»Mit diesen Knöpfen bekommen Sie die regulären TV-Kanäle«, erklärte sie ihm, dann zeigte sie auf den Fernschreiber. »Da erhalten Sie den Dow Jones, den AP- und UPI-Dienst oder Telex. Sie brauchen nur das Flugdeck anzurufen, man wird Ihnen dann zuleiten, was Sie haben wollen.«
»Das geht alles ein wenig über das hinaus, was ich sonst gewöhnt bin«, bemerkte Heyward vorsichtig.
»Ich weiß. Das geht beinahe allen unseren Gästen so, aber man staunt, wie schnell sich jeder daran gewöhnt.« Wieder der direkte Blick, das blendende Lächeln. »Wir haben vier von diesen Privatkabinen, und jede läßt sich mühelos in ein Schlafzimmer verwandeln. Man drückt da nur ein paar Knöpfe. Wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist wohl jetzt nicht nötig.«
»Ganz wie Sie wünschen, Mr. Heyward.«
Sie klinkte ihren Gurt aus und stand auf. »Wenn Sie Mr. Austin suchen, er hat die Kabine unmittelbar hinter Ihnen. Weiter vorn ist der Hauptsalon, wo man Sie erwartet, sobald Sie bereit sind. Dann gibt es noch einen Speiseraum und Büros; dahinter befindet sich Mr. Quartermains Privatapartment.«
»Vielen Dank für die geographischen Hinweise.« Heyward nahm seine randlose Brille ab und zog ein Taschentuch heraus, um sie zu putzen.
»Ach, lassen Sie mich das bitte tun!« Sanft, aber entschieden nahm ihm Avril die Brille aus der Hand, zauberte ein rechteckiges Seidentuch hervor und polierte die Gläser. Dann setzte sie ihm die Brille wieder auf, wobei ihre Finger ganz leicht hinter seine Ohren wanderten. Heyward glaubte sich verpflichtet abzuwehren, aber er ließ es geschehen.
»Meine Aufgabe auf dieser Reise, Mr. Heyward, ist es, allein für Sie zu sorgen und darauf zu achten, daß Sie alles haben, was Sie wünschen.«
Hatte er es sich eingebildet, oder hatte das Mädchen einen leichten Akzent auf das Wort »alles« gelegt? Er rief sich scharf zur Ordnung und befahl sich selbst, dies nicht hoffen zu wollen. Stimmte seine Vermutung jedoch, so wäre die Schlußfolgerung schockierend.
»Zwei Dinge noch«, sagte Avril. Bildschön und geschmeidig war sie zur Tür geschritten, im Begriff, ihn zu verlassen. »Wenn Sie mich für irgend etwas brauchen, drücken Sie bitte die Taste Nr. sieben auf dem Telefon.«
Heyward antwortete mürrisch: »Vielen Dank, junge Dame, aber das wird wohl nicht nötig sein.«
Sie schien nicht im geringsten verlegen. »Und das zweite wäre: Auf dem Weg nach den Bahamas werden wir kurz in Washington zwischenlanden. Dort kommt der Vizepräsident an Bord.«
»Ein Vizepräsident von Supranational?«
In ihren Augen tanzten spöttische kleine Lichter. »Aber nicht doch, Sie Dummchen. Der Vizepräsident der Vereinigten Staaten.«
Ungefähr fünfzehn Minuten später wandte sich Big George Quartermain mit dröhnender Stimme an Roscoe Heyward: »Grundgütiger! Was zum Teufel trinken Sie denn da? Muttermilch?«
»Limonade.« Heyward hielt sein Glas hoch und inspizierte die fade Flüssigkeit. »Trink' ich sehr gern.«
Der Vorsitzende von Supranational zog die massigen Schultern hoch. »Jedem Süchtigen sein eigenes Gift. Kümmern die Mädchen sich um euch beide?«
»Kann mich nicht beklagen«, gluckste The Hon. Harold Austin. Wie die anderen saß er bequem zurückgelehnt in dem luxuriös eingerichteten Hauptsalon der 707; die Blonde, die verraten hatte, daß sie Rhetta hieß, lag hingekuschelt auf dem weichen Teppich zu seinen Füßen.
Avril sagte honigsüß: »Wir tun unser Bestes.« Sie stand hinter Heywards Sessel und ließ ihre Hand leicht über seinen Rücken wandern. Er fühlte, wie ihre Finger seinen Halsansatz berührten, dort einen Moment verweilten, dann weiterglitten.
G. G. Quartermain hatte wenige Minuten zuvor den Salon betreten, prächtig in einem karmesinroten Frotteemantel mit weißen Borten und oben dem unvermeidlichen »Q« groß auf der Brust. Wie ein römischer Senator war er von beflissener Dienerschaft umgeben - zur Zeit bestehend aus einem schweigsamen Mann in sportlichem Weiß mit hartem Gesicht, wahrscheinlich der Masseur, und einer weiteren Hostess in Beige; sie hatte feine japanische Gesichtszüge. Der Masseur und das Mädchen überwachten den Einzug von Big George in einen breiten, thronähnlichen Sessel, der ganz offensichtlich für ihn reserviert war. Dann zauberte eine dritte Gestalt - der Majordomus von vorhin - auf unbegreifliche Weise einen eiskalt betauten Martini herbei und ließ ihn in G. G. Quartermains wartende Hand gleiten.
Mehr noch als bei ihren früheren Begegnungen empfand Heyward den Namen »Big George« als in jeglicher Hinsicht angemessen. Physisch war ihr Gastgeber ein Berg von einem Mann - mindestens 1,95 m groß und mit der Statur eines Dorfschmiedes. Selbst sein Kopf war wuchtiger als bei den meisten anderen Männern, und seine Gesichtszüge paßten dazu - hervorstehende große Augen, dunkel und schlau und flink, der Mund breitlippig und stark, befehlsgewohnt wie der Mund eines Sergeanten der Marineinfanterie, nur daß sich Q.s Befehle auf Angelegenheiten von weit größerer Tragweite bezogen. Und es bedurfte keiner großen Menschenkenntnis, um zu erkennen, daß die zur Schau getragene Jovialität in Gedankenschnelle machtvollem Mißvergnügen Platz machen konnte.
Doch grobschlächtig wirkte er nicht; man empfand ihn auch nicht als übergewichtig oder gar fett. Unter der Frottee-Robe spannten sich Muskeln, die Gesichtshaut war von keinen Fettschichten unterlagert, und das massige Kinn zeigte keine Neigung zum Doppelkinn. Sein Bauch erschien flach und straff.
Was seine andere Größe betraf, so berichtete die Wirtschaftspresse täglich über Reichweite und Unersättlichkeit seines Konzerns. Und sein Lebensstil an Bord seines Flugzeuges, das mit zwölf Millionen Dollar zu Buche stand, war schlichtweg königlich.
Der Masseur und der Majordomus verschwanden lautlos. An ihrer Stelle erschien, wieder wie ein Charakterdarsteller auf der Bühne, ein Chefkoch - ein bleicher, sorgenbeladener, magerer Mann, makellos in Küchenweiß mit einer hohen Kochsmütze, die fast die Kabinendecke berührte. Heyward überlegte unwillkürlich, wieviel Personal wohl an Bord der Maschine sein mochte. Später erfuhr er, daß es sechzehn Personen waren.
Der Koch stand steif neben dem Sessel von Big George und bot ihm eine übergroße schwarze Ledermappe mit eingeprägtem goldenen »Q« dar. Big George ignorierte ihn.
»Der Ärger da in eurer Bank.« Quartermain wandte sich an Roscoe Heyward. »Demonstrationen. Und so 'n Zeug. Alles wieder im Lot? Seid ihr solvent?«
»Wir waren immer solvent«, antwortete Heyward. »Das hat nie zur Debatte gestanden.«
»Der Markt war anderer Meinung.«
»Seit wann ist der Aktienmarkt ein präzises Barometer - für irgendwas?«
Big George lächelte flüchtig, dann wandte er seine Aufmerksamkeit der japanischen Hostess zu. »Mondstrahl, hol mir die neueste Kursnotierung von FMA.«
»Jawohl, Misto Q«, sagte das Mädchen. Sie ging durch eine vordere Tür hinaus.
Big George nickte in die Richtung, in der sie verschwunden war. »Bricht sich bei Quartermain immer noch die Zunge ab. Nennt mich immer >Misto Q<.« Mit einem breiten Lächeln setzte er hinzu: »Kommt aber anderswo glänzend klar.«
Roscoe Heyward sagte schnelclass="underline" »Die Berichte, die Ihnen zu Ohren gekommen sind, beziehen sich auf eine Bagatelle, die maßlos übertrieben wurde. Außerdem hat sie sich in der Übergangsphase ereignet, als wir den neuen Präsidenten bekamen.«
»Aber ihr seid nicht festgeblieben«, beharrte Big George. »Ihr habt euch von Agitatoren ins Bockshorn jagen lassen, seid weich geworden und habt kapituliert.«
»Das ist richtig. Und ich will ganz offen eingestehen, daß mir diese Entscheidung gar nicht gefallen hat. Ich habe mich übrigens dagegen ausgesprochen.«
»Man muß solchen Typen die Stirn bieten! Gib ihnen Saures, den Schweinen, so oder so! Niemals den Schwanz einkneifen!« Der Vorsitzende von Supranational kippte seinen Martini hinunter, und aus dem Nichts erschien der Majordomus, nahm das leere Glas entgegen und ließ ein neues in Big Georges Hand gleiten. Das Getränk war perfekt gekühlt, wie an dem beschlagenen Glas deutlich wurde.