Heyward lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und Jerome Patterton sagte: »Ich bitte jetzt um Fragen und Diskussion.«
»Offen gesagt«, erklärte Wallace Sperrie, »ich halte beides für überflüssig. Es ist alles klar. Meiner Meinung nach sind wir Zeugen eines Meisterstücks im Bankgeschäft geworden, und ich schlage die Zustimmung vor.«
Mehrere Stimmen riefen gleichzeitig: »Schließe mich an!«
»Vorgeschlagen und unterstützt«, stellte Jerome Patterton im offiziellen Singsang fest. »Sind wir bereit zur Abstimmung?«
Offensichtlich hoffte er es. Sein Hammer schwebte über der Tischplatte.
»Nein«, sagte Alex Vandervoort mit ruhiger Stimme. Er schob seinen Bleistift und das vollgekritzelte Blatt Papier weg. »Ich meine, auch andere sollten ihre Stimme erst abgeben, wenn sehr viel ausführlicher diskutiert worden ist.«
Patterton seufzte. Er legte den Hammer hin. Alex hatte ihm in gewohnter Höflichkeit schon vorher seine Absichten angekündigt, aber Patterton hatte gehofft, daß Alex sich anders besinnen werde, sobald er die so gut wie einhellige Stimmung des Direktoriums spürte.
»Es tut mir aufrichtig leid«, sagte Alex Vandervoort jetzt, »mich hier vor dem Direktorium im Konflikt mit meinen Kollegen Jerome und Roscoe wiederzufinden. Aber Pflicht und Gewissen erlauben es mir nicht, meine Bedenken wegen dieses Kredits und meine Opposition zu verschweigen.«
»Was ist denn los? Gefällt Supranational Ihrer Freundin nicht?« Die bösartige Frage kam von Forrest Richardson, seit vielen Jahren FMA-Direktor; er war brüsk im Auftreten, hatte einen Ruf als Kampfhahn und war ein Kronprinz in der Fleischkonservenbranche.
Alex stieg die Zornröte ins Gesicht. Zweifellos hatten die Direktoren nicht vergessen, daß sein Name vor drei Monaten in der Öffentlichkeit mit Margots »Bank-in« in Verbindung gebracht worden war; dennoch hatte er keine Lust, sein Privatleben hier sezieren zu lassen. Aber er unterdrückte eine heftige Entgegnung und antwortete: »Miss Bracken und ich erörtern nur sehr selten Bankangelegenheiten. Ich versichere Ihnen, daß wir über die vorliegende nicht gesprochen haben.«
Ein anderer Direktor fragte: »Was genau gefällt Ihnen an dem Geschäft nicht, Alex?«
»Alles.«
Rund um den Tisch entstand Unruhe, es gab Ausrufe ärgerlicher Überraschung. Gesichter, die sich Alex zugewandt hatten, verrieten wenig Freundlichkeit.
»Am besten legen Sie die ganze Sache klar«, empfahl Jerome Patterton kurz.
»Das werde ich.« Alex griff in den mitgebrachten Schnellhefter und zog ein mit Notizen beschriebenes Blatt heraus.
»Zunächst einmal erhebe ich Einspruch gegen den Umfang des Engagements mit einem einzigen Kunden. Es handelt sich nicht nur um eine wenig ratsame Konzentration des Risikos. Es ist meiner Meinung nach auch betrügerisch im Sinne von Paragraph 23 A des Reserve-Bank-Gesetzes.«
Roscoe Heyward sprang auf. »Ich protestiere gegen das Wort >betrügerisch<.«
»Proteste ändern nichts an der Wahrheit«, entgegnete Alex ruhig.
»Das ist nicht die Wahrheit! Wir haben klargelegt, daß das gesamte Engagement nicht mit der Supranational Cbrporation selbst eingegangen wird, sondern mit ihren Tochtergesellschaften. Es handelt sich um Hepplewhite Distillers, Horizon Land, Atlas Jet Leasing, Caribbean Finance und International Bakeries.« Heyward packte eine blaue Mappe. »Die Kreditzuweisungen sind hier spezifiziert.«
»Alle diese Firmen sind mehrheitlich im Besitz von Supranational.«
»Aber es sind auch alteingeführte, aus eigener Kraft lebensfähige Gesellschaften.«
»Warum reden wir dann immer nur von Supranational?«
»Weil es einfacher und bequemer ist.« Heywards Augen funkelten.
»Sie wissen ebensogut wie ich«, beharrte Alex, »daß G. G. Quartermain, wenn unser Geld erst einmal bei irgendeiner der Tochtergesellschaften liegt, dieses Geld nach Belieben bewegen kann und wird.«
»Halt mal, stop!« Die Unterbrechung kam von Harold Austin, der sich vorgebeugt hatte und mit der Hand auf den Tisch schlug, um die anderen aufmerksam zu machen. »Big George Quartermain ist ein guter Freund von mir. Ich lasse es mir nicht bieten, daß hier der Vorwurf der Böswilligkeit erhoben wird.«
»Niemand hat von Böswilligkeit gesprochen«, erwiderte Alex. »Ich rede von einer Tatsache aus dem Konzernalltag. Es werden häufig große Summen zwischen Supranational-Töchtern hin- und herbewegt; das weisen die Bilanzen aus. Das ist die Bestätigung - wir leihen unser Geld einem einzigen Organismus.«
»Also«, sagte Austin; er wandte sich von Alex ab und anderen Direktoriumsmitgliedern zu, »ich sage noch einmal, ich kenne George Quartermain gut und auch Supranational. Wie die meisten von Ihnen wissen, habe ich das Treffen zwischen Roscoe und Big George auf den Bahamas arrangiert, wo diese Kreditlinie besprochen worden ist. In Kenntnis aller Umstände sage ich, es handelt sich um ein ausnehmend gutes Geschäft für die Bank.«
Es entstand eine momentane Stille, die Philip Johannsen beendete.
»Wäre es denkbar, Alex«, erkundigte sich der Präsident von MidContinent Rubber, »daß Sie sich ein ganz klein wenig ärgern, daß Roscoe zu diesem Golfspiel auf den Bahamas eingeladen worden ist und nicht Sie?«
»Nein. Was ich hier vortrage, hat nichts mit persönlichen Dingen zu tun.«
Ein anderer bemerkte skeptisch: »Es sieht aber ganz so aus.«
»Meine Herren, meine Herren!« Jerome Patterton ließ den Hammer hart auf den Tisch sausen.
Alex hatte etwas dieser Art erwartet. Er bewahrte die Ruhe und insistierte: »Ich wiederhole, der Kredit stellt ein zu starkes Engagement mit einem einzigen Kreditnehmer dar. So zu tun, als ob es sich nicht um einen einzigen Kreditnehmer handelt, ist darüber hinaus ein schlauer Versuch, das Gesetz zu umgehen, was jeder einzelne hier im Räume weiß.« Herausfordernd blickte er in die Runde.
»Ich weiß es nicht«, sagte Roscoe Heyward, »und ich sage, Sie sind voreingenommen und legen es falsch aus.«
Es war jetzt klar, daß hier etwas Außerordentliches geschah. Direktoriumssitzungen waren gewöhnlich entweder reine Formalität, oder die Direktoren tauschten im Falle mild abweichender Meinungen höfliche Bemerkungen aus. Zorniger, ätzend scharfer Streit war praktisch unbekannt.
Zum ersten Mal ergriff Leonard L. Kingswood das Wort. Seine Stimme klang versöhnlich. »Alex, ich gebe zu, daß das, was Sie da sagen, nicht ohne Substanz ist. Aber Sie können doch nicht bestreiten, daß derartige Geschäftspraktiken zwischen Großbanken und Großfirmen etwas Alltägliches sind.«
Jede Intervention durch den Vorsitzenden von Northam Steel war bedeutungsvoll. In der Dezember-Sitzung war Kingswood Wortführer derjenigen gewesen, die Alex' Ernennung zum Chef der FMA empfahlen. Jetzt fuhr er fort: »Offen gesagt, wenn Sie derartige Finanzierungen für unkorrekt halten, muß ich gestehen, daß sich meine eigene Gesellschaft ebenfalls schuldig gemacht hat.«
Bedauernd, weil er wußte, daß es ihn einen Freund kostete, schüttelte Alex den Kopf. »Tut mir leid, Len. Ich halte es trotzdem nicht für korrekt, darüber hinaus finde ich, daß wir uns nicht dem Vorwurf des Interessenkonflikts aussetzen sollten, indem Roscoe dem Supranational-Direktorium beitritt.«
Leonard Kingswood kniff die Lippen zusammen. Er sagte nichts mehr.
Dafür aber Philip Johannsen. Leicht ironisch sagte er: »Alex, wenn Sie nach dieser letzten Bemerkung immer noch von uns erwarten, daß wir Ihnen abnehmen, es sei alles ganz unpersönlich, dann sind Sie verrückt.«
Roscoe Heyward versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht.
Alex' Gesicht hatte einen grimmig-entschlossenen Zug angenommen. Und wenn es die letzte FMA-Direktoriumssitzung sein sollte, an der er teilnahm - er wollte zu Ende bringen, was er begonnen hatte. Johannsens Bemerkung übergehend, erklärte er: »Warum lernen Banker nie etwas dazu! Von allen Seiten -vom Kongreß, von den Verbrauchern, von unseren eigenen Kunden und von der Presse - wirft man uns vor, den Interessenkonflikt durch Verfilzung der Direktoriumsposten zu verewigen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß die meisten Vorwürfe zu Recht bestehen. Jeder von uns weiß, wie die großen Ölgesellschaften durch enge Zusammenarbeit in Bankdirektorien Kontakt miteinander halten, und das ist nur ein Beispiel von vielen. Wir aber machen immer weiter mit derselben Art von Inzucht: Du gehst in mein Direktorium, ich gehe in deins. Wenn Roscoe Direktor bei Supranational ist, wessen Interessen wird er dann voranstellen? Die von Supranational? Oder die der First Mercantile American? Und hier bei uns, wird er SuNatCo gegenüber anderen Gesellschaften bevorzugen, weil er dort im Direktorium sitzt? Die Aktionäre beider Gesellschaften haben ein Recht, diese Fragen beantwortet zu bekommen; das gleiche Recht haben Legislative und Öffentlichkeit. Mehr noch, wenn wir nicht bald mit einigen überzeugenden Antworten kommen, wenn wir nicht aufhören, so selbstherrlich wie bisher zu sein, dann wird sich das gesamte Bankgewerbe mit harten, restriktiven Gesetzen abfinden müssen. Und wir würden es auch nicht besser verdienen.«