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Es war ein Umschlag von der gleichen Art und mit ähnlichen Siegeln wie jener andere, der die Anteils-Zertifikate von Q-Investments enthalten hatte.

»Von Georgie soll ich dir ausrichten, daß es eine Erinnerung an unseren Spaß in Nassau ist.«

Noch mehr Zertifikate? Er bezweifelte es. Er überlegte, ob er die Annahme verweigern sollte, aber die Neugier war stärker.

»Du sollst es erst zu Hause aufmachen«, sagte Avril.

Er ergriff die Gelegenheit und sah auf die Uhr. »Ich muß sowieso gehen, Liebes.«

»Ich auch. Ich fliege heute abend nach New York zurück.«

Sie sagten sich in der Suite auf Wiedersehen. Beim Abschied hätte es einen Moment der Verlegenheit geben können. Avrils Weltgewandtheit verhinderte das.

Sie schlang die Arme um ihn, und sie preßten sich eng aneinander, während sie flüsterte: »Du bist ein Schatz, Rossie. Wir sehen uns bald.«

Ungeachtet dessen, was er erfahren hatte, ungeachtet seiner momentanen Müdigkeit hatte sich seine Leidenschaft für sie nicht verändert. Und was »meine Zeit« auch kosten mochte, eines stand fest: Avril bot etwas dafür.

Roscoe Heyward nahm ein Taxi vom Hotel zur Zentrale der First Mercantile American. In der Vorhalle des Bankgebäudes hinterließ er, daß er in fünfzehn Minuten Wagen und Fahrer für die Heimfahrt wünsche. Dann fuhr er mit dem Aufzug in den sechsunddreißigsten Stock und ging durch lautlose Korridore, vorbei an verlassenen Schreibtischen, zu seiner Büro-Suite.

An seinem Schreibtisch öffnete er den versiegelten Umschlag, den Avril ihm gegeben hatte. In einem zweiten Päckchen befanden sich, jedes Blatt mit einem Bogen Seidenpapier geschützt, zwölf vergrößerte Fotografien.

In jener zweiten Nacht auf den Bahamas, als die Mädchen und Männer nackt in Big Georges Schwimmbad gebadet hatten, war der Fotograf diskret unsichtbar geblieben. Vielleicht hatte er ein Teleobjektiv benutzt, möglicherweise hatte er sich hinter Büschen des üppigen Gartens versteckt. Er mußte einen hochempfindlichen Film benutzt haben, denn kein Blitzlicht hatte ihn verraten. Das war auch gleichgültig. Dagewesen war der Fotograf jedenfalls.

Die Fotos zeigten Krista, Rhetta, Mondstrahl, Avril und Harold Austin beim Entkleiden und unbekleidet. Roscoe Heyward kam vor, umgeben von den nackten Mädchen, sein Gesicht eine Studie in Faszination. Man sah Heyward, wie er Avrils Kleid und BH löste; ein anderes Bild zeigte ihn, wie er sie küßte, die Hände um ihre Brüste gewölbt. Zufall oder Absicht, von Vizepräsident Stonebridge war nur der Rücken zu sehen.

Technisch und künstlerisch waren alle Fotos von hoher Qualität, und offensichtlich war der Fotograf kein Amateur. Aber, dachte Heyward, G. G. Quartermain war es gewohnt, für das Beste zu zahlen.

Bemerkenswert: Auf keinem der Fotos erschien Big George.

Die Fotos waren allein durch ihr Vorhandensein ein Schock für Heyward. Warum hatte man sie geschickt? War das eine Drohung? Oder ein plumper Scherz? Wo waren die Negative und andere Abzüge? Er begann zu begreifen, daß Quartermain ein komplexer, sprunghafter, vielleicht sogar gefährlicher Mann war.

Andererseits ertappte Heyward sich dabei, daß er, trotz seines Schocks, fasziniert war. Während er die Fotos betrachtete, fuhr er sich unbewußt mit feuchter Zunge über die Lippen. Sein erster Impuls war es, sie zu vernichten. Aber er brachte es nicht fertig.

Erschrocken stellte er fest, daß er schon fast eine halbe Stunde an seinem Schreibtisch saß.

Die Fotos mit nach Hause zu nehmen, war natürlich ausgeschlossen. Also wohin damit? Er packte sie sorgfältig wieder ein und schloß den Umschlag in ein Schreibtischfach ein, in dem er mehrere persönliche, private Akten verwahrte.

Aus alter Gewohnheit sah er in einem anderen Schubfach nach, wo Mrs. Callaghan manchmal aktuelle Papiere verwahrte, wenn sie abends seinen Schreibtisch aufräumte. Oben auf dem Packen in dem Schubfach lagen die Papiere, die sich auf den zusätzlichen Kredit für Q^nvestments bezogen. Er sagte sich: Warum verzögern? Warum schwanken? War es wirklich nötig, Patterton ein zweites Mal zu fragen? Der Kredit war solide, ebenso wie G. G. Quartermain und Supranational. Hey ward nahm die Papiere heraus, kritzelte ein »Genehmigt« darauf und setzte seine Initialen daneben.

Wenige Minuten später fuhr er in die Halle hinab. Sein Fahrer wartete, die Limousine stand draußen.

14

Nolan Wainwright hatte nur noch selten Gelegenheit, das städtische Leichenschauhaus von innen zu sehen. Das letzte Mal, erinnerte er sich, war es vor drei Jahren gewesen, als er die Leiche eines Bankwächters identifizierte, der bei einer Schießerei mit Bankräubern ums Leben gekommen war. Als Wainwright noch bei der Kriminalpolizei war, waren Besuche in Leichenhallen und das Betrachten der Opfer von Gewaltverbrechen notwendige und häufige Begleiterscheinungen seines Berufs. Aber auch damals hatte er sich nie daran gewöhnen können. Eine Leichenhalle, jede Leichenhalle, mit der Atmosphäre von Tod und Beinhaus, deprimierte ihn und verursachte ihm manchmal Übelkeit. So auch jetzt.

Der Sergeant der städtischen Kriminalpolizei, mit dem er hier verabredet war, marschierte gelassen neben Wainwright einen düsteren Gang entlang, ihre Schritte hallten auf den uralten, zersprungenen Fliesen. Der Wärter der Leichenhalle, der ihnen den Weg wies und aussah, als werde er bald selbst dort Kunde sein, stapfte ihnen lautlos auf seinen Gummisohlen voran.

Der Kriminalbeamte, der Timberwell hieß, war jung, zu dick, schlecht rasiert und hatte ungepflegtes Haar. Vieles hatte sich verändert, grübelte Wainwright, in den zwölf Jahren, seit er nicht mehr Leutnant der städtischen Polizei war.

»Angenommen, der Tote ist Ihr Mann. Wann haben Sie ihn dann zuletzt gesehen?« fragte Timberwell.

»Vor sieben Wochen. Anfang März.«

»Wo?«

»In einer kleinen Bar am anderen Ende der Stadt. Heißt >Easy Overc.«

»Kenn' ich. Danach noch von ihm gehört?«

»Nein.«

»'ne Ahnung, wo er wohnt?«

Wainwright schüttelte den Kopf. »Wollte er nicht sagen. Da hab' ich nicht weiter nachgebohrt.«

Nolan Wainwright konnte nicht einmal den Namen mit Bestimmtheit sagen. Der Mann hatte ihm einen genannt, aber das war mit ziemlicher Sicherheit ein falscher gewesen. Er hatte fair sein wollen und hatte nicht versucht, den richtigen herauszubekommen. Er wußte nicht mehr, als daß »Vic« ein ehemaliger Sträfling war, der Geld brauchte und bereit war, als Spitzel zu arbeiten.

Im Oktober des vergangenen Jahres hatte Alex Vandervoort auf Drängen Wainwrights die Genehmigung erteilt, einen Spitzel zu beschäftigen, der den Ursprung der gefälschten Keycharge-Bankkreditkarten aufspüren sollte, die damals in beunruhigender Zahl auftauchten. Wainwright streckte Fühler aus, ließ seine Verbindungen in der Innenstadt spielen, und später wurde durch weitere Zwischenträger ein Treffen zwischen ihm und Vic arrangiert; man wurde handelseinig. Das war im Dezember. Der Sicherheitschef erinnerte sich an das Datum, da Miles Eastins Prozeß in derselben Woche stattgefunden hatte.

In den folgenden Monaten kam es zu noch zwei weiteren Begegnungen zwischen Vic und Wainwright, jede in einer anderen, entlegenen Kneipe, und bei allen drei Zusammenkünften hatte Wainwright dem Mann Geld gegeben in der Hoffnung, irgendwann den Gegenwert dafür zu bekommen. Ihr Kommunikationssystem war einseitig. Vic konnte ihn anrufen und einen Treff an einem Ort seiner Wahl vereinbaren; Wainwright dagegen hatte keine Möglichkeit, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Aber er hatte Verständnis für diese Regelung und akzeptierte sie.

Wainwright hatte Vic nicht gemocht, aber das hatte er auch nicht erwartet. Der Exsträfling war durchtrieben, schlüpfrig, mit ewig tropfender Nase und anderen äußeren Zeichen des Rauschgiftkonsumenten. Er verachtete alles und jeden, Wainwright eingeschlossen, und hatte einen ständigen höhnischen Zug um den Mund. Aber bei ihrem dritten Treffen, im März, schien es, als sei er über eine Spur gestolpert.