Auch das stimmte, wie Alex sehr wohl wußte. Ihn überfiel die Versuchung, das Angebot anzunehmen, eine Komplikation -sauber und schnell - aus seinem Leben zu verbannen, eine Komplikation, die im Laufe der Jahre größer und nicht geringer werden würde. Und wieder fragte er sich: Warum trafen so viele Probleme und Sorgen zusammen - die Verschlechterung in Celias Zustand; Ben Rossellis Tod; die Auseinandersetzungen in der Bank; die unverdienten Angriffe vom Vormittag. Und jetzt Margot und die Entscheidung, vor die sie ihn stellte. Warum?
Die Frage erinnerte ihn an etwas, das sich vor Jahren ereignet hatte, als er einmal auf der Durchreise in Vancouver gewesen war. Eine junge Frau war aus einem Hotelzimmer im vierundzwanzigsten Stock in den Tod gesprungen, und vor dem Sprung hatte sie mit Lippenstift auf das Fensterglas geschrieben: Warum, warum nur? Alex hatte sie nicht gekannt, er hatte auch nie erfahren, was das für Probleme waren, die sie für so unlösbar gehalten hatte. Aber sein Zimmer hatte sich im selben Stockwerk des Hotels befunden, und ein redseliger Direktionsassistent hatte ihm die traurige Lippenstift-Inschrift auf dem Fenster gezeigt. Die Erinnerung daran war nie in ihm erloschen.
Warum, warum nur treffen wir solche Entscheidungen in unserem Leben? Oder warum trifft das Leben sie für uns? Warum hatte er Celia geheiratet? Warum mußte sie geisteskrank werden? Warum schreckte er noch immer vor der Katharsis der Scheidung zurück? Warum mußte Margot ausgerechnet eine Aktivistin sein? Wie konnte er jetzt ernstlich erwägen, Margot zu verlieren? Wieviel lag ihm eigentlich daran, Präsident der FMA zu werden?
Soviel nicht!
Energisch riß er sich zusammen und schüttelte seinen Trübsinn ab. Zum Teufel damit! Weder für die FMA noch für sämtliche Positionen der Welt, nicht einmal für seinen eigenen persönlichen Ehrgeiz würde er jemals seine private Handlungsfreiheit und seine Unabhängigkeit aufgeben. Oder auf Margot verzichten.
»Die viel wichtigere Frage ist«, sagte er zu ihr, »willst du, daß wir es so halten, wie du eben gesagt hast - willst du den »vernünftigen Schluß<?«
»Natürlich nicht«, sagte Margot mit Tränen in der Stimme.
»Dann will ich es auch nicht, Bracken. Dann werde ich es auch nie wollen. Seien wir also froh, daß es passiert ist, daß wir erkannt haben, ein für allemal, was wir in Wahrheit wollen.«
Als er diesmal seine Arme ausstreckte, wich sie nicht zurück.
6
»Roscoe, mein Junge«, sagte The Hon. Harold Austin, und selbst am Telefon merkte man es seiner Stimme an, daß er selbstzufrieden strahlte. »Ich habe mit Big George gesprochen. Er lädt Sie und mich zum Golf auf die Bahamas ein - nächsten Freitag.«
Roscoe Heyward schob nachdenklich die Lippen vor. Er war zu Hause an diesem Samstagnachmittag im März, und er saß im Arbeitszimmer seines Hauses in Shaker Heights. Als das Telefon läutete, hatte er eine Mappe mit Jahresberichten durchgesehen. Andere Papiere lagen rings um seinen Ledersessel auf dem Fußboden ausgebreitet.
»Ich weiß nicht recht, ob ich so bald schon weg kann, und dann auch noch so weit«, sagte er zweifelnd. »Ob wir nicht versuchen sollten, eine Besprechung in New York vorzuschlagen?«
»Versuchen können wir das natürlich. Aber es wäre dumm von uns, denn Big George zieht Nassau nun einmal vor; und außerdem bespricht Big George Geschäftliches am liebsten auf einem Golfplatz - und zwar Geschäftliches von unserer Sorte, Sachen, die er sich persönlich vorbehält.«
»Big George« näher zu identifizieren, war bei beiden nicht nötig. Es gab übrigens kaum jemanden in der Industrie, im Bankgeschäft oder im öffentlichen Leben, dem man es hätte erklären müssen.
G. G. Quartermain, Direktoriumsvorsitzender und Generaldirektor der Supranational Corporation - SuNatCo -, war ein Bulle von einem Mann, mit mehr Macht hinter sich als mancher Staatschef. Er gebrauchte diese Macht wie ein König. Seine Interessen und sein Einfluß erstreckten sich über die ganze Welt wie diejenigen des Konzerns, dessen Geschicke er lenkte. In der SuNatCo selbst und auch außerhalb des Konzerns war er ein vielbewunderter, gehaßter, umschmeichelter, von allen Seiten bestürmter und gefürchteter Mann.
Seine Stärke lag in der Geschichte seiner Leistungen. Vor acht Jahren war G. G. Quartermain - wegen eines finanziellen Zauberkunststücks, das er gerade vollbracht hatte - von der damals am Boden liegenden und verschuldeten Supranational zur Hilfe gerufen worden. In diesen acht Jahren hatte er den Konzern wieder auf die Beine gestellt, ihn zu einem ans Phantastische grenzenden Koloß ausgebaut, dreimal die Aktien gesplittet und die Dividenden vervierfacht. Die Aktionäre, durch Big George zu reichen Leuten gemacht, beteten ihn an; sie ließen ihm auch jedes Maß an Handlungsfreiheit, das er sich nur wünschen konnte. Gewiß, es gab auch Kassandrarufe; er habe, so hieß es, ein Reich auf tönernen Füßen gegründet. Aber die Jahresberichte der SuNatCo und ihrer vielen Tochtergesellschaften - die Roscoe Heyward gerade studiert hatte, als The Hon. Harold anrief - straften die pessimistischen Zweifler Lügen.
Heyward war dem SuNatCo-Vorsitzenden zweimal begegnet; einmal flüchtig in einer Menschenmenge, das zweite Mal zusammen mit Harold Austin in einer Hotel-Suite in Washington, D. C.
Die Washingtoner Begegnung kam zustande, als The Hon. Harold dem SuNatCo-Vorsitzenden Quartermain über einen Auftrag berichtete, den er für Supranational ausgeführt hatte. Heyward hatte keine Ahnung, was das für ein Auftrag gewesen war - die beiden anderen hatten den Hauptteil ihres Gesprächs beendet, als er zu ihnen stieß -, er wußte nur, daß so oder so Regierungsdinge berührt waren.
Die Werbeagentur Austin warb in den gesamten Vereinigten Staaten für Hepplewhite Distillers, eine große SuNatCo-Tochter, aber The Hon. Harolds persönliche Beziehungen zu G. G. Quartermain gingen offenbar weit darüber hinaus.
Der Bericht jedenfalls schien Big George in glänzende Stimmung versetzt zu haben. Als er mit Heyward bekannt gemacht wurde, sagte er: »Harold sagt mir, daß er Direktor in Ihrer kleinen Bank ist und daß Sie beide ganz gern ein bißchen an unserem Kuchen knabbern möchten. Na, wollen mal sehen, was sich machen läßt.«
Der Oberhäuptling von Supranational hatte dann Heyward kräftig auf die Schulter geklopft und das Thema gewechselt.
Dieses Washingtoner Gespräch mit G. G. Quartermain hatte Heyward Mitte Januar - vor zwei Monaten - veranlaßt, dem finanzpolitischen Ausschuß der FMA mitzuteilen, daß man wahrscheinlich mit der SuNatCo ins Geschäft kommen werde. Später hatte er gemerkt, daß er voreilig gewesen war. Jetzt schienen sich die Aussichten wieder zu verbessern.
»Na gut«, sagte Heyward am Telefon, »vielleicht kann ich mich nächsten Donnerstag für ein, zwei Tage freimachen.«
»Das klingt schon besser«, hörte er The Hon. Harold sagen. »Ich weiß ja nicht, was Sie vorhatten, aber wichtiger für die Bank kann es unmöglich gewesen sein. Ach ja, noch etwas -Big George läßt uns von seiner Privatmaschine abholen.«
Heywards Miene hellte sich auf. »Was Sie nicht sagen. Ist die denn groß genug für einen schnellen Trip?«
»Es ist eine 707. Dachte ich mir doch, daß Ihnen das schmecken würde.« Harold Austin kicherte in sich hinein. »Wir fliegen also Donnerstag mittag hier ab, haben den ganzen Freitag auf den Bahamas und sind am Samstag wieder zurück. Übrigens, wie sehen denn die neuesten SuNatCo-Berichte aus?«