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Edwina kannte auch Eastins zweites Hobby. Es hatte sich schon mehrfach als nützlich für die Bank erwiesen. Er sammelte Banknoten und Münzen und hatte sich beachtliche Kenntnisse auf dem Gebiet erworben. Zu Miles Eastins Aufgaben gehörte es, neuen Angestellten der Filiale Einweisungs vorträge zu halten, und die reicherte er gern mit historischen Goldkörnern an, indem er zum Beispiel erzählte, daß der Ursprung von Papiergeld und Inflation in China zu suchen sei. Die erste in der Geschichtsschreibung verzeichnete Inflation, so erklärte er dann, habe sich im dreizehnten Jahrhundert ereignet, als der Mongolenkaiser Kublai Khan, außerstande, seinen Männern den Sold in barer Münze auszuzahlen, mittels eines hölzernen Druckstocks eine Art Kriegsgeld hergestellt hatte. Bedauerlicherweise wurde so viel gedruckt, daß es rasch wertlos wurde. »Es gibt Fachleute«, pflegte der junge Eastin dann zu sagen, »die die Ansicht vertreten, daß der Dollar zur Zeit mongolisiert wird.« Wegen seiner privaten Kenntnisse war Eastin schließlich zum hauseigenen Sachverständigen für Falschgeld avanciert, und zweifelhafte Banknoten, die an einem der Schalter auftauchten, wurden ihm zur Begutachtung vorgelegt.

Die drei - Edwina, Eastin, Tottenhoe - stiegen wieder die Treppen von der Tresoranlage zum Hauptschalterraum empor.

Leinwandsäcke mit Bargeld wurden von einem draußen parkenden gepanzerten Fahrzeug angeliefert. Die beiden Geldboten waren bewaffnet.

Größere Beträge an Bargeld wurden stets früh am Morgen geliefert, nachdem sie vorher von der Bundes-Reserve-Bank abgeholt und zur FMA-Zentrale gebracht worden waren. Von dort wurde das Geld dann in die einzelnen Filialen verteilt. Daß alles immer an ein und demselben Tag zu geschehen hatte, war wohlbegründet. Überschüssiges Bargeld in Tresorräumen brachte keinen Ertrag; außerdem bestand die Gefahr, daß es verlorengehen oder geraubt werden könnte.

Deshalb mußte jeder Filialleiter das Kunststück beherrschen, niemals knapp an Bargeld zu werden, dabei aber auch niemals zuviel davon in seiner Stahlkammer zu haben.

Eine große Filiale wie die FMA-Cityfiliale lagerte gewöhnlich ein Arbeitskapital von einer halben Million Dollar in bar. Das gerade jetzt eintreffende Geld - eine weitere Viertelmillion -war die an einem durchschnittlichen Banktag erforderliche Reserve.

Tottenhoe sagte brummig zu den Geldboten: »Hoffentlich bringen Sie uns diesmal sauberes Geld, nicht so schmutzige Scheine wie seit Tagen schon.«

»Ich hab' den Jungs in der Zentrale schon erzählt, daß Sie sich immer so über die Schmutzlappen ärgern«, sagte einer der Boten. Er war noch ziemlich jung, lange schwarze Haarsträhnen quollen unter seiner Uniformmütze hervor und ringelten sich über Kragen und Schultern seiner Uniformjacke. Edwina blickte unwillkürlich zu Boden, um zu sehen, ob er Schuhe trug. Er hatte welche an.

»Die sagten, Sie hätten schon angerufen, Mr. Tottenhoe«, fuhr der Bote fort. »Also, was mich betrifft, ich nehme das Geld, ganz egal, ob sauber oder schmutzig.«

»Bedauerlicherweise sind einige unserer Kunden anderer Meinung«, sagte Tottenhoe etwas säuerlich.

Frische Banknoten, die über die Reserve-Bank von der Staatlichen Druck- und Prägeanstalt eintrafen, waren bei allen Banken hoch begehrt. Erstaunlich viele Kunden, genannt »die Luxusindustrie«, wiesen schmutzige Banknoten zurück und verlangten neue oder doch zumindest saubere. Glücklicherweise gab es auch andere, denen es absolut gleichgültig war, wie die Scheine aussahen, und die Kassierer hatten Anweisung, jede Gelegenheit zu nutzen, um besonders schmutzige Noten loszuwerden, damit sie die frischen, knisternden Scheine für die Kunden aufsparen konnten, die danach fragten.

»Wie man so hört, sollen 'ne Menge prima Fälschungen im Umlauf sein. Vielleicht können wir Ihnen mit einem Packen aushelfen.« Der zweite Bote feixte und blinzelte seinem Kollegen zu.

Edwina sagte zu ihm: »Danke, auf die Hilfe können wir gern verzichten. Wir haben leider schon zuviel von der Sorte.«

Erst vorige Woche hatte die Bank fast eintausend Dollar in gefälschten Noten entdeckt - Geld, dessen Ursprung nicht mehr festzustellen war. Wahrscheinlich war es an den Kassen eingezahlt worden - von Leuten, die selbst betrogen worden waren und die nun ihre Verluste an die Bank weitergaben, oder auch von Leuten, die keine Ahnung hatten, daß es sich bei ihren Scheinen um Falschgeld handelte. Verwunderlich war das nicht, denn die Fälschungen waren von höchster Qualität.

Agenten vom Falschgelddezernat des Secret Service, die die Angelegenheit mit Edwina und Miles Eastin erörtert hatten, machten kein Hehl aus ihrer Besorgnis. »Wir haben noch nie so gute Blüten gesehen, und es waren auch noch nie so viele davon im Umlauf«, gab einer von ihnen zu. Nach einer vorsichtigen Schätzung waren im vorigen Jahr Falschgeldnoten im Nennwert von dreißig Millionen Dollar hergestellt worden. »Und 'n ganzer Haufen mehr wird nie entdeckt.«

England und Kanada waren die Hauptlieferanten von falscher US-Währung. Die Agenten wußten auch, daß eine unglaubliche Menge davon in Europa umlief. »Da merken sie's nicht so schnell, deshalb warnen Sie Ihre Freunde davor, in Europa amerikanische Banknoten anzunehmen. Sie könnten nichts wert sein.«

Der erste der bewaffneten Boten rückte die Säcke auf seinen Schultern zurecht. »Keine Bange, Leute! Da drin sind echte grüne Scheine. Das gehört bei uns zum Service!«

Beide Boten stiegen die Treppe zum Tresorraum hinunter.

Edwina ging zu ihrem Schreibtisch auf der Plattform. Überall in der Bank herrschte jetzt zunehmende Geschäftigkeit. Der vordere Haupteingang war geöffnet, die ersten Kunden des Tages strömten herein.

Die Plattform, auf der nach alter Tradition die ranghöchsten Bankbeamten arbeiteten, war etwas erhöht und mit karmesinrotem Teppich belegt. Edwinas Schreibtisch, der größte und imposanteste, war von zwei Flaggen flankiert - rechts hinter ihr die Stars and Stripes, zu ihrer Linken der Wimpel des Bundesstaates. Wenn sie daran saß, hatte sie manchmal das Gefühl, im Fernsehen aufzutreten, im Begriff, eine feierliche Erklärung abzugeben, während die Kameras auf sie zurollten.

Die große Cityfiliale wirkte sehr modern. Als der Tower der Zentrale der FMA Bank vor ungefähr einem Jahr errichtet wurde, hatte man auf das benachbarte Bauwerk teuerstes Fachwissen und ein Vermögen an Baukosten für Renovierungsarbeiten verwendet. Das Resultat: Bequemlichkeit für die Kunden, ausgezeichnete Arbeitsbedingungen und Eindruck satten Wohlstands, der durch vorherrschendes Karmesinrot und Mahagoni mit angemessenen Einsprengseln von Gold hervorgerufen wurde. Gelegentlich, gestand Edwina sich ein, wirkte diese Opulenz ein wenig peinlich.

Während sie in dem Drehsessel mit der hohen Lehne Platz nahm, strich sie sich glättend über das kurze Haar -unnötigerweise, da es wie üblich makellos gepflegt war.

Dann griff sie nach einem Stapel von Akten mit Darlehensanträgen über Summen, die so hoch waren, daß kein anderer Angestellter der Filiale die Vollmacht hatte, sie zu genehmigen.

Sie selbst war berechtigt, Darlehen bis zu einer Million Dollar in jedem Einzelfall zu gewähren, vorausgesetzt, daß zwei andere Beauftragte der Filiale zustimmten. Was ausnahmslos geschah. Anträge auf höhere Summen wurden an die Kreditabteilung in der Zentrale weitergeleitet.

Wie in jedem Bankinstitut galt auch in der First Mercantile American die Kredithöhe, die ein Geschäftsleiter genehmigen durfte, als persönliches Statussymbol. Sie bestimmte auch den Rang des Betreffenden in der Bankhierarchie, denn seine Paraphe auf dem Schriftstück bedeutete die endgültige Genehmigung eines Kreditantrages.

Für eine Filialleiterin war Edwinas Zeichen von ungewöhnlich hoher Qualität, denn als Vorsteherin der wichtigen FMA-Cityfiliale trug sie eine besondere Verantwortung. Der Leiter einer weniger bedeutenden Niederlassung war im allgemeinen nur berechtigt, Kredite bis zur Höhe einer halben Million Dollar zu genehmigen, je nach seiner Befähigung und seinem Dienstalter. Edwina hatte sich oft darüber mokiert, daß diese Zeichnungsqualität einem Kastensystem mit allerlei Vergünstigungen und Privilegien gleichkam. In der Kreditabteilung der Zentrale arbeitete ein Kredit-Unterinspektor, dessen Vollmachten auf magere fünfzigtausend Dollar begrenzt waren, an einem wenig imposanten Schreibtisch zusammen mit anderen in einem Großraumbüro. Als nächsten in der Hack- und Pickordnung hatte er den Kredit-Inspektor über sich, dessen Paraphe für eine Viertelmillion gut war. Ihm stand ein größerer Schreibtisch in einem Glaskasten zu.