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Kälte schlug Vandervoort entgegen, als die Direktoren ihre Sitzung nach dem Mittagessen fortsetzten. Normalerweise ließ sich in einer zweistündigen Vormittagssitzung alles erledigen. Heute jedoch war eine Verlängerung zugestanden worden.
Angesichts der im Direktorium herrschenden Feindseligkeit hatte Alex dem Vorsitzenden beim Mittagessen vorgeschlagen, seinen Vortrag bis zur nächsten Monatssitzung zu verschieben. Aber Patterton hatte ihm kurz angebunden erklärt: »Nichts da. Wenn die Direktoren üble Laune haben, dann Ihretwegen. Jetzt löffeln Sie gefälligst die Suppe aus, die Sie sich eingebrockt haben.«
Das waren ungewöhnlich harte Worte für den sonst so milden Patterton, aber sie machten deutlich, wie stark der Strom war, gegen den Alex jetzt zu schwimmen hatte. Er war auch überzeugt davon, daß er sich die Mühen der nächsten Stunde ebensogut schenken konnte. Was er auch sagen würde, man würde seine Vorschläge zurückweisen, und wenn aus keinem anderen Grund als aus reiner Widerborstigkeit.
Als die Direktoren sich wieder setzten, gab Philip Johannsen der allgemeinen Stimmung Ausdruck, indem er pointiert auf die Uhr sah. »Ich habe heute nachmittag schon einen Termin absagen müssen«, erklärte der Chef von MidContinent Rubber ingrimmig, »und ich habe noch mehr zu tun; machen wir es also kurz.« Mehrere andere nickten zustimmend.
»Ich werde mich so kurz fassen wie möglich, meine Herren«, versprach Alex, als Jerome Patterton ihm das Wort erteilt hatte. »Ich möchte vier Punkte vortragen.« Er zählte sie beim Sprechen an den Fingern ab.
»Erstens, unsere Bank verzichtet auf ein bedeutendes, ertragreiches Geschäft, indem sie die Möglichkeiten der Sparexpansion nicht mit aller Energie nutzt. Zweitens, mehr Spareinlagen verbessern die Stabilität der Bank. Drittens, je länger wir zögern, desto schwieriger wird es sein, unsere vielen Konkurrenten einzuholen. Viertens, wegweisende Arbeit - die wir und andere Banken auf uns nehmen müssen - kann geleistet werden, um eine Rückkehr zu dem Grundsatz persönlicher, wirtschaftlicher und öffentlicher Sparsamkeit zu fördern, der allzu lange vernachlässigt worden ist.«
Er nannte Methoden, die es der First Mercantile American ermöglichen könnten, die Konkurrenz zu überflügeln -Erhöhung des Sparzinses bis an die obere gesetzliche Grenze; attraktivere Bedingungen für langfristige Sparbriefe mit ein- bis fünfjähriger Kündigungsfrist; Giro-Leistungen für Sparer im Rahmen der Bankgesetze; Geschenkprämien für neue Sparer; Bekanntmachung des Sparprogramms und der neun neuen Filialen durch einen massiven Werbefeldzug.
Alex hatte seinen üblichen Platz verlassen und sprach jetzt vom Kopfende des Direktoriumstisches aus. Patterton war mit seinem Stuhl zur Seite gerückt. Alex hatte auch den ChefVolkswirtschaftler der Bank, Tom Straughan, mitgebracht, der Ständer mit Diagrammen vor den Direktoren aufgebaut hatte.
Roscoe Heyward hatte sich auf seinem Platz vorgeschoben und lauschte mit ausdrucksloser Miene.
Als Alex eine Pause machte, warf Floyd LeBerre ein: »Dazu hätte ich jetzt gleich eine Bemerkung.«
Patterton, der wieder zu seiner gewohnten Höflichkeit zurückgefunden hatte, fragte: »Wollen Sie Fragen während des Vortrags beantworten, Alex, oder heben wir sie uns bis zum Schluß auf?«
»Ich nehme Floyds Frage jetzt an.«
»Es ist keine Frage«, sagte der Vorsitzende von General Cable ohne die Spur eines Lächelns. »Es ist eine Erklärung für das Protokoll. Ich bin gegen eine bedeutende Expansion der Sparabteilung, weil wir uns dadurch nur selber auf die Füße treten. Wie verwalten jetzt erhebliche Einlagen von korrespondierenden Banken... «
»Achtzehn Millionen Dollar von den Spar- und Darlehenskassen«, sagte Alex. Er hatte mit LeBerres Einwand gerechnet, der zweifellos Hand und Fuß hatte. Wenige Banken existierten ganz aus eigener Kraft; die meisten pflegten finanzielle Verbindungen mit anderen Geldinstituten, und die First Mercantile American machte da keine Ausnahme. Mehrere örtliche Spar- und Darlehenskassen unterhielten große Konten bei der FMA, und aus Sorge, daß diese Beträge abgezogen werden könnten, hatte man sich bisher bei allen Vorschlägen, den Sparsektor auszubauen, starke Zurückhaltung auferlegt.
»Das habe ich berücksichtigt«, erklärte Alex.
LeBerre war nicht zufrieden. »Haben Sie berücksichtigt, daß wir dieses ganze Geschäft verlieren, wenn wir in ernsthafte Konkurrenz mit unseren eigenen Kunden treten?«
»Einen Teil. Aber sicher nicht alles. Jedenfalls sollten die Gewinne des geplanten Unternehmens die Verluste bei weitem übertreffen.«
»Behaupten Sie.«
Alex blieb dabei: »Ich sehe das als tragbares Risiko an.«
Leonard Kingswood sagte betont ruhig: »Aber im Zusammenhang mit Supranational waren Sie gegen jegliches Risiko, Alex.«
»Ich bin nicht prinzipiell gegen Risiken. Dies hier ist ein viel kleineres Risiko. Und außerdem kann man die beiden Dinge gar nicht miteinander vergleichen.«
Skepsis zeigte sich auf den Gesichtern.
LeBerre sagte: »Ich würde gern Roscoes Meinung dazu hören.«
Zwei andere stimmten ein: »Ja, hören wir, was Roscoe zu sagen hat.«
Köpfe wandten sich Heyward zu, der eingehend seine gefalteten Hände betrachtete. Mit Unschuldsmiene sagte er: »Man torpediert nicht gern einen Kollegen.«
»Warum denn nicht?« fragte jemand. »Genau das hat er doch bei Ihnen versucht.«
Heyward lächelte schwach. »Aber ich möchte mir nicht dasselbe nachsagen lassen.« Sein Gesicht wurde ernst. »Ich teile jedoch Floyds Meinung. Ein intensiver Ausbau des Spargeschäfts würde uns den Verlust bedeutender Korrespondenzgeschäfte eintragen. Ich glaube nicht, daß ein theoretischer, potentieller Gewinn das wert wäre.« Er zeigte auf eines der von Straughan aufgehängten Schaubilder, das die geographische Lage der vorgeschlagenen neuen Filialen verdeutlichte. »Die Herren werden bemerken, daß sich fünf der vorgeschlagenen Filialen in der Nähe von Spar- und DarlehensInstituten befinden würden, die erhebliche Einlagen bei FMA unterhalten. Wir dürfen sicher sein, daß diese Tatsache auch ihrer Aufmerksamkeit nicht entgehen wird.«
»Die Standorte«, sagte Alex, »sind sorgfältig aufgrund von Bevölkerungsstudien ausgewählt worden. Sie befinden sich dort, wo die Menschen sind. Gewiß, die Spar- und Darlehenskassen waren als erste da; in vieler Beziehung waren sie vorausschauender als Banken wie unsere eigene. Aber das heißt doch nicht, daß wir uns auf ewig fernhalten müssen.«
Heyward zuckte die Achseln. »Ich habe meine Meinung schon gesagt. Eins will ich aber noch hinzufügen - der Gedanke an Filialen mit Ladencharakter widerstrebt mir zutiefst.«
»Ganz richtig, Filialen mit Ladencharakter oder auch Geldläden«, gab Alex scharf zurück. »So werden nämlich die Bankfilialen der Zukunft aussehen.« Alles, was er sagte, kam anders heraus, als er es sich vorgenommen hatte, dachte Alex etwas trübe. Zum Thema der Filialen selbst hatte er erst später kommen wollen. Nun, jetzt kam es darauf wohl auch nicht mehr an.
»Nach der Beschreibung hier zu urteilen«, sagte Floyd LeBerre - er las ein Informationsblatt, das Tom Straughan verteilt hatte -, »unterscheiden sich diese neuen Filialen kaum von Automaten-Waschsalons.«
Heyward las ebenfalls und schüttelte den Kopf. »Nicht unser Stil. Ohne Würde.«
»Wir täten besser daran, ein bißchen Würde abzuschütteln und mehr Geschäft hereinzuholen«, erklärte Alex. »Ja, Ladenfront-Banken ähneln Waschsalons; aber Bankfilialen dieser Art kommen jetzt auf uns zu. Ich wage eine Prophezeiung: Weder wir noch unsere Konkurrenten werden sich noch lange die vergoldeten Gruften leisten können, die uns jetzt als Filialen dienen. Grundstücks- und Baukosten erlauben es nicht mehr. In zehn Jahren wird - mindestens - die Hälfte unserer heutigen Bankfilialen aufgehört haben, in der uns vertrauten Form zu existieren. Ein paar wichtige werden wir beibehalten. Der Rest wird sich auf weniger kostspieligem Grund ansiedeln, er wird voll automatisiert sein, es wird Kassenautomaten geben, Fragen werden über Kabelfernsehen beantwortet, alle Filialen werden an einen Zentralcomputer angeschlossen sein. Bei der Planung neuer Filialen - die neun, die ich hier vorschlage, eingeschlossen - müssen wir diesen bevorstehenden Wandel berücksichtigen.«