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Shanin tauchte mit einem Dutzend seiner Krieger auf und starrte die Leiche ungläubig an. „Hat deine Frau diesen Mann mit seinem eigenen Messer umgebracht?“

„Ja, aber er war selbst schuld daran. Er hat sie belästigt und hat sie angegriffen. Es war reine Selbstverteidigung, das können alle bestätigen.“ Die anderen murmelten zustimmend.

Der Häuptling schien mehr erstaunt als wütend zu sein. Er starrte den Toten an, ging zu Meta hinüber und hob ihr Kinn mit einer. Hand hoch, um das Gesicht besser sehen zu können.

Jason merkte, daß Meta sich beherrschen mußte, um ihn nicht niederzuschlagen.

„Zu welchem Stamm gehört sie?“ erkundigte Shanin sich.

„Ihr Stamm lebt weit von hier entfernt im Norden in den Bergen. Ihre Leute heißen… Pyrraner. Gute Kämpfer.“

Shanin grunzte. „Nie davon gehört. Welches Totem haben sie?“

Jason überlegte rasch. Es durfte weder Ratte noch Wiesel sein. Welche anderen Tiere hatte er in den Bergen gesehen?

„Adler“, verkündete er mit fester Stimme. Er hatte einmal einen großen Vogel beobachtet.

„Sehr starkes Totem“, sagte Shanin; er war offenbar beeindruckt. Dann fuhr er mit einem Blick auf den Toten fort:

„Er hat ein Morope und einige Pelze. Die Frau kann sie nicht bekommen.“ Er sah abschätzend zu Jason hinüber.

Die gewünschte Antwort war leicht zu erraten. Niemand sollte Jason nachsagen können, er sei mit gebrauchten M o ropen und Pelzen aus zweiter Hand nicht großzügig gewesen! „Sein Eigentum fällt natürlich dir zu, Shanin. Ich würde nicht im Traum daran denken, es für mich zu beanspruchen. Und die Frau bekommt heute abend eine kräftige Tracht Prügel, das verspreche ich dir.“

Shanin nickte zufrieden und nahm das Geschenk an. Er wollte schon gehen, drehte sich aber nochmals um und fügte hinzu: „Er kann kein guter Krieger gewesen sein, wenn er von einer Frau besiegt worden ist. Aber er hat zwei Brüder.“

Das war wichtig, und Jason dachte darüber nach, während die Zuschauer sich zerstreuten und den Toten mitnahmen. Als Meta und Grif das Zelt aufgestellt hatten, schleppte er seine Kiste ins Innere und schickte den Jungen hinaus, um ihn die Ziegen fester anbinden zu lassen. Er machte sich Sorgen, denn der Todesfall konnte böses Blut machen.

Tatsächlich gab es rascher als erwartet die ersten Schwierigkeiten. Jason hörte einen lauten Schrei vor dem Zelt und rannte hinaus. Der Kampf war bereits fast zu Ende.

Grif war von sechs älteren Jungen — wahrscheinlich Verwandten des Toten — überfallen worden, die leichtes Spiel mit ihm zu haben glaubten. Er hatte den beiden ersten die Köpfe zusammengeschlagen und den nächsten mit einem Kinnhaken außer Gefecht gesetzt. Grif kniete jetzt auf der Kehle des vierten Jungen und drehte dem fünften ein Bein auf den Rücken. Der sechste versuchte zu fliehen, und Grif tastete nach seinem Messer, um ihn daran zu hindern.

„Nein, nicht das Messer!“ rief Jason ihm zu und gab dem letzten Jungen einen gutgezielten Tritt. „Wir können keine zweite Leiche brauchen!“

Grif stand auf und beobachtete seine Gegner, die nach verschiedenen Richtungen davonkrochen. Er hatte selbst nur ein blaues Auge davongetragen und sich einen Jackenärmel zerrissen. Jason sprach beruhigend auf ihn ein und führte ihn ins Zelt, wo Meta eine kalte Kompresse auf sein Auge legte.

Jason verschnürte den Eingang und betrachtete nachdenklich die beiden Pyrraner, die noch immer wütend und erregt waren.

„Na, jedenfalls kann niemand bestreiten, daß ihr einen starken ersten Eindruck hinterlassen habt“, meinte er.

8

„Ich spreche mit Temuchins Stimme, denn ich bin Ahankk, sein erster Befehlshaber“, sagte der Krieger, der eben Shanins Camach geöffnet hatte.

Jason brach mitten in einem Lied ab und drehte sich nach dem Fremden um, der diese willkommene Unterbrechung verursachte. Der Neuankömmling war offensichtlich ein hoher Offizier, denn sein Helm und sein Brustharnisch waren mit einigen Edelsteinen besetzt. Er blieb mit einer Hand am Schwert vor Shanin stehen.

„Was will Temuchin?“ erkundigte Shanin sich und griff selbst ans Schwert, weil ihm das Auftreten des anderen mißfiel.

„Er will den Jongleur Jason hören. Er soll sofort mitkommen.“

Shanin schüttelte den Kopf. „Er singt jetzt für mich. Wenn er fertig ist, kann er zu Temuchin gehen. Sing weiter“, befahl er Jason.

Aber Temuchins Abgesandter wußte, wie Nomadenhäuptlinge zu überzeugen waren. Er stieß einen schrillen Pfiff aus; daraufhin kamen zehn Krieger mit schußbereiten Bogen ins Zelt. Shanin war überzeugt.

„Ich kann sein Gekrächze nicht mehr hören“, behauptete er und wandte sich gähnend ab. „Verschwindet jetzt!“

Jason verließ den Camach mit dieser Ehrengarde und ging auf sein eigenes Zelt zu. Der Offizier hielt ihn zurück.

„Temuchin wartet auf dich. Hierher!“

„Nimm die Hand von meiner Brust“, zischte Jason so leise, daß die Soldaten ihn nicht hören konnten. „Ich muß mich umziehen und eine neue Saite auf meine Laute spannen.“

Gleichzeitig hielt er den Daumen des anderen fest und drückte ihn mit aller Kraft zusammen. Der Offizier mußte das Gefühl haben, in einer Daumenschraube zu stecken; er versuchte sich zu wehren, gab den Versuch auf und nickte kurz.

„Gut, wir gehen zuerst in deinen Camach, damit du etwas anderes als diese Lumpen anziehen kannst“, befahl er laut.

Jason ließ den Daumen los und ging neben Ahankk her, so daß er ihn beobachten konnte. Der Offizier warf ihm von Zeit zu Zeit einen haßerfüllten Blick zu, während er sich den schmerzenden Daumen rieb. Jason war sich darüber im klaren, daß er sich einen Feind gemacht hatte, aber das war nicht zu vermeiden gewesen, weil er zuerst seinen Camach aufsuchen mußte.

Sie hatten Temuchins Lager bereits vor einer Woche erreicht, und Jason hatte die kurzen Tage dazu benützt, möglichst viel über die Sitten und Gebräuche der Nomaden in Erfahrung zu bringen, um nicht mehr aufzufallen. Tecca hatte ihm Nasenpfropfen mitgegeben, die seine Nase veränderten, und er hatte ein Haarwuchsmittel benützt, um sich einen buschigen Schnurrbart wachsen zu lassen. Trotzdem fragte er sich jetzt, ob Temuchin ihn etwa wiedererkennen würde. Was mochte der Kriegsherr von ihm gehört haben?

„Auf, ihr Faulpelze!“ rief Jason am Eingang des Camachs.

„Der große Temuchin wünscht mich zu sehen, und ich muß mich umziehen.“ Meta und Grif starrten ihn nur an, ohne eine Bewegung zu machen.

„Los, tut gefälligst etwas“, fügte Jason in ihrem eigenen Dialekt hinzu. „Lauft herum, bietet dem Kerl einen Drink an und lenkt ihn von mir ab.“

Ahankk nahm den Becher entgegen, ließ Jason aber trotzdem nicht aus den Augen.

Jason öffnete seine Stahlkiste, nahm eine andere Pelzjacke heraus und versteckte gleichzeitig einen kleinen Gegenstand im Mund.

„Hört zu“, rief er Meta und Grif zu, „ich kann mich dieser ehrenvollen Einladung Temuchins nicht entziehen. Ich trage ein Dentiphon, und die beiden anderen liegen oben in der Kiste. Legt sie an, sobald wir verschwunden sind. Bleibt in Verbindung mit mir und nehmt euch in acht. Ich weiß nicht, was mich erwartet, aber falls es Schwierigkeiten gibt, möchte ich wenigstens mit euch Verbindung haben. Vielleicht müssen wir schnell eingreifen.“

Er schlüpfte in die neue Jacke und brüllte die beiden an:

„Los, beeilt euch, gebt mir die Laute! Wenn ich zurückkomme und nicht alles in bester Ordnung vorfinde, bekommt ihr beide Prügel!“ Damit stapfte er hinaus.

Sie ritten in aufgelockerter Formation durchs Lager.

Vielleicht war es wirklich nur Zufall, daß Jason auf allen Seiten von Kriegern umgeben war. Vielleicht. Was hatte Temuchin von ihm gehört? Warum wollte er ihn sprechen?