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Temuchin verzichtete darauf, die logische Frage zu stellen, und Jason beantwortete sie, bevor das Schweigen peinlich wurde.

„Ich mußte gehen, weil ich — dieses Geständnis fällt mir schwer — im Vergleich zu anderen Pyrranern… so schwach und feig war.“

Temuchin schwankte leicht, wurde rot, öffnete den Mund — und lachte schallend. Er lachte noch immer, als er sich auf seinen Thron fallen ließ. Die Zuschauer wußten nicht, was sie davon halten sollten, deshalb schwiegen sie. Jason gestattete sich ein leichtes Lächeln, hielt jedoch ebenfalls den Mund.

Temuchin ließ sich einen Becher Achadh reichen, leerte ihn auf einen Zug und lehnte sich zurück. Er lachte nicht mehr, sondern wirkte so eiskalt und beherrscht wie zuvor.

„Das hat mir gefallen“, sagte er. „Ich lache nicht oft. Ich glaube, daß du intelligent bist, vielleicht sogar zu intelligent, und daß du eines Tages daran sterben wirst. Erzähl mir von deinen Pyrranern.“

„Wir leben in Bergtälern im Norden und ziehen nur selten in die Ebene hinab“, begann Jason, der sich diese Geschichte schon vor einiger Zeit überlegt hatte. „Wir töten jeden, der in unsere Täler vordringt. Unser Totem ist der Adler, der uns solche Kräfte verleiht, daß selbst unsere Frauen einen Krieger, der auf den Ebenen großgeworden ist, mit bloßen Händen töten können. Wir haben gehört, daß Temuchin Recht und Gesetz bringen will, deshalb wurde ich ausgeschickt, um diese Nachricht zu überprüfen. Sollte sie zutreffen, wollen wir uns ihm anschließen und…“

Sie sahen beide auf, als Ahankk und einige Krieger den Camach betraten und ihre Gefangenen hereinschleppten. Jason erkannte einen Verwundeten und einen Mann, der unverletzt geblieben war — beide gehörten zu Shanins Stamm. Meta und Grif wurden ins Zelt getragen und dort zu Boden geworfen.

Jason wollte zu ihnen eilen, beherrschte sich gerade noch rechtzeitig und blieb unbeweglich stehen. Er stellte erleichtert fest, daß beide noch atmeten.

„Berichte!“ befahl Temuchin, und Ahankk trat vor.

„Wir haben deinen Auftrag ausgeführt, Temuchin. Shanin hat uns zu einem Camach gebracht. Wir haben dort gekämpft.

Niemand ist entkommen, aber wir mußten zwei töten, bevor die anderen sich ergaben. Wir bringen zwei Gefangene mit. Die Sklaven leben noch.“

Temuchin rieb sich nachdenklich das Kinn. Jason holte tief Luft und sprach ihn an.

„Darf ich mit Temuchins Erlaubnis eine Frage stellen?“

Temuchin starrte ihn an, runzelte die Stirn und nickte langsam.

„Wie wird Rebellion und Blutrache unter deiner Herrschaft bestraft?“

„Mit dem Tod. Gibt es eine andere Strafe?“

„Dann möchte ich eine Frage beantworten, die du zuvor gestellt hast. Du wolltest wissen, wie wir Pyrraner sind. Ich bin der schwächste Pyrraner. Trotzdem kann ich den unverletzten Gefangenen mit einer Hand und mit einem einzigen Dolchstoß töten — selbst wenn er mit einem Schwert bewaffnet ist. Er scheint ein guter Krieger zu sein, nicht wahr?“

„Allerdings“, meinte Temuchin mit einem Blick auf den kräftig gebauten Mann, der einen halben Kopf größer als Jason war. „Hmmm, keine schlechte Idee.“ Er wandte sich an Ahankk und gab ihm einige knappe Befehle.

Wenige Minuten später stand Jason seinem Gegner, der mit einem langen Schwert bewaffnet war, gegenüber und hatte selbst nur sein Messer, das allerdings aus bestem Stahl bestand.

Der scheinbar aussichtslose Kampf — die Leibwachen hatten Jason den linken Arm auf dem Rücken festgebunden — dauerte kaum zehn Sekunden. Der Nomade stürzte sich auf Jason, der im letzten Augenblick zur Seite trat und ihm sein Messer in die Brust stieß, bevor der Mann ausweichen konnte.

Jason zog das Messer zurück, sah zu Meta und Grif hinüber, die noch immer unbeweglich auf dem Boden lagen, und nickte zufrieden.

„Zeig mir dein Messer“, verlangte Temuchin.

„Wir haben gutes Eisen in unserem Tal“, erklärte Jason ihm.

Er wischte die Klinge an der Jacke des Toten ab. „Daraus machen wir guten Stahl.“ Er gab Temuchin das Messer, der es kurz untersuchte und dann seine Leibwache rief.

„Haltet den Verwundeten fest“, befahl er drei Kriegern.

Temuchin ging auf den Gefangenen zu, hob das Messer und ließ es blitzschnell herabsausen.

Ein Seufzen ging durch die Anwesenden, als der Mann zusammensackte.

„Das Messer gefällt mir“, sagte Temuchin. „Ich behalte es.“

„Ich wollte es dir ohnehin schenken“, behauptete Jason, ohne sich anmerken zu lassen, daß dieser Verlust schmerzte.

„Kennt dein Stamm viele dieser alten Geheimnisse?“ fragte Temuchin und ließ das Messer fallen, damit es ein Sklave aufheben und säubern konnte.

„Nicht mehr als andere Stämme“, antwortete Jason vorsichtig.

„Außer euch kann niemand so harten Stahl herstellen.“

„Das Rezept wird vom Vater auf den Sohn vererbt.“

„Es könnte noch weitere Geheimnisse geben“, meinte Temuchin vielsagend.

„Vielleicht.“

„Es gibt ein anderes Geheimnis, das manche ›Flammen-pulver‹ oder ›Schießpulver‹ nennen. Was weißt du davon?“

Richtig, was weiß ich davon? überlegte Jason sich. Er versuchte zu erkennen, welche Antwort Temuchin erwartete.

Was durfte ein Jongleur von diesen Dingen wissen?

Und was sollte Jason ihm erzählen, wenn Temuchin ihm eine Fangfrage gestellt hatte?

9

Meta protestierte nicht, als Jason ihr das schmutzige Gesicht wusch und die zahlreichen Schnittwunden mit Dermaschaum einsprühte. Der Medikasten hatte die Platzwunde am Hinterkopf bereits mit vierzehn Stichen genäht, als sie noch bewußtlos war, und hatte die Naht mit einem Verband bedeckt.

Meta war unmittelbar darauf zu Bewußtsein gekommen und hatte die weitere Behandlung klaglos über sich ergehen lassen.

Grif schnarchte auf den Pelzen, aus denen Jason ihm ein Lager bereitet harte. Der Junge war nur oberflächlich verletzt worden, und der Medikasten hatte ihm ein Schlafmittel gegeben. Jason brauchte sich also nur um Meta zu kümmern.

„Was ist eigentlich passiert?“ fragte er sie.

„Wir haben uns gewehrt, so gut wir konnten“, versicherte Meta ihm. „Sie haben uns überrascht, weil sie zuerst nur Grif angegriffen haben, aber das war ein guter Plan. Ich habe drei oder vier getötet, bis ich bewußtlos wurde. Warum sind wir jetzt hier?“

Jason schilderte ihr kurz, wodurch er Temuchin dazu gebracht hatte, seine Krieger in Shanins Lager zu schicken, und fügte hinzu: „Der alte Knabe war gerissen genug, mich gleich nach Schießpulver zu fragen, als er mein Bowiemesser gesehen hatte. Ich habe mich dumm gestellt und behauptet, andere Pyrraner wüßten mehr davon. Das scheint er mir abgenommen zu haben — zumindest vorläufig. Aber wir müssen jetzt zu ihm ziehen; er will uns in der Nähe haben. Morgen früh sagen wir Shanins Ratten ade und schließen uns Temuchin an. Er läßt uns bis dahin von seinen Leuten ›schützen‹, aber ich weiß nicht recht, ob sie uns nicht eher am Fortlaufen hindern sollen.“

„Ich sehe wirklich schrecklich aus!“ rief Meta nach einem Blick in den Spiegel.

„Für mich bist du immer hübsch“, versicherte Jason ihr, stellte den Medikasten auf Tiefschlaf und drückte ihn gegen ihren Arm. Als sie eingeschlafen war, deckte er sie und Grif vorsichtig zu. Er hatte Gewissensbisse, weil er eine Frau und ein Kind in diese Umgebung verschleppt hatte. Aber dann fiel ihm ein, daß die Lebensbedingungen hier trotzdem wesentlich besser als auf Pyrrus waren. Ob Meta und Grif ihm später einmal dafür dankbar sein würden? Er wußte es nicht.

Am nächsten Morgen hatten die beiden Pyrraner sich nur soweit erholt, daß sie aus dem Camach stolpern konnten, den Temuchins Soldaten abbauen mußten. Die Männer führten diesen Auftrag nur ungern aus, aber Jason wollte nichts mehr mit Shanins Leuten zu tun haben. Als der Escung endlich beladen war, band er Meta und Grif darauf fest, und der kleine Zug setzte sich unter den finsteren Blicken der versammelten Zuschauer in Bewegung.