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Akzeptables Risiko. Edwina war sich bewußt, daß Cliff Castleman im Grunde recht hatte, denn das ganze Bankgeschäft drehte sich um nichts anderes als um akzeptable Risiken. Er hatte auch recht mit seiner Erklärung, daß keine Bank sich als Richter über persönliche Angelegenheiten aufspielen sollte.

Natürlich könnte sich dieses spezielle Risiko doch als zu groß herausstellen. Aber selbst wenn das eintreten sollte, würde man es Castleman nicht anlasten. Er hatte sich in seiner ganzen bisherigen Karriere gut gehalten, seine »Siege« waren weit größer als seine Verluste. Tatsächlich war es so, daß eine ununterbrochene Kette von Erfolgen gar nicht gern gesehen wurde. Von einem aktiven und dynamischen Kleinkreditbearbeiter erwartete man geradezu, daß einige der von ihm vergebenen Darlehen »sauer« wurden. Geschah das nie, konnte sich sein Erfolg ins Gegenteil verkehren, nämlich dann, wenn ein Computertext die Geschäftsleitung darauf aufmerksam machte, dieser Mann bewirke durch übertriebene Vorsicht, daß der Bank Geschäfte entgingen.

»Also gut«, sagte Edwina. »Ich finde die Angelegenheit abscheulich, aber ich schließe mich Ihrem Urteil an.«

Sie kritzelte ihre Initialen. Castleman ging wieder zu seinem Schreibtisch zurück.

So hatte dieser Tag - abgesehen von einem Darlehen für eine eingefrorene Tochter - wie jeder andere begonnen.

Er blieb auch so bis zum frühen Nachmittag.

An Tagen, an denen sie allein zu Mittag aß, ging Edwina in die Cafeteria drüben im Souterrain der FMA-Zentrale. Es war laut dort, das Essen war mittelmäßig, aber es wurde schnell bedient, und sie konnte in fünfzehn Minuten wieder draußen sein.

An diesem Tag hatte sie einen Kunden als Gast, und sie machte von ihrem Privileg als Vizepräsidentin Gebrauch. Sie führte ihn in das Kasino für leitende Angestellte hoch oben im Direktions-Turm. Ihr Gast war Finanzdirektor des größten Warenhauses der Stadt, und er suchte einen kurzfristigen Drei-Millionen-Dollar-Kredit zur Deckung einer Liquiditätslücke, die durch einen schwachen Herbstausverkauf im Verein mit außergewöhnlich kostspieligen Einkäufen für das Weihnachtsgeschäft entstanden war.

»Diese verdammte Inflation!« schimpfte der Finanzdirektor, während er sich seinem Spinat-Souffle widmete. Dann leckte er sich die Lippen und fügte hinzu: »Aber wir holen unser Geld in den nächsten beiden Monaten wieder herein, und noch einen Batzen dazu. Santa Claus hat es immer gut mit uns gemeint.«

Das Konto dieses Warenhauses war wichtig für die Bank; trotzdem verhandelte Edwina mit Härte und schlug günstige Bedingungen für die FMA heraus. Der Kunde brummte und schimpfte vor sich hin, aber als der Pfirsich Melba zum Nachtisch erschien, hatte er die Bedingungen akzeptiert. Die drei Millionen Dollar überstiegen zwar Edwinas persönliche Vollmacht, aber sie rechnete nicht mit Schwierigkeiten von seiten der Geschäftsleitung. Sollte es nötig werden, würde sie eben mit Alex Vandervoort reden, um die Sache zu beschleunigen; er hatte ihre Entscheidungen in der Vergangenheit immer unterstützt.

Als sie beim Kaffee saßen, brachte die Kellnerin eine Nachricht an ihren Tisch.

»Mrs. D'Orsey«, sagte das Mädchen, »ein Mr. Tottenhoe ist am Telefon und möchte Sie sprechen. Er sagt, es sei dringend.«

Edwina entschuldigte sich bei ihrem Gast und ging in den kleinen Nebenraum, wo das Telefon stand.

Die Stimme des Innenleiters klang gekränkt. »Ich habe überall versucht, Sie aufzutreiben.«

»Das ist Ihnen ja nun gelungen. Was gibt's denn?«

»Wir haben einen erheblichen Fehlbetrag an Bargeld.« Er berichtete: Eine Kassiererin hatte den Verlust vor einer halben Stunde gemeldet. Seither wurde ununterbrochen nachgeprüft. Edwina glaubte aus Tottenhoes Stimme nicht nur tiefe Melancholie, sondern auch Panik herauszuhören und fragte, wie groß der Betrag sei.

Er schluckte vernehmlich. »Sechstausend Dollar.«

»Ich komme sofort.«

In weniger als einer Minute hatte sie sich von ihrem Gast verabschiedet und fuhr im Expreß-Lift abwärts.

5

»Das einzige, was bisher feststeht«, sagte Tottenhoe mürrisch, »ist die Tatsache, daß sechstausend Dollar in bar nicht da sind, wo sie sein müßten.«

Der Innenleiter war einer der vier Personen, die jetzt um Edwina D'Orseys Schreibtisch herum saßen. Die anderen waren Edwina selbst, der junge Miles Eastin, Tottenhoes Assistent, und eine Kassiererin namens Juanita Nunez.

Das Geld fehlte in Juanita Nunez' Kassenwagen.

Eine halbe Stunde war seit Edwinas Rückkehr in die Cityfiliale vergangen. Während die anderen ihr am Schreibtisch gegenübersaßen und sie ansahen, wandte sich Edwina an Tottenhoe. »Es stimmt, was Sie sagen, aber das genügt mir nicht. Ich möchte, daß wir alles noch einmal ganz von vorn durchgehen, langsam und sorgfältig.«

Es war kurz nach 15.00 Uhr. Die letzten Kunden hatten die Bank verlassen, die äußeren Türen waren geschlossen.

Wie üblich ging die emsige Tätigkeit in der Filiale auch nach Ende der Kassenstunden weiter; aber Edwina spürte, wie die Blicke heimlich zu der Plattform herüberhuschten. Die Angestellten hatten inzwischen gemerkt, daß hier ernsthaft etwas nicht in Ordnung war.

Sie rief sich ins Bewußtsein, daß jetzt alles darauf ankam, Ruhe zu bewahren, analytisch zu denken, jede noch so bruchstückhafte Information genau zu prüfen. Sie nahm sich vor, auf jede Nuance in Haltung und Sprache der anderen zu achten - und ganz besonders bei Mrs. NUnez.

Edwina wußte aber auch, daß sie es nicht mehr lange hinauszögern durfte, die Zentrale von dem allem Anschein nach erheblichen Bargeldverlust zu benachrichtigen. Danach würde sich die Sicherheitsabteilung einschalten und wahrscheinlich auch das FBI. Aber solange es noch eine Chance gab, den Fall ohne Aufhebens zu klären, wollte sie es wenigstens versuchen.

»Wenn Sie gestatten, Mrs. D'Orsey«, sagte Miles Eastin, »mache ich den Anfang, denn ich war der erste, dem Juanita es gemeldet hat.« Seine übliche forsche Fröhlichkeit war verschwunden.

Wie Eastin der Gruppe berichtete, war die Möglichkeit eines Defizits im Barbestand wenige Minuten vor 14.00 Uhr zu seiner Kenntnis gelangt. Juanita Nünez war bei ihm erschienen und hatte erklärt, sie glaube, daß aus ihrem Bargeldfach die Summe von sechstausend Dollar verschwunden sei.

Miles Eastin arbeitete gerade selbst als Kassierer an einem Schalter; er war fast den ganzen Tag über eingesprungen, weil zu viele Kassierer fehlten, und da sich sein Arbeitsplatz nur zwei Schalter von Juanita Nünez entfernt befand, hatte sie ihm ihren Verdacht gemeldet; bevor sie zu ihm gegangen war, hatte sie ihr Geldfach verschlossen.

Eastin hatte sofort sein eigenes Geldfach verschlossen und war zu Tottenhoe gegangen.

Mit noch düstrerer Miene als üblich nahm Tottenhoe jetzt den Faden auf.

Er war sofort zu Mrs. Nünez gegangen und hatte mit ihr gesprochen. Anfangs hatte er nicht geglaubt, daß genau runde sechstausend Dollar verschwunden sein sollten, denn selbst wenn sie den Verdacht hatte, daß Geld fehlte, so war es doch in diesem Stadium praktisch unmöglich, schon die Höhe des Betrages anzugeben.

Der Innenleiter zählte auf: Juanita Nünez hatte den ganzen Tag gearbeitet. Begonnen hatte sie am Morgen mit etwas mehr als zehntausend Dollar Bargeld aus dem Tresorraum, und seit Öffnung der Schalterhalle um 9.00 Uhr hatte sie die verschiedensten Beträge eingenommen und ausgezahlt. Das bedeutete, daß sie schon fast fünf Stunden lang gearbeitet hatte, ausgenommen die Mittagspause von 45 Minuten Dauer, und während dieser ganzen Zeit hatten sich viele Menschen in der Bank befunden. Alle Kassierer hatten viel zu tun. Außerdem waren die Bareinzahlungen an diesem Tag höher gewesen als üblich; deshalb dürfte der Geldbetrag in ihrem Fach - Schecks nicht mitgerechnet - auf gut und gern zwanzig- oder fünfundzwanzigtausend Dollar angewachsen sein. Wieso also, argumentierte Tottenhoe, konnte Mrs. Nunez so sicher sein, nicht nur, daß Geld fehlte, sondern auch, daß eine ganz bestimmte Summe fehlte?