte Eastin gern. Er wurde von einem Kassierer begleitet, der den ganzen Tag lang alles Geld kontrollierte, das im Tresorraum eintraf oder ihn verließ. Allein an Bargeld würde er während der nun beginnenden sechs Kassenstunden fast eine Million Dollar in Noten und Münzen zu kontrollieren haben.

Die Schecks, die während des gleichen Zeitabschnitts die große Bankfiliale passierten, würden einen Wert von weiteren zwanzig Millionen Dollar darstellen.

Edwina trat zurück, und zusammen schwenkten der Kassierer und Miles Eastin die gewaltige Präzisionstür auf. Bis zum Geschäftsschluß am Abend würde diese Stahltür nun offenbleiben.

»Ich habe gerade einen Anruf erhalten«, sagte Eastin zu dem Innenleiter. »Zwei weitere Kassierer fallen heute aus.«

Tottenhoes melancholische Miene wurde noch melancholischer.

»Grippe?« fragte Edwina.

Die in den letzten zehn Tagen in der Stadt herrschende Grippe-Epidemie hatte in der Bank zu akutem Personalmangel geführt. Besonders an Kassierern fehlte es.

»Grippe«, bestätigte Miles Eastin.

»Ich wünschte, mich würd's endlich auch erwischen, dann könnte ich nach Hause gehen, mich ins Bett legen und es einem anderen überlassen, sich den Kopf über die Schalterbesetzung zu zerbrechen«, brummte Tottenhoe. Dann fragte er Edwina: »Sollen wir überhaupt heute öffnen?«

»Es wird uns wohl gar nichts anderes übrigbleiben.«

»Dann müssen eben ein paar von den höheren Angestellten aushelfen. Und Sie sind der erste«, sagte er zu Miles Eastin. »Los, greifen Sie sich einen Kassenwagen und machen Sie sich bereit für die Kundschaft. Können Sie noch zählen?«

»Bis zwanzig schaff ich's noch«, sagte Eastin. »Solange ich mir bei der Arbeit die Socken ausziehen darf.«

Edwina lächelte. Um Eastin machte sie sich keine Sorgen; was der anfaßte, das klappte. Nach Tottenhoes Pensionierung im nächsten Jahr würde sie höchstwahrscheinlich Miles Eastin für den Posten vorschlagen.

Er erwiderte das Lächeln. »Keine Angst, Mrs. D'Orsey. Ich bin ein ziemlich guter Libero. Außerdem habe ich gestern abend drei Stunden lang Handball gespielt und dabei ganz allein Buch über die Tore geführt.«

»Haben Sie denn gewonnen?«

»Wenn ich die Tore selbst notiere? Na klar.«